# taz.de -- Mini-Berlin im brandenburgischen Wald: Der Buddha im Reichstag
       
       > Alles ändert sich, sagen die Buddhisten von Sommerswalde. Wo kann man das
       > besser erleben als im Reichstag, der zum Kloster wurde?
       
 (IMG) Bild: Weltweit zu Hause: Buddha gibt es auch in brandenburgischen Waldschlössern.
       
       SOMMERSWALDE taz | Gisela weiß, was sie will. „Trauste dich da nich’ hin?“,
       fragt die weißhaarige Dame ihre Freundin. „Is’ doch allet offen. Die laden
       doch ein.“ Sie geht zum Eingangsportal. Das Gebäudeinnere liegt im
       Halbdunkel, Gisela kneift die Augen zusammen und späht hinein.
       
       „Na, da müssense aber noch jede Menge machen.“ Da öffnet sich die Tür vor
       ihr, und Gisela sagt nichts mehr. Ist halt doch was anderes, wenn einem ein
       1,90 Meter großer buddhistischer Mönch die Tür zum Reichstag öffnet, erst
       recht hier in Brandenburg.
       
       Kelsang Ananda ist daran gewöhnt, an diese Mischung aus Interesse und
       Befremden. „Möchten Sie hereinkommen?“, fragt er mit sanfter Stimme, aber
       Gisela Glase und ihre Freundin haben genug gesehen. Während die beiden die
       Treppe hinabsteigen, raunt die eine der anderen zu: „Meine Kinder werden
       sagen: Wo wart ihr denn?“ Eine wirklich gute Frage.
       
       Hier, 35 Kilometer nördlich von Berlin, liegt ein einzigartiges Ensemble.
       Das ehemalige Gut Sommerswalde illustriert den irrwitzigen Verlauf der
       deutschen Geschichte seit der Kaiserzeit. Und manchmal scheint es, als
       hätte sich darüber niemand mehr amüsiert als sein exzentrischer Erbauer.
       
       ## Leutnant mit gezwirbeltem Schnauzbart
       
       Zwischen 1888 und 1891 schuf Richard Sommer hier, in einer Waldlichtung
       nahe dem Dorf Schwante, ein prunkvolles Heim für sich, seine Frau und die
       elf Kinder. Sommer, ein Leutnant a. D. mit nach oben gezwirbeltem
       Schnauzbart, entstammte einer reichen Berliner Familie.
       
       Dem Großvater und Vater gehörten viele begehrte Gebäude und Grundstücke,
       darunter Häuser, die ans Brandenburger Tor grenzten, eine brillante
       Geldanlage in der neuen, rasant wachsenden Reichshauptstadt. Vieles
       verkaufte Leutnant Sommer, um sich mit dem Erlös seinen Traum zu erfüllen,
       ein Rittergut mit seinem Namen, ein Ensemble aus Miniatur-Reichstag, Rotem
       Rathaus und Moschee.
       
       Im Maßstab 1 zu 3 ließ Sommer den 1882 preisgekrönten ersten Entwurf des
       Architekten Paul Wallot für den Berliner Reichstag hier errichten. Ein Bau
       der Neorenaissance, trotz seiner Pracht und der ursprünglich vorhandenen
       Kuppel wirkt er deutlich eleganter als der Berliner Bau. Das
       Parlamentsgebäude wurde erst drei Jahre später fertig, die Pläne wurden
       erheblich verändert und der Bau geriet wilhelminisch-wuchtig.
       
       Zur Linken des brandenburgischen Reichstags ließ Sommer einen roten
       Klinkerbau mit zentralem Turm errichten. Er ähnelt dem Roten Rathaus von
       Berlin – und diente als Stall für bis zu zwanzig Rassehengste. Zur Rechten
       wuchs ein Bau mit Zwiebeltürmen und Minaretten in den Himmel – eine als
       Moschee getarnte Orangerie.
       
       ## Sandalen und ärmelloses Gewand
       
       Richard Sommers Nachfolger als Gutsherr empfängt den Gast an der
       Eingangstür. Draußen ist es heiß und gleißend hell, drinnen im Reichstag
       ist es kühl. Fast zu kühl für die Sandalen und das ärmellose Gewand von
       Kelsang Ananda. „’Kelsang‘ schreibt man: Konrad, Emil, Ludwig …“ Bevor der
       heute 38-Jährige vor zwölf Jahren Mönch wurde, hieß er Markus Rehnert. Er
       stammt aus Bonn, noch so einem Ort mit Parlamentsgebäude.
       
