# taz.de -- Plädoyers im RAF-Prozess: Bubacks Wille zum Wissen
       
       > Im RAF-Prozess wirft Michael Buback den Ermittlern schwere Fehler vor.
       > Stunde umd Stunde legt er dar, warum er Verena Becker für die
       > Todesschützin hält – anschauen tut er sie nicht.
       
 (IMG) Bild: 137 Seiten hat Michael Buback am Donnerstag verlesen. Etwa noch einmal so viele sollen am Freitag folgen.
       
       STUTTGART taz | Während Michael Buback spricht, schaut Verena Becker ihn
       ununterbrochen an. Stunde um Stunde tut sie das. Der Senat, die
       Bundesanwaltschaft, die Verteidiger und auch seine eigenen Anwälte sind
       irgendwann um Haltung nur noch bemüht, das frühere RAF-Mitglied aber sitzt
       noch immer aufrecht auf ihrem Stuhl im Saal des Oberlandesgerichts
       Stuttgart und hört zu, wie Buback sie des Mordes an seinem Vater
       bezichtigt. Eine Sonnenbrille verdeckt ihre Augen.
       
       Oberstaatsanwältin Silke Ritzert deutet Beckers Verhalten im Prozess als
       Beleg für ihre Zähigkeit und Ausdauer. Fähigkeiten, die auch Peter-Jürgen
       Boock Verena Becker zugeschrieben hat. Immer wieder fällt am Donnerstag der
       Name des früheren RAF-Mitglieds, als die Bundesanwaltschaft begründet,
       warum sie Verena Becker zwar nicht für die Todesschützin hält, sie aber der
       Beihilfe am Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seinen beiden
       Begleitern am 7. April 1977 bezichtigt.
       
       Die Bundesanwaltschaft fordert vier Jahre und sechs Monate Gefängnis für
       die 59-jährige Angeklagte. Da ihr kein Nachteil daraus entstehen dürfe,
       dass sie wegen des Anschlags nicht bereits nach ihrer Verhaftung 1977
       verurteilt wurde, müssten zwei Jahre als verbüßt gelten. Übrig blieben zwei
       Jahre und sechs Monate, ohne Bewährung.
       
       Der wichtigste Zeuge der Anklage ist Boock. Er habe berichtet, dass sich
       Becker besonders intensiv dafür eingesetzt habe, den Willen der in
       Stammheim inhaftierten RAF-Mitglieder durchzusetzen. Dazu habe auch der
       Tötungsbefehl „Der General muss weg“ gehört. Dass Boock seine Angaben in
       der Hauptverhandlung relativiert hat, erwähnt Ritzert in ihrem Plädoyer
       nicht. Es gebe „keine Zweifel an seiner Zuverlässigkeit als Zeuge“, sagt
       sie.
       
       ## „Mit Absicht“
       
       Nach Überzeugung der Ankläger hat Becker die unmittelbaren Täter in ihrem
       Entschluss bestärkt, Siegfried Buback zu töten, und auf die baldige
       Durchführung des Attentats bei einem Treffen in Holland gedrungen. Sie habe
       „mit Absicht“ die heimtückische Ermordung von Menschen aus niederen
       Beweggründen unterstützt.
       
       DNA-Spuren von ihr auf drei Umschlägen, mit denen nach dem Anschlag
       Bekennerschreiben verschickt wurden, zeigten, dass sie auch nach dem
       Anschlag die Tat gutgeheißen habe. Auch handschriftliche Aufzeichnungen,
       die in ihrer Wohnung gefunden wurden, belegten ihre Beteiligung. Etwa die
       Notiz vom 31. Jahrestag des Anschlags: „Nein, ich weiß noch nicht wie ich
       für Herrn Buback beten soll, ich habe kein wirkliches Gefühl von Schuld u.
       Reue. Natürlich würde ich es heute nicht mehr machen – aber ist es nicht
       armselig so zu denken u. zu fühlen?!“
       
       [1][Dass Verena Becker am 89. Verhandlungstag ihr Schweigen gebrochen hat],
       wertet die Bundesanwaltschaft nicht als strafmildernd. Sie habe sich in
       ihrer Erklärung am 14. Mai nicht von den Taten der RAF distanziert, sondern
       nur „lapidar“ auf ihre Äußerung im Begnadigungsverfahren verwiesen.
       
       In ihrem Gnadengesuch an den damaligen Bundespräsidenten Richard von
       Weizsäcker hatte Becker am 10. Januar 1989 geschrieben, dass sie
       erleichtert sei, dass sie die Polizisten bei ihrer Festnahme nicht tödlich
       verletzt habe. Sie schrieb von Zweifeln am eigenen Tun und vom Leid, dass
       sie mitverursacht habe. Sie benannte auch die Notwenigkeit, den Opfern
       Respekt zu zollen und sich ihrer eigenen Verantwortung zu stellen.
       Oberstaatsanwältin Ritzert wirft Becker vor, dass sie dies im Prozess nicht
       öffentlich wiederholt hat.
       
       Vielleicht aber lässt sich die Aufmerksamkeit, die die Angeklagte Buback am
       Donnerstag über Stunden schenkt, als Versuch deuten, ihm wortlos Respekt zu
       zollen. Ob Buback ihre Blicke bemerkt, ist ungewiss. Während seines
       Plädoyers blickt er auf seine Unterlagen, auf den Senat und hin und wieder
       in die Reihen der Zuhörer. Zu Verena Becker aber blickt er nicht.
       
