# taz.de -- Debatte Freitagscasino: Der Euro ist keine Kartoffel
> Viele Menschen in Deutschland haben Angst, dass die Notenbanken mehr Geld
> drucken und es zur Inflation kommt. Doch so einfach ist das nicht.
(IMG) Bild: Anders als Euros werden sie billiger, je mehr es gibt: Kartoffeln.
„Ein Glück, ich habe nur Schulden.“ Dieser Stoßseufzer ist immer öfter zu
hören: Denn wer Geld besitzt, hat häufig Angst, dass sein Finanzvermögen
bald nichts mehr wert sein könnte. In Umfragen geben 54 Prozent der
Deutschen an, dass sie sich vor einer Inflation fürchten.
Dies mutet zunächst erstaunlich an. Momentan beträgt die Geldentwertung in
Deutschland nur 1,7 Prozent, was sensationell niedrig ist. Aber die
sorgenvollen Deutschen interessiert ja nicht die Gegenwart, sie fürchten um
die Zukunft. Die großen Angstwörter heißen „Staatsverschuldung“ und
„Notenpresse“.
Die Gedankenkette dahinter ist nicht lang und auch fast täglich als
Interview mit Bundesbankchef Jens Weidmann nachzulesen: Um die Eurokrise
einzudämmen, wird irgendwann die Europäische Zentralbank eingreifen. Sie
wird die Staatsanleihen der Krisenländer aufkaufen, um deren Zinsen zu
senken. Damit druckt sie faktisch Geld. Mehr Geld bedeutet mehr Inflation.
Dieser Ansatz geht letztlich davon aus, dass Geld so funktioniert, als wäre
der Euro eine Kartoffel. Kartoffeln werden auch billiger, wenn es mehr
davon gibt. Genauso soll das Geld an Wert verlieren, wenn die Eurozone
damit überschwemmt wird. Schließlich scheint es sich doch in beiden Fällen
um Märkte zu handeln: Auf Wochenmärkten wird Gemüse gehandelt und auf den
viel zitierten „Finanzmärkten“ die Euros.
## Schöpfung aus dem Nichts
Doch so einleuchtend diese Analogie scheint, sie ist falsch. Auch wenn die
Zentralbank Milliarden um Milliarden Euro drucken sollte – es wird nicht zu
einer Inflation kommen.
Denn Geld ist kein Gut wie eine Kartoffel. Dies fängt schon mit der
leidigen Frage an, wie Geld überhaupt entsteht. Kartoffeln wachsen
bekanntlich im Boden. Das Geld hingegen wird aus dem Nichts geschöpft – und
zerrinnt ins Nichts. Geld entsteht in genau jenem Moment, in dem ein Kredit
vergeben wird. Und es verschwindet, wenn ein Darlehen zurückgezahlt wird.
Daraus folgt unmittelbar: Die Notenbanken drucken zwar Geld, aber sie sind
nur Minidruckereien. Die eigentliche Geldschöpfung findet bei den
Privatbanken statt, die ja die allermeisten Kredite vergeben. Jeder
Häuslebauer weiß: Die Hypothek bekommt er bei seiner Sparkasse, während die
EZB noch nicht einmal Kundenschalter hat.
Allerdings schöpfen die Privatbanken derzeit fast kein Geld: Vor allem in
den südeuropäischen Krisenstaaten werden kaum noch Kredite vergeben oder
nachgefragt. Die meisten Schuldner sind nur noch damit beschäftigt, ihre
Darlehen zurückzuzahlen, soweit es ihnen möglich ist. Ergebnis: Selbst wenn
die EZB Milliarden druckt, wird die Geldmenge nicht explodieren, weil bei
den Privatbanken das Kreditgeschäft stagniert. Damit ist eine Inflation
ausgeschlossen. Aber diese Erläuterungen beruhigen nicht unbedingt. Vielen
ist es unheimlich, dass Geld aus dem Nichts entsteht, und erinnern sich
prompt an Goethes Faust.
