# taz.de -- Leben in der Patchworkfamilie: Mamawochen, Papawochen
       
       > Wenn die Liebe verschwindet, die Kinder aber noch da sind, brauchen
       > Eltern Organisationstalent, Kreativität und Ressourcen. Den Engels gelang
       > das Kunststück.
       
 (IMG) Bild: Das klassische Familienmodell: Mutter, Vater, Kind. Bei Patchworkfamilie Engels läuft das anders, drei Erwachsene kümmern sich um vier Kinder. Ihr Modell heißt Wechsel.
       
       Das Mädchen, hochgewachsen, hockt auf einer Gartenbank und drückt auf einem
       lila iPod herum. Antonia hat keinen Blick für das Kornfeld in der
       Abendsonne nebenan. Ist ihr egal. Kennt sie schon. Sie hat Kummer, wischt
       sich jetzt aber die Träne aus dem Auge, zieht die Musikstöpsel aus den
       Ohren. Das Gespräch mit ihrer Mutter über den Friseurbesuch vor dem Urlaub
       richtet die 14-Jährige sichtlich auf.
       
       Ihre Mutter, Dorothea, erwähnt später, dass ihr ältestes Kind eben manchmal
       traurig ist, einfach so. Die Trennung der Eltern habe Antonia am stärksten
       mitgenommen, stärker jedenfalls als die beiden Jüngeren. Antonia war acht,
       Justus fünf, Charlotte zwei, als Dorothea den Vater der Kinder, Christian,
       verließ. Ein anderer Mann war in ihr Leben getreten: Michael. Kurz nach
       Dorotheas und Michaels Hochzeit wurde Titus geboren.
       
       Die Organisationsform, die seither das Leben von drei Erwachsenen und vier
       Kindern prägt, heißt Wechselmodell. „Wir haben das selbst so benannt“, sagt
       Dorothea. Wechseln heißt, dass die Kinder freitags alle Sachen packen, die
       sie für eine Woche brauchen – inklusive Atlas, Turnbeutel, Busfahrkarte.
       Die Kinder haben je ein komplettes Set an Kleidung beim Vater wie bei der
       Mutter.
       
       Nur Jacken und Schuhe werden mitgenommen – sie doppelt bereitzuhalten, wäre
       zu teuer. Und dann wird gewechselt: Von Dorotheas und Michaels Haushalt in
       Borchen zwölf Kilometer weiter zu Christians Haushalt nahe dem Zentrum
       Paderborns. Und am Freitag darauf geht es wieder zurück. Mamawoche,
       Papawoche, abwechselnd.
       
       ## Plötzlich ist das Haus still
       
       Wenn die größeren Kinder bei Christian sind, bleibt Titus, der Kleine,
       natürlich bei Dorothea und Michael. „Der langweilt sich erst einmal
       fürchterlich, wenn die großen Geschwister weg sind“, erzählt Dorothea.
       Plötzlich sei das Haus so still.
       
       Das Wechselmodell wurde bei der Trennungskinderberatung entwickelt. Für die
       Feiertage, Urlaubszeiten und andere Ausnahmen wurde eine umfangreiche
       Excel-Tabelle angelegt. Sie hat auf Dorotheas wie auf Christians Festplatte
       einen Sonderplatz.
       
       „Eines war uns klar, als wir uns trennten“, sagt Dorothea. „Wir wollten auf
       keinen Fall den ’Klassiker‘, also dass Christian die Kinder jedes zweite
       Wochenende hat, wie so viele Scheidungsväter.“ Schließlich hatten beide die
       Kinder von Anfang an zu ziemlich gleichen Teilen betreut: „Das sollte so
       weitergehen.“
       
       Dadurch erübrigte sich auch ein Unterhaltsprozess, der Geld, Nerven und
       weiteres Vertrauen zerstört hätte. Ohne Toleranz geht freilich auch in so
       einem Fall nichts: Sämtliche Eltern sind sich halbwegs einig, dass es nicht
       lohnt, über Biolebensmittel gegen Discounterware zu streiten, über Schul-
       gegen Alternativmedizin und auch nicht darüber, welchen Sonnenschutzfaktor
       es im Urlaub braucht.
       
       ## „Recht auf Glücklichsein“
       
       Wann und wieso trennen sich zwei Menschen, die zusammen drei Kinder haben?
       Schnell, sehr schnell sagt Dorothea: „Ich habe auch ein Recht auf
       Glücklichsein.“ Christian und Dorothea kannten sich aus der Schulklasse.
       Eigentlich war eine Schwangerschaft nicht geplant, aber Dorothea war 24
       Jahre alt und schwer verliebt.
       
