# taz.de -- Ex-Militärrichter über die Miliz im Kongo: „Wir greifen auch die Bevölkerung an“
       
       > Wie ahndet eine Bürgerkriegsmiliz im Kongo Verbrechen? Wann hält sie
       > Zivilisten für legitime Ziele? Der ehemalige oberste Militärrichter der
       > ruandischen FDLR gibt Auskunft.
       
 (IMG) Bild: Zwischen den Fronten: auf der Flucht im Kongo.
       
       taz: Herr Mbarushimana, Sie waren bis zu Ihrer Flucht nach Ruanda
       Vorsitzender des Militärgerichts der FDLR-Miliz im Kongo. Wie funktioniert
       die FDLR-Militärgerichtsbarkeit? 
       
       Etienne Mbarushimana: Wie andere Gerichte auch. Es gibt einen Anlass, ein
       mutmaßliches Verbrechen zu untersuchen; wir starten mit Ermittlungen; die
       Ergebnisse werden in einer Anklageschrift zusammengefasst. Dieses Dokument
       geht an den „Conseil General“ mit mir als Vorsitzendem, der dann
       entscheidet, ob das Verfahren eröffnet wird. In meiner Instanz haben wir
       nur Verfahren gegen hohe Offiziere geführt.
       
       Wie wird in der FDLR definiert, was als Verbrechen gilt? 
       
       Wir haben ein Strafgesetzbuch – das heißt bei uns Disziplinarcode, weil es
       nur für Militärs ist. Darin sind alle möglichen Vergehen, die bei einem
       Krieg geschehen können, aufgelistet: Verrat, Vergewaltigung, Mord,
       Plünderung. Auf Plünderung gibt es eine Geldstrafe. Auf Verrat oder
       Befehlsverweigerung gibt es die Todesstrafe.
       
       Die FDLR wird im Ostkongo vieler Kriegsverbrechen bezichtigt. Wie stehen
       Sie dazu? 
       
       Nun, diese Verbrechen begeht die FDLR während kriegerischer
       Auseinandersetzungen. Verbrechen während der Kämpfe zwischen FDLR und
       Kongos Armee FARDC oder anderen Milizen sind Teil der Operationen. Manchmal
       wurden sie auch nicht von uns begangen, sondern von unseren Gegnern und uns
       dann angelastet. Ich und meine Instanz haben immer nur Verbrechen gegen
       Individuen behandelt, die Taten begangen haben, die nicht angeordnet waren.
       
       Wenn also im Zuge einer Militäroperation Dörfer geplündert und zerstört
       werden, dann ist das im Rahmen? Gibt es dann Befehle zur Plünderung? 
       
       Das ist nicht unbedingt ein Befehl. Wenn aber die FDLR eine FARDC-Basis in
       einem Dorf angreift, dann zerstören wir diese Basis als Teil der Operation.
       Wir nehmen dann alles mit.
       
       Und werden Verbrechen gegen die Bevölkerung geahndet? 
       
       Im Kongo ist es typisch, dass Soldaten in den Dörfern bei der Bevölkerung
       wohnen, nicht in gesonderten Militärlagern. Sie leben in Häusern mit Frauen
       und Kindern. Dasselbe gilt für andere bewaffnete Gruppen. Sie haben keine
       Rationen oder Unterkünfte, sie werden nicht versorgt, deswegen leben sie
       bei den Leuten. Wenn wir also Angriffe planen, dann greifen wir auch die
       Bevölkerung an. Oft werden die Menschen dann Opfer im Krieg.
       
       In einer solchen Konstellation werden die Frauen und Kinder in den Dörfern,
       wo Truppen stationiert sind, also nicht als Zivilisten betrachtet? 
       
       Nein, wir betrachten sie als Teil des Militärs. Wenn die Soldaten in
       Häusern mit Frauen und Kindern leben, darin ihre Stützpunkte errichten und
       so weiter – natürlich müssen wir bei einem Angriff gegen die Soldaten das
       ganze Dorf angreifen, also auch diejenigen, die die Soldaten aufgenommen
       haben.
       
       Was ist bei Angriffen auf Dörfer, in welchen sich keine Soldaten befinden? 
       
       Wenn wir auf Dörfer treffen, in welchen keine Soldaten leben, dann ist es
       meistens der Fall, dass die Soldaten doch dort wohnen, sich aber gerade
       woanders befinden. Wenn sie uns dann angreifen, dann zielen wir als Rache
       auf das Dorf, in welchem sie sich niedergelassen haben.
       
       Haben Sie im FDLR-Disziplinarcode eine Definition, wer Zivilist ist und wer
       nicht? 
       
       Wir haben Verfahren geführt wegen Verbrechen gegen die Bevölkerung und
       wegen Verbrechen gegen Militärs. Ja, wir haben das berücksichtigt.
       
       Und wer wird als Zivilist betrachtet? 
       
       Nun, dieser Zivilist muss erst einmal zu uns kommen und Klage erheben, dass
       ein Vergehen an ihm begangen worden ist. Wir untersuchen das und richten
       dann über denjenigen unserer Kämpfer, der dieses begangen hat – und
       umgekehrt, wenn ein Zivilist einem von den unsrigen etwas angetan hat.
       
       Auch bei Vergewaltigungen? 
       
       Natürlich, wenn einer unserer Kämpfer eine Frau oder ein Mädchen
       vergewaltigt, dann verurteilen wir ihn auch. Darauf steht Züchtigung. Auf
       Mord steht die Todesstrafe. Wir haben keine Gefängnisse im Dschungel,
       deswegen müssen wir die Strafen direkt durchführen, meistens Züchtigungen
       durch Schläge.
       
       Welchen Grad des Verbrechens begeht ein FDLR-Kämpfer, wenn er die FDLR
       verlässt? 
       
       Ganz klar: Darauf steht die Todesstrafe. (macht eine Bewegung mit der
       flachen Hand gegen die Kehle) Wenn einer unserer Soldaten das Kommando
       verlässt, ist das ein Schwerverbrechen, vor allem für hohe Offiziere. Ich
       habe auch mein Leben riskiert, als ich aus der FDLR desertiert bin. Hätte
       man mich erwischt, dann hätten sie mich umgebracht.
       
       7 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schlindwein
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
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