# taz.de -- Das Geheimis der peruanischen Küche: Eine Revolution mit dem Kochlöffel
       
       > Die Köche sind politische Verbündete der Kleinbauern. In der „Erklärung
       > von Lima“ proklamieren sie Respekt vor Natur, Vielfalt und traditionellem
       > Wissen.
       
 (IMG) Bild: Gegrilltes auf einem Markt in Lima.
       
       Stell dir vor, in Lateinamerika findet eine Revolution statt, und das
       Gewehr bleibt zu Hause. Die jüngste Revolution, die ihren Ausgang in Peru
       nimmt, wird mit dem Kochlöffel ausgetragen. Dass man in der peruanischen
       Hauptstadt Lima gut isst, wussten bis vor ein paar Jahren nur die Insider.
       Heute zieht es immer mehr Touristen nach Peru wegen seiner Restaurants und
       der Kunst seiner Köche. Ihre Küche ist den Peruanern heilig.
       
       Heilig waren die Lebensmittel schon den Inka und den anderen Völkern, die
       vor der Ankunft der Spanier an der Pazifikküste und in den Anden lebten.
       Die Früchte der Mutter Erde, der Pachamama, wurden in personifizierten
       Keramikdarstellungen den Herrschern mit ins Grab gelegt.
       
       In jedem peruanischen Museum kann man heute Mais- und Kartoffel-Skulpturen
       aus präkolumbianischer Zeit bewundern. Auch der „Ceviche“, das peruanische
       Nationalgericht aus rohem Fisch, hat vorspanische Wurzeln.
       
       „Den Ceviche bereiten alle Peruaner zu, der von der Pazifikküste genauso
       wie der Fischer vom 4.000 Meter hoch gelegenen Titicacasee.“
       
       Was denn sein Lieblingsgericht sei? Auch Bernardo Roca Rey als oberster
       Gastronomiehüter soll sich um die obligate peruanische Frage nicht drücken.
       
       Er streicht sich durchs graue Bärtchen und blickt von seinem Penthouse auf
       den noch nebelverhangenen Himmel von Lima. „Heute kommt noch die Sonne
       heraus, da gibt es nichts Besseres als einen Ceviche.“
       
       Bernardo Roca Rey ist stolz darauf, dass er den Stolz der Peruaner auf ihre
       Küche geweckt hat. Neun Millionen Kochbücher hat der Verleger über sein
       Zeitungs-Imperium El Comercio an peruanische Haushalte verteilt.
       
       Vor allem aber hat der studierte Chemiker und Hobbykoch die
       landwirtschaftlichen Produkte der Anden in den Küchen der Hauptstadt
       salonfähig gemacht.
       
       Die Getreidesorten Kiwicha, Quinoa oder Kanihua, die Oca-Wurzel, die lila
       Kartoffel oder Alpacafleisch: all die in der Hauptstadt als indianisch und
       bäuerisch verschrienen Nahrungsmittel erfahren in der „Cocina novoandina“ –
       der neuandinischen Küche – besondere Wertschätzung.
       
       ## Das Paradies in Lima
       
       „Gehe auf einen Markt in Lima, wenn du das Geheimnis der peruanischen Küche
       entdecken willst“, rät Bernardo Roca Rey. Inmitten der grauen
       Wüstenmetropole Lima sind die traditionellen Lebensmittelmärkte ein
       Paradies an Farben, Formen und Geschmäckern.
       
       Was es heißt, dass Peru das Land mit einer der weltweit größten
       Biodiversität ist, das kann man auf jedem Markt in Lima mit dem Auge
       erfassen und mit Händen greifen.
       
       Saftige Orangen, errötende Mangos, lila Mais und sattgrüne Avocados liegen
       neben Kartoffeln jeder Größe, Form und Farbe. In Papiersäcken kann man
       Quinoa, Linsen, Bohnen aller Schattierungen, Kanihua, Kiwicha und Reis
       kaufen.
       
