# taz.de -- Neonazis in Griechenland: Graben in der Vergangenheit
       
       > Die Wahlerfolge der Neofaschisten rufen auch griechische
       > Holocaustüberlebende auf den Plan. Endlich wird deren Geschichte auch
       > gehört.
       
 (IMG) Bild: Ein Funktionär der griechischen Neonazis verteidigt am Montag auf einer Kundgebung seinen prügelnden Kumpanen.
       
       ATHEN afp | Isaac Mizan erinnert sich daran, wie er beim Aufwachen den
       Rauch aus den Öfen des Krematoriums aufsteigen sah. Das war 1944, und die
       Nazis verbrannten die Leichen der Ermordeten im Konzentrationslager
       Auschwitz. Als 16-Jähriger wurde der griechische Jude mit seinen Eltern und
       drei Schwestern aus seiner Heimatstadt Arta im Westen des Landes
       deportiert. Nur er und seine Schwester überlebten.
       
       Lange wurde das Schicksal zehntausender Juden in Griechenland nach der
       deutschen Besatzung 1941 totgeschwiegen. Doch der Erfolg der
       neofaschistischen Partei Chryssi Avgi („Goldene Morgenröte“) bei der
       Parlamentswahl im Mai war für einige Überlebende Anlass, von ihrer
       Leidensgeschichte zu erzählen.
       
       „Es raubte mir den Schlaf, als ich sah, dass sie ins Parlament gewählt
       wurden“, sagt der heute 85-jährige Mizan. Die Ohrfeige, die der
       Parteisprecher der Neonazis, Ilias Kasidiaris, vergangene Woche vor
       laufender Kamera einer kommunistischen Abgeordneten verpasste, hat die
       Debatte über die extreme Rechte in Griechenland weiter angefacht.
       
       „Manche Opfer warfen sie sogar lebend in Seen“, schilderte Mizan die
       Gräueltaten der Nazis bei einer Veranstaltung in der Athener Universität
       Ende Mai. 400 Menschen drängten sich in den Hörsaal, um Mizan und vier
       anderen Holocaust-Überlebenden zuzuhören. Eine Beschäftigung mit dieser
       Phase der griechischen Geschichte ist selten. Erst seit kurzem wird der
       Judenmord in Griechenland überhaupt in den Geschichtslehrbüchern der
       Schulen erwähnt.
       
       ## Auschwitz, was ist Auschwitz?
       
       „Es ist nur ein kleiner Teil in den Büchern“, sagt der Student Manos
       Roditakis. „Es wird erwähnt, dass es in ganz Europa einen Holocaust gab -
       auch in Griechenland. Aber sehr viel genauer wird darauf nicht
       eingegangen.“ „Es gab keine Öfen und keine Gaskammern, das sind alles
       Lügen“, sagte der Parteichef der Neofaschisten, Nikos Mihaloliakos, in
       einem Fernsehinterview. Er habe viele Bücher gelesen, die ihn zweifeln
       ließen, dass tatsächlich sechs Millionen Juden ermordet worden seien.
       „Auschwitz, was ist Auschwitz? Was ist dort geschehen?“, fragte der Neonazi
       in dem Interview.
       
       Vor dem Zweiten Weltkrieg prosperierte die jüdische Gemeinde über
       Jahrhunderte in Griechenland, vor allem rund um Thessaloniki im Norden.
       Heute leben noch etwa 6000 Juden im Land, doch sie treten öffentlich kaum
       in Erscheinung, ihre Geschichte wird selten erzählt. „Es herrschen
       Schweigen und Gleichgültigkeit unter den Menschen in Griechenland“, sagt
       ein anderer Holcaust-Überlebender, Alexandros Simha. „Aber jetzt beginnen
       sie, ein bisschen in ihrer Vergangenheit zu graben.“
       
       6,9 Prozent der Stimmen, das entspricht 21 der 300 Parlamentssitze, hatten
       die Neofaschisten bei der Wahl Anfang Mai erzielt. 2009 hatte die Partei
       noch nicht einmal ein Prozent der Stimmen auf sich vereinen können. Die
       Neonazis hätten von der „gesellschaftlichen Toleranz“ profitiert und die
       „Beunruhigung angesichts der Einwanderungswelle, der Wirtschaftskrise und
       der Verarmung“ für sich zu nutzen gewusst, sagt die Kriminologin Sophia
       Vidali von der Universität Thrakien. Nun, durch den Wahlerfolg, seien sie
       „aus dem Schatten getreten und ihr faschistisches Verhalten wurde
       offensichtlich.“
       
       Nach der Ohrfeige im Fernsehstudio erwartet Thanassis Diamantopoulos,
       Politologe an der Athener Universität, eine „Isolation der Partei“, obwohl
       der Schläger Kasidiaris in den sozialen Netzwerken viel Zuspruch erhalte.
       Laut Umfragen vor der für kommenden Sonntag angesetzten Neuwahl verlor die
       „Goldene Morgenröte“ durch den Vorfall vier Prozentpunkte.
       
       12 Jun 2012
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Debatte Griechenland: Unrecht oder Armut
       
       Haben die Griechen eine Wahl? Nein, angesichts der drohenden Ohnmacht des
       Staates müssen sie wohl die korrupten Altparteien wählen.
       
 (DIR) TV-Debatte in Griechland: Neonazi schlägt Linkspolitikerin
       
       Erst schüttete Ilias Kasidiaris einer politischen Gegnerin Wasser ins
       Gesicht, dann schlug er zu. Die Staatsanwalt sucht den Politiker der
       rechtsradikalen Partei Goldene Morgenröte mit einem Haftbefehl.