# taz.de -- Debatte Freitagscasino: Warum Geld kein Apfel ist
       
       > Ob Muscheln, Kühe oder Gold – Geld ist, was als Geld akzeptiert wird.
       > Über ein ebenso rätselhaftes wie wandelbares soziales Konstrukt.
       
 (IMG) Bild: Überraschung! Da ist was drin.
       
       Was ist Geld? Wie funktioniert es? Und wie kann man es retten? Diese Fragen
       klingen denkbar schlicht und sind dennoch schwer zu beantworten. Der
       berühmte Ökonom Joseph Schumpeter zum Beispiel hat jahrelang an einem Buch
       über Geld gearbeitet. Erschienen ist es nie. Das Thema war zu kompliziert.
       
       Dabei wirkt es auf den ersten Blick so einfach: Jeder benutzt Geld. Noch
       nicht einmal ein Brötchen bekommt man, ohne wenigstens zehn Cent auf den
       Ladentisch zu legen. Zudem ist das Geld offenbar so alt wie die Menschheit.
       
       Ob Muscheln, Kühe oder Gold – schon immer hatten die Völker eine
       Maßeinheit, mit der sie soziale und ökonomische Schulden beziffern konnten.
       Bereits die Mesopotamier, im 3. Jahrtausend vor Christus, benutzten den
       Silberschekel, um ihre Tempelverwaltung und Lagerhaltung zu organisieren.
       
       Doch so alt und so alltäglich Geld ist – es bleibt rätselhaft. Dies zeigt
       sich schon daran, dass keine klare Definition existiert, was genau als Geld
       zu betrachten ist. Stattdessen werden „Geldmengen“ von M 0 bis M 3 kreiert,
       die jede Zentralbank selbst festlegt. Es gibt keine globale Übereinkunft,
       was als Geld zu zählen ist. Beim Geld versagt die internationale
       Normierung, die bei jedem Kopierer und jedem Auto selbstverständlich ist.
       
       Geld ist so merkwürdig und so wandelbar, weil es ein soziales Konstrukt
       ist. Geld ist, was als Geld akzeptiert wird. Das kann alles sein. So kamen
       die US-Amerikaner im Tabakstaat Virginia auf die Idee, dass man doch auch
       mit Tabak zahlen könnte. Das hat rund 200 Jahre lang bestens funktioniert.
       
       ## Wechsel als eigene Währung
       
       Oder die Europäer im 18. Jahrhundert: Offiziell gab es vor allem
       Silbermünzen, doch Silber war chronisch knapp. Also haben die
       Geschäftsleute munter Wechsel ausgestellt – und damit eine eigene Währung
       geschaffen.
       
       Wechsel entstehen eigentlich bei einem Handelsgeschäft. Der Käufer einer
       Ware verspricht, in drei Monaten zu zahlen. Der Trick: In dieser Zeit kann
       der Wechsel weitergereicht werden. Aus einem Drei-Monats-Kredit wird also
       Geld. Natürlich dauerte es nicht lange, bis den ersten Kaufleuten auffiel,
       dass sich die Zahl der Wechsel am schnellsten steigern lässt, wenn man das
       zugrunde liegende Geschäft einfach fingiert. Also zirkulierten keine Waren
       mehr, sondern nur noch Wechsel. Auch diese ingeniöse Geldvermehrung hat
       funktioniert.
       
       Wenn Geld ist, was als Geld akzeptiert wird, dann heißt dies schlicht: Es
       geht um Vertrauen. Regiert hingegen die Angst, dann verschwindet das Geld –
       oder sammelt sich an den völlig falschen Stellen.
       
       ## Die Fehler der Panik-Investoren
       
       Wie ein Geldsystem in sich zusammenstürzen kann, ist gerade in Echtzeit in
       der Eurozone zu beobachten. Wer hinsieht, erlebt Weltgeschichte. Die
       Geldtheorie wird noch Jahre benötigen, um dieses Geschehen zu analysieren,
       doch unübersehbar ist: Es war ein Fehler der EU-Politiker, dass sie das
       Vertrauen in den Euro systematisch erschüttert haben.
       