       Kelsang führt durchs Haus. Wo im Berliner Reichstag der Plenarsaal liegt,
       ist in Sommerswalde eine karge Eingangshalle. Von der Decke hängt eine
       Energiesparlampe. Zwei Nischen, in denen einst Skulpturen standen, sind
       provisorisch gefüllt mit Stehlampen von Ikea.
       
       Vor sechs Jahren kaufte die Neue Kadampa Tradition aus Berlin-Kreuzberg die
       marode Immobilie von einem Insolvenzverwalter. Für „deutlich unter einer
       Million Euro“, sagt Kelsang. Vor vier Jahren zog das „Kadampa
       Meditationszentrum Deutschland“ hier ein.
       
       Und noch immer gibt es viel zu tun, um das rund 2.000 Quadratmeter große
       Gebäude zu sanieren. Das tun die Buddhisten vorbildlich. Stuck, über
       Jahrzehnte verborgen unter abgehängten Decken, erstrahlt wieder in Gold und
       frisch gestrichenem Grau. Riesige, extra angefertigte Fenster eröffnen den
       Blick aufs Gelände: auf Teich, prächtige Birken, Eichen und Tannen. Vor
       zwei Jahren erhielten die Buddhisten einen Denkmalpflegepreis des Landes
       Brandenburg.
       
       ## Protzbau statt Plattenbau
       
       Warum ziehen Buddhisten, die alles Weltliche für flüchtig halten, in diesen
       Protzbau ein? „Wir suchten nach einem Ort, der schön und angenehm ist“,
       sagt Kelsang, die Hände vor der Brust umschlungen. „Deshalb sind wir nicht
       in ’nen Plattenbau in Marzahn gezogen. Es ist sehr ruhig hier, sehr nah an
       Berlin und sehr groß. Wir können hier viele Gäste unterbringen.“
       
       Das Geld für Kauf und Umbau stammt laut Kelsang aus Spenden der weltweit
       vernetzten Gemeinde. Die meisten Zentren gebe es in den USA. Der zentrale
       Buddha von Sommerswalde kommt aus Großbritannien, wie die Kadampa-Bewegung
       selbst. Dort entstand sie Anfang der neunziger Jahre. Im Kontrast zu ihrer
       westlichen Umgebung zu stehen sind sie gewohnt.
       
       Kelsang steigt die restaurierte Treppe ins Obergeschoss hinauf.
       Geschliffene Dielen, viel Tageslicht. Ungefähr da, wo im Berliner Reichstag
       der Bundesadler hängt, prangt in Sommerswalde ein großer, goldfarbener
       Buddha. Hier, im zentralen Meditationssaal, finden die 15 Bewohner und ihre
       Besucher zum täglichen Gebet zusammen. „Vier Nonnen, ich als einziger
       Mönch“, zählt Kelsang auf, „der Rest sind ganz normale Leute.“
       
       Ganz normale Leute hat Gut Sommerswalde eigentlich nie beherbergt. „Wir
       wussten nicht, über was wir mehr staunen sollten“, schrieb ein Leser der
       Berliner Illustrierten Nachtausgabe Jahrzehnte nach seinem zufälligen
       Besuch, „über die seltsamen Bauten, den Reichstag, die Moschee, oder den
       Besitzer, der uns, einen roten Fez mit wallender schwarzer Troddel auf dem
       Kopf, in roten Pantoffeln mit strahlender Gastfreundlichkeit begrüßte! Er
       führte uns durch die Flucht seiner Gemächer, öffnete die Türen sämtlicher
       Fremdenzimmer: ’Suchen Sie sich die besten heraus, meine Herren!‘ Später,
       im Speisesaal, empfing uns eine Schar reizender Kinder. ’Alles meine
       eigenen‘, meinte der Hausherr.“
       
       ## Nazis, Russen und die FDJ
       
       1916 starb Richard Sommer. Warum der Patriarch sich dieses Traumreich schuf
       und was er damit wollte, darum ranken sich Legenden. Sommer hinterließ kein
       Testament, die Kinder stritten ums Erbe. Schließlich musste das Gut an den
       Industriellen Erich Lübbert verkauft werden. Lübbert war reich geworden mit
       Diamantenminen in Südafrika.
       
       Früh förderte er die NSDAP, und 1932 forderte er mit Gesinnungsgenossen von
       Reichspräsident Paul von Hindenburg, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen.
       Als sowjetische Truppen Ende April 1945 nach Sommerswalde kamen, war
       Lübbert mit seiner Familie geflohen. Am selben Tag wie der Berliner
       Reichstag fiel der in Brandenburg.
       