       ## „Anstachelung“ und „Ungerechtigkeit“
       
       Verena Becker wegen „Anstachelung“, also Beihilfe zu verurteilen, käme
       einer „Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit“ gegenüber anderen früheren
       RAF-Terroristen gleich, sagt Buback. Würde Becker deshalb verurteilt,
       müssten andere Exterroristen auch angeklagt werden. Auch Beckers DNA-Spuren
       an den Briefumschlägen wertet Buback nicht als besonders bedeutsam. Er
       verwies auf Boock, der in der Hauptverhandlung sagte, auch seine Spuren
       hätten auf den Schreiben gefunden werden können. Wenn die
       Bundesanwaltschaft Boock als glaubwürdig erachte, müsse sie seine Angaben
       auch in Gänze berücksichtigen, fordert Buback.
       
       In der Pause erhält Buback dafür Lob von der Verteidigung. „Es sei eine
       perfekte Verteidigungsrede gewesen“, gibt Buback lachend die Worte von
       Beckers Anwalt Walter Venedey wieder. Nach der Pause ist von verteidigenden
       Worten nichts mehr zu hören. Buback ist auch am 93. Verhandlungstag noch
       überzeugt, dass Becker seinen Vater erschossen hat. Sie sei nicht wegen
       Beihilfe zu verurteilen, sondern wegen Mordes.
       
       ## „Bedenkliche Neigung“ der Ermittler
       
       Es gebe „zahlreiche Hinweise auf die unmittelbare Beteiligung einer Frau“,
       sagt Buback: „Wie kann da die Bundesanwaltschaft darauf beharren, dass
       keine Frau an dem Anschlag beteiligt war?“ Er spricht von der „bedenklichen
       Neigung“ der Ermittler, „weniger geeigneten Zeugen den geeigneten
       vorzuziehen“.
       
       Georg V. ist einer dieser im Bubacks Sinne „geeigneten“ Zeugen. „Ich bin
       mir auch heute noch mit 99 Prozent sicher, dass die Person auf dem Rücksitz
       des Motorrads, die also die Maschinenpistole hatte, ein Mädchen war“, sagt
       V. Im Jahr 1982 der Polizei. Er wiederholt es 1983 und ergänzt, dass die
       Frau eine lange spitze Nase mit geweiteten Nasenflügeln hatte. Er habe das
       aus 70 bis 80 Metern Entfernung erkennen können. Vor Gericht konnte er
       nicht mehr aussagen. Der Zeuge ist tot.
       
       Zu den „geeigneten“ Zeugen zählt Buback auch eine Frau, die aus 30 bis 40
       Meter Entfernung von ihrem Büro aus ebenfalls eine weibliche Person auf dem
       Motorrad erkannt haben will. Auf das Geschlecht habe sie anhand der Länge
       des Oberschenkels geschlossen. Die Beifahrerin habe auf der Suzuki bei sehr
       niedriger Geschwindigkeit in extremer Schräglage nahezu artistische
       Schießbewegungen gemacht – wider allen Naturgesetzen, resümierte damals die
       Bundesanwaltschaft und beantragte, die Aussage für nichtig zu erklären.
       
       ## „Informationsvernichtung“
       
       Dass ein anderer Zeuge, der direkt vor den beiden Motorradfahrern stand,
       sich an vieles nicht erinnert, aber an rotblonde Haare auf dem Rücken einer
       eindeutig männlichen Hand des Beifahrers, hatte Buback schon direkt nach
       dessen Vernehmung vor Gericht nicht überzeugt. Die Begegnung ereignete sich
       am Tatmorgen, drei bis vier Kilometer vom Tatort entfernt. Für Buback heißt
       das: Der Beifahrer auf dem Motorrad könnte noch gewechselt haben.
       
       Buback spricht von einer ganzen Reihe „schwerster ermittlungstaktischer
       Fehler“ und von „Informationsvernichtung“. Er wirft den Ermittlungsbehörden
       vor, Akten manipuliert und Hinweise auf eine Frau vernichtet zu haben.
       
       Der Senat, die Anwälte, die Beobachter – sie alle sind mittlerweile immer
       tiefer in ihren Sitzen versunken. Nur Verena Becker sitzt noch immer
       aufmerksam und aufrecht auf der Anklagebank und hört zu, wie Buback sie
       bezichtigt, seinen Vater erschossen zu haben. Am Freitag setzt Buback seine
       Anklage fort.
       
       15 Jun 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Verena-Beckers-Aussage-vor-Gericht/!93384/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wiebke Ramm
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Prozess gegen RAF-Terroristin Becker: „Becker ist schuldig“
       
       Verena Becker habe den Buback-Mord „mit verursacht“, plädiert die
       Bundesanwaltschaft. Sie habe aber weder geschossen noch die Tat unmittelbar
       vorbereitet.
       
 (DIR) Beckers Aussage vor Gericht: „In allen Punkten unzureichend“
       
       Nach Aussage von Verena Becker gibt sich Nebenkläger Michael Buback
       enttäuscht. Sie hätte wenigstens sagen können, wer zum Attentat in
       Karlsruhe war, so Buback.
       
 (DIR) Verena Beckers Aussage vor Gericht: „Ich war nicht in Karlsruhe“
       
       Die ehemalige RAF-Terroristin Verena Becker hat eine Beteiligung am
       Buback-Mord bestritten. Sie habe nur eine Vorbesprechung erlebt. Wer damals
       schoss, ließ sie offen.
       
 (DIR) Frühere RAF-Terroristin Verena Becker: Die Agentin
       
       Wegen der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback steht Verena
       Becker vor Gericht. Ausgerechnet Bubacks Behörde könnte ihre Verfolgung
       vereitelt haben.
       
 (DIR) Prozess zum Buback-Mord: Verena Becker will sich erstmals äußern
       
       Die Ex-RAF-Terroristin Verena Becker will sich im Prozess um den Mord an
       Generalbundesanwalt Buback zu Wort zu melden. Sie könne einige Sachen „so
       nicht stehenlassen“.