       Fehler eins: der Schuldenschnitt für Griechenland. Es mag das
       Gerechtigkeitsgefühl befriedigen, dass die Banken auf 100 Milliarden Euro
       verzichten mussten. Aber als Signal war es fatal. Seither ist klar, dass
       auch andere Eurostaaten pleitegehen können – von Spanien bis Frankreich
       scheint kein Land mehr sicher. Damit aber wird die Grundlage des Euros
       erschüttert. Wenn Geld ein soziales Konstrukt ist – dann kann es in letzter
       Instanz nur vom Staat garantiert werden, der ja die Summe aller sozialen
       Beziehungen ist. Wenn der Staat zum denkbaren Pleitier wird, dann ist auch
       sein Geld nur noch ein Projekt auf Zeit.
       
       Natürlich ist es ärgerlich, dass Banken und Vermögende davon profitieren,
       wenn überschuldete Staaten gerettet werden. Aber dann soll man die
       Profiteure eben hoch besteuern – statt mit Schuldenschnitten gleich die
       ganze Währung zu bedrohen.
       
       Fehler zwei: Es ist unklug, dass so viele EU-Politiker ständig spekulieren,
       ob Griechenland in die Drachme abgleiten könnte. Denn dies setzt
       Panikfantasien auch in anderen Ländern frei. Wenn den Griechen die Drachme
       droht, warum sollten dann nicht auch die Peseten in Spanien oder die Lira
       in Italien zurückkehren?
       
       Wo Vertrauen verschwindet und die Angst regiert, da will jeder sein Geld
       retten. Und zwar individuell. Die Strategien sind je nach Land und
       Perspektive unterschiedlich. Griechen und Italiener schaffen ihre Euros
       nach Deutschland – und nehmen sogar hin, dass sie für Bundesanleihen gar
       keinen Zins mehr erhalten und die Inflation ihr Vermögen langsam auffrisst.
       Hauptsache, Sicherheit. So denken inzwischen auch die Bundesbürger, die
       verschreckt Immobilien kaufen und ihr Geld zu Betongold machen.
       
       ## Geld ist kein neutrales Produkt
       
       Aber alle diese Panik-Investoren begehen den gleichen Fehler drei: Sie
       verstehen nicht, was es bedeutet, dass Geld ein soziales Konstrukt ist. Es
       lässt sich nicht durch privatisierte Einzelaktionen retten – sondern nur
       gemeinsam. Das klingt jetzt vielleicht philosophisch abgehoben, deswegen
       nochmal ganz platt: Wenn immer mehr Deutsche eine Immobilie kaufen wollen,
       dann ist das keine Lösung, sondern pumpt nur eine Immobilienblase auf. Die
       nächste Finanzkrise ist damit schon in Sicht.
       
       Fehler vier: Es gehört zum sozialen Rätsel Geld, dass es kein neutrales
       Produkt ist wie etwa ein Apfel. Ein Apfel bleibt ein Apfel. Punkt. Beim
       Geld hingegen ist oft gar nicht zu erkennen, ob es noch existiert – oder
       schon verschwunden ist. Auf Bankdeutsch gesagt: „Liquidität“ und „Solvenz“
       sind nicht immer sicher zu unterscheiden. Selbst gesunde Firmen und Staaten
       können pleitegehen – wenn die Investoren an eine Pleite glauben und jeden
       Kredit verweigern. Dieses Schicksal ereilt gerade Italien, das eigentlich
       kein Krisenland ist, aber zum Eurokrisenland gemacht wird. „Man kann eine
       Krise auch herbeireden“, nennt der Volksmund dieses Phänomen.
       
       Es ist also verhext in dieser Eurokrise: Weil jeder um sein Geld fürchtet,
       wird genau dieses Geld vernichtet. Vertrauen ist nicht nur billiger – es
       ist die einzige Möglichkeit, wie Geld überhaupt entstehen kann.
       
       1 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Herrmann
       
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