# taz.de -- Japanischer Journalist über Fukushima: „Die Verbrechen sind so offensichtlich“
       
       > TV-Journalist Shigenori Kanehira über Machtkämpfe in Japans Politik, eine
       > neue Art von Zivilgesellschaft und warum er glaubt, dass die Industrie zu
       > glimpflich davonkommt.
       
 (IMG) Bild: Diese Forderung von Demonstranten in Tokio im Mai bleibt nicht mehr als bloße Hoffnung. Denn Japans Regierung schaltet Reaktoren wieder an.
       
       taz: Herr Kanehira, ist die japanische Denkweise schuld an Fukushima? 
       
       Shigenori Kanehira: Das glaube ich tatsächlich. Leider denken wir sehr
       traditionell und konform. Da ist nicht viel Platz für Kritik.
       
       Es scheint, dass die Atomindustrie an Einfluss verloren hat. Der Betreiber
       des zerstörten Atomkraftwerkes, Tepco, wird eindeutig als Schuldiger in dem
       Report genannt. 
       
       Der Bericht ist immer noch viel zu mild für eine tiefgreifende Kritik an
       der Atomindustrie. Die alten Verbindungen funktionieren immer noch, die
       Studie ist eindeutig parteiisch gegenüber der Atomwirtschaft.
       
       Woran machen Sie das fest? 
       
       Weil die Schuld auf den ehemaligen Ministerpräsidenten Naoto Kan abgewälzt
       wird, der während des Unglücks an der Macht war. Es geht in dem Report um
       einen Machtkampf in der Demokratischen Partei. Es heißt darin, Tepco hätte
       während der Katastrophe niemals seine Arbeiter vom verunglückten Kraftwerk
       abziehen wollen. Naoto Kan, damals Ministerpräsident, behauptet das
       Gegenteil. Nach seiner Version wollte Tepco das Kraftwerk seinem Schicksal
       überlassen. Außerdem heißt es, Kan hätte alles viel schlimmer gemacht mit
       seinem Eingreifen. Die Kommission hat eigentlich Partei für Tepco
       ergriffen.
       
       Warum? 
       
       Weil Kan eine Gesellschaft ohne Atomkraft fordert. Seine Gegner in der
       regierenden Demokratischen Partei wollen ihn deshalb diskreditieren.
       
       Aber nochmal: Auch Tepco wird heftig kritisiert. Warum? 
       
       Das ist in der Tat bemerkenswert. Es heißt, der Reaktor Nummer eins habe
       bereits vor dem Eintreffen des Tsunamis Kühlwasser verloren und sei schwer
       beschädigt worden. Tepco sagte stets, es sei der Tsunami gewesen und dafür
       könne man nichts. Aber die Verbrechen von Tepco sind so offensichtlich, das
       Parlament hatte überhaupt keine Wahl, als sie anzugreifen.
       
       Erstaunt Sie das? 
       
       Die Japaner sind extrem atomkritisch geworden. Das sieht auch die Politik.
       
       Wie nimmt die Öffentlichkeit den Bericht auf? 
       
       Alle Mainstream-Medien zielen nur auf den politischen Machtkampf ab. Das
       ist ein Versagen der Journalisten.
       
       Wie schätzen Sie die Entwicklung der Anti-Atomkraft-Bewegung in Japan ein? 
       
       Als vor kurzem der erste Atomreaktor in Oi wieder hochgefahren wurde, gab
       es Demonstrationen, wie ich sie seit 20 Jahren nicht mehr gesehen habe. Da
       entsteht gerade eine völlig neue Art von Zivilgesellschaft.
       
       6 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arzt
       
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