       „Nach meinem ersten Juraexamen mit eigener Wohnung, Job und eigenem Auto
       dachte ich: Was kostet die Welt? Alles war so frisch, alles konnte
       losgehen“, erzählt sie. Nach den Geburten von Antonia, Justus und Charlotte
       war sie stets wenige Wochen später wieder am Arbeitsplatz.
       
       Beide Großmütter sprangen oft und wohl auch gern ein, um die
       Kinderbetreuung zu übernehmen. Drei kleine Kinder, ein Haus wurde gebaut,
       die Jobs anspruchsvoll – „ich bin ein Projektemensch“, sagt Dorothea.
       Christian übernahm seinen Teil in einer vollständig gleichberechtigten
       Beziehung – die Hälfte. Und doch. Es bröckelten Liebe und Respekt.
       
       Als die Unternehmensjuristin Dorothea zu Vertragsverhandlungen nach New
       York flog und dort nächtelang mit dem Softwarespezialisten Michael über
       Vertragsdetails brütete, war ihr Herz verloren. Michael, Micha sollte es
       sein, nur er. Nicht nervös war er, die Kinder zu treffen, sagt Michael,
       „eher neugierig“.
       
       ## Glutrotes Brautkleid
       
       Charlotte sei noch zu klein gewesen, Justus ohnehin von der „Wo ist mein
       Playmobil?“-entspannten Sorte. „Aber Antonia, wie reagiert Antonia? Das war
       die Frage.“ Ergebnis: „Sie war sehr rational und ist es geblieben“,
       berichtet er. Es ging dann alles wieder sehr schnell. Am Tag der Hochzeit
       war Dorothea schon hochschwanger mit Titus, sie trug ein glutrotes
       Brautkleid.
       
       „Mit meinen drei neuen kleinen Mitbewohnern, das war hardcore“, erzählt
       Michael. Umstandslos durfte er, der seine Freizeit bislang vornehmlich mit
       Freunden in Kneipen verbracht hatte, neue Talente an sich entdecken:
       „Charlotte kam direkt an und krähte: ’Windeln!‘ Da gab es kein Entrinnen.“
       
       Entrinnen nicht – aber Ressourcen. Drei überdurchschnittliche Einkommen
       dreier überdurchschnittlich qualifizierter Topangestellter können Dorothea,
       Michael und Christian aufweisen. Michael scheint von Geldsorgen wenig
       geplagt, sagt aber offen: „Natürlich ginge das alles nicht, wenn Dorothea
       Kassiererin wäre und ich Automechaniker.“
       
       Genauso wichtig wie das Geld: Arbeitszeiten. Dorothea, Michael und
       Christian sind ihren Arbeitgebern so lieb und teuer, dass die ihnen
       halbwegs flexible Präsenzzeiten am Arbeitsplatz gewähren. Dorothea kann
       Home Office machen, wenn ein Kind krank ist. „Sie sind alle Gott sei Dank
       so selten, fast nie krank“, vergisst sie nicht hinzuzufügen.
       
       ## „Omas in Reichweite“
       
       Alle Kinder waren mit spätestens einem Jahr in der Kita, doch mit deren
       Öffnungszeit ist der Betreuungsbedarf berufstätiger Eltern nur selten
       gedeckt. Christians Mutter nimmt sogar alle drei Großen auf einmal,
       verfrachtet sie auch zum Schwimmen. „Es ist so angenehm, die Omas in
       Reichweite zu haben“, sagt Dorothea.
       
       Ein Mädchen, großgewachsen, erscheint mit Farbspritzern in Haar und Gesicht
       im Garten. Antonia dekoriert schon wieder ihr Zimmer um, aber nun ist die
       Farbe alle. „Micha, ich brauche Zinkgelb“, sagt sie. Es ist Samstag, in
       Paderborn haben die Läden am Wochenende nicht ewig auf.
       
       Michael ist vor wenigen Stunden erst eingeflogen. Er war, wie so häufig,
       geschäftlich in den USA und in Kanada und blinzelt mit den Augen. Aber wo
       Zinkgelb her muss, muss Zinkgelb her. „Komm Herzchen, wir fahren. Welcher
       Baumarkt soll’s denn sein?“ Sage keiner, die Dinge ließen sich nicht
       organisieren. Nur müde, müde darf man dabei nicht sein.
       
       25 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Winkelmann
       
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