# taz.de -- Architekt über EM-Stadien: „Die Stadien sind Kathedralen“
       
       > Volkwin Marg hat für die EM die Stadien in Warschau und Kiew entworfen.
       > Mit der taz spricht er über „die Oligarchin“ Julia Timoschenko,
       > Sportboykotts und kleptomanische Piraten.
       
 (IMG) Bild: „Hier kommt eine Masse mit Begehr nach religiösen Ritualen zusammen“: Stadion in Kiew.
       
       taz: Herr Marg, Ihr Büro hat die Stadien in Warschau und Kiew geplant,
       werden Sie die Arenen während der EM besuchen? 
       
       Volkwin Marg: Nein. Das ist wie mit einer Kathedrale, am schönsten ist es,
       wenn man ganz allein drin ist. Ich werde nicht beim großen Pontifikalamt
       dabei sein.
       
       Finden Sie, dass Ihre Kathedralen von den Fußballfans entweiht werden? 
       
       Nö. Stadien sind seit 2.500 Jahren die größten öffentlichen
       Versammlungsräume. Heute dienen Stadien, zumindest zum Teil, kommerziellen
       Events.
       
       Sie bauen also die Hülle für ein kommerzielles Event? 
       
       Das ist nicht mein Anspruch. Aber die Stadien sind Kathedralen des
       säkularisierten Konsumzeitalters. Hier kommt eine Masse mit Begehr nach
       religiösen Ritualen zusammen. Es findet ein Gottesdienst auf heiligem Rasen
       statt.
       
       Es gibt unter den Stadionbesuchern aber die größten nur denkbaren
       Unterschiede. 
       
       Früher waren die Stadien Volksstadien, heute gibt es eine
       Stadionschichtung. Da bildet sich die Gesellschaft ab nach Konsumklassen.
       Es gibt VIP-VIPs, VIPs, Businessmenschen. Und dann noch die normalen
       Menschen.
       
       Die Klasse der Claqueure. 
       
       Die gehören nun mal zur Emotionalisierung der Masse dazu. Das ist so alt
       wie das alte Byzanz.
       
       Aber was ist heute anders? 
       
       Die Stadien sind heute alles große Event- und Hysterieschüsseln. Zusätzlich
       sind Deutungsangebote mit ihnen verbunden. Das lässt man sich manchmal sehr
       viel kosten. Sie sind ein Beitrag für das Identitätsprofil einer Stadt und
       eines Landes. Es sind ganz besondere Solitäre an ganz besonderen Orten.
       Deswegen sieht bei uns auch nie ein Stadion aus wie das andere.
       
       Hatten Sie Skrupel, in der Ukraine ein Stadion zu bauen? 
       
       Ach, was. Von Boykott halte ich gar nichts. Wenn ich eine Veränderung will,
       dann durch Kommunikation, nie über Isolation.
       
       Der Sportboykott von Südafrika gilt als Erfolg. 
       
       Vielleicht hat das die Wagenburgmentalität der südafrikanischen Weißen nur
       verfestigt. Man muss in die Ukraine fahren, bevor man irgendwas abschreibt
       und Vorurteile transportiert. Man muss aufpassen, dass man nicht zum
       Verfechter einer bigotten Moral wird. Kommunikation ist wichtig.
       
       Ein Stadion dient der Kommunikation mit einem Regime? 
       
       Für wen baut man? Für die Gesellschaft. Aber diese Gesellschaft hat in der
       Lebensdauer eines Stadions, manchmal schon während der Bauzeit,
       verschiedene Aggregatzustände. Als wir angefangen haben, war es die neue,
       freie Ukraine, die sich von der Sowjetunion gelöst hat. Als wir gebaut
       haben, war es Julia Timoschenko. Zur Einweihung kam Wiktor Janukowitsch,
       der Rowdy aus der Ostukraine.
       
       Klingt kompliziert. 
       
       Wir haben in Kiew eine VIP-VIP-Loge geplant, die war total transparent.
       Jetzt wird das alles opak-undurchsichtig gemacht. An dieser Nuance sieht
       man: Jetzt ist jemand anderes in der VIP-VIP-Loge. Aber nebenbei: Julia
       Timoschenko ist auch nur eine Oligarchin, die sich populistisch gibt.
       
       Aha. 
       
       Der Westen hat sich diebisch gefreut, dass das sowjetische
       Kauffahrteischiff von Piraten gekapert wurde. Die Piraten haben
       kleptomanisch alles an sich gerissen mit dem Schein des öffentlichen
       Rechts. Und nun geraten die Piraten, die sich die Fracht unter den Nagel
       gerissen haben, untereinander in Streit. Die Verlierer schreien nach Hilfe
       – und der Westen sagt: Das geht ja nicht sehr demokratisch zu auf dem
       Piratenschiff. Diese Art der Betrachtungsweise finde ich bigott.
       