       ## Mit Kräutern gegen böse Geister
       
       Von einer Leine hängt eine Vielfalt von Kräutern, die der Volksglaube nicht
       nur in der Küche, sondern schon auch mal für die Austreibung böser Geister
       verwendet. Am Fischstand liegt der Reichtum des Pazifischen Ozeans. Und
       dazwischen darf die Pfefferschote „Aji“ nicht fehlen, ohne die es kein
       peruanisches Gericht gibt.
       
       Auch von der Aji gibt es nicht eine, sondern zig Sorten in allen Farben,
       wie wenn die Natur so der kargen Küstenlandschaft ein Schnippchen schlagen
       will.
       
       Das zweite Geheimnis der peruanischen Küche ist die vielfältige kulturelle
       Herkunft seiner Bewohner. Die Inkas hatten ihren Mais, ihre Kartoffeln und
       ihre Ehrfurcht vor den Früchten der Erde.
       
       ## Rinderherz am Spieß
       
       Jedes Volk, das danach seinen Fuß nach Peru setzte, hat aus seinem
       Heimatland etwas Kulinarisches mitgebracht: die Spanier den Zucker und die
       Vorliebe der Bewohner Limas für leckere Süßspeisen – ein Erbe der im
       kolonialen Lima zuhauf ansässigen Frauenklöster, die mit der Herstellung
       von Süßem ihren Lebensunterhalt bestritten; die zwangsweise hergeschafften
       Afrikaner brachten die Kunst der Zubereitung von Innereien – die so delikat
       ist, dass das gebratene Rinderherz am Spieß, „Antichucho“, zu einem der
       beliebtesten Gerichte gehört.
       
       Italienische Einwanderer haben ihre Pasta und Soßen mitgebracht; Chinesen,
       welche die afrikanischen Sklaven auf den Plantagen ablösten, die
       kreolisch-chinesischen „Chifas“, die man in Peru an jeder Straßenecke
       findet.
       
       Die Japaner haben die Kunst der Fischfiletierung verfeinert und
       mitgeholfen, dass dem japanischen Sushi im peruanischen Ceviche eine
       Konkurrenz erwachsen ist.
       
       Vielfältigkeit bringt in Peru seit der spanischen Kolonisation auch
       Hierarchisierung: je weißer und europäischer jemand ist, desto weiter oben
       auf der gesellschaftlichen Leiter steht er. Dies gilt auch noch im heutigen
       Peru.
       
       ## Diversität in der Küche
       
       Nur in der Küche ist das anders: da ist die Diversität auf einmal ein Plus,
       etwas, worauf man stolz sein kann. „Die Gastronomie ist in Peru eine
       kulturelle, ja fast eine spirituelle Angelegenheit“, sagt Bernardo Roca
       Rey.
       
       Die bekanntesten peruanischen Köche haben deswegen die peruanische
       Gastronomievereinigung Apega gegründet, Bernardo Roca Rey ist ihr
       Präsident.
       
       Der Boom der peruanischen Gastronomie sei nicht einfach ein Boom der
       Kulturelite, meint er, sondern eine Revolution von unten. Ihren Höhepunkt
       hat diese Revolution jedes Jahr im September.
       
       Seit vier Jahren veranstaltet Apega die Gastronomiemesse „Mistura“ in Lima.
       Und jedes Jahr steigen die Besucherzahlen. 500.000 waren es letzten
       September, „die meisten Eintrittskarten haben wir in den Vororten und
       Armenvierteln verkauft“, berichtet Roca Rey.
       