       Den Saal, in dem heute Ostdeutschlands größter buddhistischer Altar prangt,
       schufen Sowjets und Sozialisten. 1945 zog die sowjetische
       Militärkommandantur ein und blieb vier Jahre. Danach schulte die
       SED-Jugendorganisation FDJ bis zum Ende der DDR hier Pionierleiter. In
       jener Zeit wurde das Schloss stark umgebaut.
       
       Nach 1990 war es lange Zeit still. Von 2000 bis 2003 lebte schon einmal
       eine buddhistische Gemeinde hier. Doch die Gelugpa-Tradition verhob sich an
       der Immobilie, ein Insolvenzverwalter übernahm. Schließlich zogen Kelsang
       und die Seinen von Berlin-Kreuzberg hierher.
       
       ## Fantastische Aussicht auf den Park
       
       Bei Denyi ist der russische Akzent noch zu hören. Wie Kelsang nahm auch die
       64-Jährige einen Ordinationsnamen an, als sie buddhistische Nonne wurde.
       Gleich neben dem Meditationssaal hat die ehemalige Dozentin von der
       Universität Magdeburg ein karges Zimmer bezogen. Bett, Tisch, ein paar
       Stühle – und eine fantastische Aussicht auf den Park.
       
       Sie öffnet das Fenster, Hitze und blendend helles Licht dringen hinein.
       Genießt sie es, in einem Schloss zu leben? „Morgens verschlägt es mir den
       Atem, wenn ich aus dem Fenster schaue. Aber Glück ist hier drin“, sagt
       Denyi, als sie das Fenster schließt, „nicht da draußen.“ Es wird wieder
       kühl im Zimmer. „Ich fasse keine Pläne. Ich weiß“, sagt sie zur
       Verabschiedung, „alles verändert sich.“
       
       Alles verändert sich. Die so unterschiedlichen Hausherren haben
       Sommerswalde geprägt. Sie haben Freitreppen herausgerissen, Stuck
       abgeschlagen, Säle eingebaut, Räume neu geteilt und Stromleitungen verlegt.
       Noch heute liegen manche Wände kahl, ähnlich denen im Berliner Reichstag,
       auf denen sich 1945 sowjetische Soldaten mit Kritzeleien verewigten.
       
       Aber bei allem Wandel ist Schloss Sommerswalde im Kern eines immer
       geblieben: das Zeugnis des Traums eines Mannes. Vielleicht fände der
       preußische Exzentriker gerade diesen Wandel besonders amüsant. Und
       womöglich war sein Bau letztlich genau das – ein Spiel und ein Scherz.
       
       „Ich glaub’, der Sommer war einfach ein bisschen spleenig“, sagt Kelsang.
       Es klingt, als spricht ein stolzer Schlossherr über einen Kollegen. Sofern
       sich ein buddhistischer Mönch eine weltliche Empfindung wie Stolz erlaubt.
       Bald will eine Urenkelin des Erbauers hier ihren siebzigsten Geburtstag
       feiern.
       
       Über den alten Sommer gibt es vor allem Anekdoten von Nachfahren und
       Nachbarn. Baute er eine Kopie des Reichstags, um daran zu erinnern, dass
       seiner Familie einst das anliegenden Gelände zwischen dem Brandenburger Tor
       und der Spree gehört hatte? Wollte er den Berliner Magistrat verspotten,
       indem er Pferde im „Roten Rathaus“ hielt? Oder kam diese Legende erst nach
       seinem Tod auf? Alles verändert sich. Auch die Erinnerung.
       
       Kelsang hat eine Lieblingsanekdote. Sie gefällt ihm, dem Buddhisten,
       besonders gut. Angeblich besaß Richard Sommer zwei Hunde. Er nannte sie
       „Wieso“ und „Warum“.
       
       2 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Matthias Lohre
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Tibetologe über Erleuchtung und Wahnsinn: „Ich möchte ein Buddha werden“
       
       Er ist der Vater von Uma Thurman und ein renommierter Tibetologe. Robert
       Thurman über Wiedergeburt, Chinas Sklaven und Irre in der US-Politik.
       
 (DIR) Urlaub im Kloster: Ist Gott Mönch?
       
       Allein wegen der Auffassung vom Miteinander lohnt sich der Aufenthalt bei
       den Benediktinern in Gerleve. Das Kloster ist ein Uterus, der schützt.
       
 (DIR) Erster Weltglücksbericht der UNO: Das Glück der Erde
       
       Laut einer UN-Studie zählt ein Job mehr als das Einkommen für die
       Zufriedenheit der Menschen. Auch persönlicher Altruismus und
       gesellschaftliche Egalität machen glücklich.