## Einfach mehr produzieren
Daher ist es vielleicht hilfreicher, die Realwirtschaft zu studieren. Auf
fast allen Märkten herrschen Überkapazitäten. Legendär sind die
Absatzschwierigkeiten bei den Automobilkonzernen, die ihre Produktion
sofort um 30 Prozent steigern könnten. Wenn plötzlich mehr Geld im Umlauf
wäre, hieße dies also keineswegs, dass es zu einer Inflation kommt –
stattdessen würde zu gleichen Preisen einfach mehr hergestellt.
Dies ist keine graue Theorie, sondern eine historische Erfahrung. Die
Wiedervereinigung mit der DDR führte dazu, dass die Geldmenge abrupt stieg.
Denn mit der Währungsunion am 1. Juli 1990 erhielten alle Ostbürger
Westmark. Ihre Einkommen wurden 1:1 umgestellt und ihre Sparvermögen 2:1.
Eine Milliardenschwemme brach plötzlich über die Bundesrepublik herein.
Noch schlimmer aus der Sicht von Inflationsphobikern: Die ehemaligen
DDR-Bürger wollten dieses Geld ausgeben und nicht auf ihren Konten horten.
Sie kauften sich Autos, Möbel, Unterhaltungselektronik und Jeans. Doch
trotz dieses Nachfrageschubs, oh Wunder, blieben die Preise stabil. Das
Statistische Bundesamt registrierte 1990 in Westdeutschland eine
Inflationsrate von 2,63 Prozent und 1991 von 3,73 Prozent. Eine
Hyperinflation sieht anders aus.
Die Erklärung ist denkbar schlicht. Die Fabriken haben einfach nur mehr
Waren produziert – zum gleichen Verkaufspreis. Der Kapitalismus ist so
flexibel, dass er auch plötzliche Nachfragesprünge mühelos bewältigen kann.
Es ist erstaunlich: Gerade Marktgläubige wie Jens Weidmann unterschätzen
die Leistungsfähigkeit des Marktes.
## Erstaunlicher Bundesbankchef
Professionelle Anleger sind da nüchterner. Die Bundesrepublik hat kürzlich
eine 30-jährige Anleihe versteigert – und sie ging zu einem Zinssatz von
nur 2,17 Prozent weg. Diese Mickerrendite zeigt: Die Investoren rechnen
offenbar nicht damit, dass die Inflation in den nächsten 30 Jahren
explodiert, denn sonst würden sie ja enorme Verluste machen. Es bleibt also
ein Rätsel, warum Bundesbankchef Weidmann eine massive Geldentwertung
fürchtet, während alle anderen Marktteilnehmer davon auszugehen scheinen,
dass eine Inflation nicht zu erwarten ist.
Dennoch sind die Anleger nicht sorgenfrei, aber ihr Problem ist ein
anderes: Sie fürchten eine Zeit, in der die Inflation sehr niedrig ist –
die Zinsen aber noch niedriger liegen. Das Grauen vor der „Negativrendite“
breitet sich aus. 30-jährige Anleihen zum Billigzins von 2,17 Prozent
werden ja nur akzeptiert, weil bei kürzeren Fristen längst ein reales Minus
droht. Jeder Sparer trauert inzwischen, denn seine Konten werfen nichts
mehr ab. Und nirgends ist ein Fluchtort. Auch bei Aktien,
Lebensversicherungen und Immobilien sinkt die Rendite beständig.
Denn Renditen werden aus dem Wachstum finanziert, das aber kollabiert, weil
europaweit ein rigider Sparkurs gilt. Auf dieser „Schuldenbremse“ bestehen
die Deutschen, damit es bloß zu keiner Inflation kommt, die sowieso nicht
droht. So kann man sich im Kreis in den Abgrund drehen.
31 Aug 2012
## AUTOREN
(DIR) Ulrike Herrmann
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