       Welchen Auftrag von Piratenseite würden Sie ablehnen? 
       
       Es ging mal um ein Kongressgebäude in Tripolis, in Wirklichkeit aber um den
       sogenannten Volkskongress des Gaddafi, wo der jeden Freitag seine Rede
       halten sollte. Da habe ich mich wieder verdrückt.
       
       In Kiew hatten Sie fünf verschiedene Bauherren. Klingt nach Chaos. 
       
       Man muss starke Nerven haben. Bevor wir anfingen, mussten wir erst mal ein
       schwarz gebautes Einkaufszentrum auf dem Vorplatz abreißen. Und während wir
       bauten, entstand ein Hochhausschwarzbau vorm Stadion. Das sind ukrainische
       Verhältnisse. Aber wir haben einen großen Vorteil gehabt: eine Kooperation
       mit ukrainischen Architekten. Ohne die wären wir genehmigungstechnisch
       gegen die Wand gefahren.
       
       Und in Polen? 
       
       Da sind wir noch weitergegangen. Die Polen haben einen großen
       Nationalstolz, aber auch eine große Sensibilität. Man muss auch wissen,
       dass das Stadion in Warschau selbst sehr sensibel ist. Das alte Stadion ist
       dort gebaut worden, wo die Rote Armee stehen blieb und von dort aus
       zuguckte, wie die deutsche Wehrmacht Warschau zusammenschmiss. Dann wurden
       die Trümmer aus Warschau über die Weichsel gebracht und ein Trümmerstadion
       für 100.000 Leute aufgeschichtet. Das neue Stadion sitzt nun wie eine Krone
       auf dem alten.
       
       Das Stadion war mit fast einer halben Milliarde Euro teuer. 
       
       Wir waren sehr erstaunt. Die Polen verlangten im Programm viel mehr, als
       man für ein Stadion braucht. Es konnte es nicht üppig und nicht großzügig
       genug sein. Auch der innere Ausbau ist erstklassig. Das ist Ausdruck des
       Nationalstolzes. Man wollte mit einem Fußballpalast bestechen.
       
       Entsteht so ein weißer Elefant, ein nutzloses, teures Ungetüm? 
       
       Es gibt keine großen Stadien, die rentabel sind. Es gibt immer nur weiße
       Elefanten. Stadien sind per se keine rentierlichen Bauten. Der Nutzen ist
       nicht im kapitalistischen Sinne vorhanden. Stadien sind jedenfalls nicht
       kurzfristig profitabel.
       
       Sie denken nicht an eine schwarze Null bei der Planung? 
       
       Diese Stadien sind mehr als Nutzbauten, es sind Weihestätten. Es gäbe keine
       Bereitschaft, so viel Geld hineinzustecken, wenn man damit nicht immer eine
       Botschaft verbände.
       
       Was ist mit den Werbeeinnahmen? 
       
       Das alles funktioniert nur, indem man sehr viel Werbung betreibt. Das
       Publikum im Stadion dient als Animationsmasse für eine virtuelle
       Millionenmasse vorm Fernseher. Die Uefa schiebt die Werbung jetzt ganz
       dicht an die Ränge heran, damit die Werbung häufiger auf den Bildschirm
       kommt. Von den unteren Plätzen sieht man die Spieler aber nur ab dem Knie.
       Das ist der Uefa egal.
       
       Welchen Handlungsspielraum haben Sie als Architekt dabei? 
       
       Null. Unsere Gesellschaft leidet unter einem kommerziellen Diktat. Sie gibt
       zunehmend den Widerstand auf. Früher gab es an Bahnhöfen nur Reiseproviant.
       Heute sind ein großes Kaufhaus mit ein paar Bahnsteigen. Ein Stadion kann
       kein Kaufhaus sein, weil es zu selten genutzt wird. Es kann viel über die
       Werbung einnehmen. Das Gerede von Nachhaltigkeit ist verlogen.
       
       Warum? 
       
       Unsere Gesellschaft huldigt der Philosophie des unendlichen
       Wirtschaftswachstums. Im Grunde ist das eine bösartige Zwecklüge
       beziehungsweise eine Plünderungsverschleierung. Das Bedürfnis der Masse
       nach Fußball bringt Wasser auf die Wachstumsmühle. Es findet eine große
       Ressourcenvernichtung für ein paar Wochen Aufmerksamkeit statt. Das ist ein
       Vergeudungsspektakel. In Ländern wie Katar, WM-Ausrichter 2022, wird das
       auf die Spitze getrieben.
       
       7 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Markus Völker
       
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