       ## Buntgescheckte Kartoffeln
       
       Das Besondere an Apega: Edelrestaurants verkaufen dort ihre Gerichte zu
       einem billigen Preis, ebenso wie die Frauen aus dem Tiefland, die statt
       Koka nun Kakao anbauen und Schokolade herstellen, oder die Kartoffelbäuerin
       aus den Anden, die stolz ihre lila, braunen, roten und buntgescheckten
       Kartoffeln präsentiert, die Konditorin, die hausgemachten Quinoa-Flan
       anbietet, oder die Eismacherin mit Eis aus Amazonasfrüchten, deren Namen in
       unseren Ohren noch so exotisch klingen wie vor 100 Jahren das Wort "Banane"
       in den Ohren unserer Vorfahren.
       
       „Mistura“ ist in seiner kulturellen Dimension für Peru das, was das
       Oktoberfest für München ist. Nur dass man statt mit Bier das Essen mit
       einem Traubenschnaps, dem Pisco, begießt.
       
       Bei so viel Begeisterung für die Küche mag es nicht verwundern, dass die
       Küche in Peru längst auch eine politische Bedeutung erlangt hat.
       
       ## Respekt vor der Natur
       
       Ein Beispiel dafür, wie man mit dem Kochlöffel in den Kampf ziehen kann,
       ist die „Erklärung von Lima“, in der die bekanntesten Gourmet-Köche ihren
       Respekt vor der Natur, vor der kulturellen Vielfalt und dem traditionellen
       Wissen proklamieren.
       
       Die Köche der „Haute Cuisine“ sind heute politische Verbündete der
       Kleinbauern in den Anden, die unter mühsamen Bedingungen Hunderte von
       Kartoffel- oder Quinoasorten pflegen und anbauen.
       
       Dem Einsatz der Köche ist es auch zu verdanken, dass die peruanische
       Regierung die Einfuhr von genmanipuliertem Saatgut ausgesetzt hat. „Wir
       setzen nicht auf Massenware und Billigketten“, sagt Roca Rey.
       
       ## Der große „Chef“ als Vorbild
       
       Nicht wenige Jugendliche wollen in Peru dem Beispiel der großen „Chefs“
       folgen und Koch werden.
       
       Paul Gamboa ist einer von ihnen. Stolz trägt er seine schwarze Kochuniform.
       Der 18-Jährige ist seit einem Jahr Kochlehrling in der Kochschule von
       Gaston Acurio, dem charismatischen Leader unter den peruanischen
       Chefköchen.
       
       Bei Gaston Acurio zu studieren, das ist so wie ein Harvard-Stipendium für
       zukünftige Starköche. Paul hat kurze schwarze Haar, lebhafte dunkle Augen
       blitzen unter der Kochmütze hervor.
       
       Er selbst kommt aus sehr einfachen Verhältnissen, ist in dem Armenviertel
       aufgewachsen, in dem Gaston Acurio jedes Jahr aus 800 Bewerbern 45
       Lehrlinge auswählt.
       
       ## Eine soziale Mission
       
       Früher musste man ins Priesterseminar oder zum Militär, wenn man als armer
       Junge in Peru zu Ansehen gelangen wollte. Heute kann man auch Koch werden.
       Denn Kochen ist in Peru eine Passion und eine soziale Mission.
       
       Paul hat dies nach einem Jahr Kochschule schon verinnerlicht: „Ich möchte
       später nicht einfach nur ein Restaurant für mich haben, sondern damit auch
       mehr Leuten helfen und Arbeit geben.“
       
       In Peru gibt es seit Kurzem ein Wort dafür. Eines, das von ganz oben
       verkündet wird. „Soziale Inklusion“ hat der linksnationale Präsident
       Ollanta Humala seinem Land verordnet. In der guten peruanischen Küche
       scheint sie schon heute Wirklichkeit zu sein.
       
       16 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hildegard Willer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Reiseland Peru
 (DIR) Torte
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Tortenkunst ist rechtens: Legalisiertes Zuckerzeug
       
       Das Amtsgericht Lübeck hat entschieden, dass Sylvia Zenz‘ Tortendesign
       Kunst ist. Sie braucht sich also nicht in die Handwerksrolle einzutragen.