# taz.de -- Ausstellung Gabriel Orozco in Berlin: Universum der gestrandeten Dinge
       
       > Der Zusammenprall von Natur und Kultur ist stets präsent: Der
       > mexikanische Künstler Gabriel Orozco inszeniert die Schönheit von
       > Zivilisationsmüll.
       
 (IMG) Bild: Er nimmt auch am politischen Leben Mexikos teil: Gabriel Orozco bemalt Piñatas mit den Präsidentschaftskandidaten.
       
       Ist die Natur vielleicht doch der bessere Künstler? Der Gedanke drängt sich
       auf bei dem, was seit zwei Tagen auf dem Boden der Deutschen Guggenheim
       liegt: verwitterte Holzplanken, erblindete Glühbirnen, erodierte
       Plastikbojen. Sand, Wellen und Wind haben diese einstigen
       Gebrauchsgegenstände in bizarre Objekte verwandelt.
       
       Die Arbeit in Berlins edlem kleinen Schauraum hätte gut zu Carolyn
       Christov-Bakargievs posthumaner documenta 13 gepasst. Wenn all das nicht
       ein Künstler namens Gabriel Orozco so überaus sorgsam arrangiert hätte.
       Interventionskünstler – dieses Etikett klebt bis heute an dem 1962
       geborenen Mexikaner. Dabei sind seine Interventionen keine der heute
       inflationär gewordenen, „sozialen“ oder „politischen“ Auftritte.
       
       Zwar verdankt sich sein Werk der Rebellion gegen die aufwändige Objektkunst
       der achtziger Jahre, die Malerei und das Atelier. Dem Weltenbummler und
       Dingesammler, Sohn einer Pianistin und eines Kunstprofessors, geht es eher
       um ästhetische Eingriffe als um künstlerische Gesellschaftsveränderung.
       
       1993 zersägte er ein Exemplar des legendären Citroën DS in drei Teile, nahm
       das mittlere Drittel heraus und setzte ihn dann wieder zusammen. Was Roland
       Barthes’ ikonisches Avantgardemobil plötzlich zu einem lächerlichen Gefährt
       machte.
       
       ## Müll aus dem Pazifik
       
       Im selben Jahr brachte er die Kunstwelt auf der Venedig-Biennale mit einer
       „Empty Shoe Box“ auf die Palme. 2006 überführte er das Skelett eines Wales,
       das er am Strand von Isla Arena in Baja California gefunden hatte, ins
       Museum of Modern Art nach New York. 20 Helfer hatten es mithilfe von 6.000
       Bleistiften mit Grafitzeichnungen überzogen: „Mobile Matrix“ hängt heute in
       der Biblioteca Vasconcelos in Mexiko City: Memento mori und Frage nach der
       Skulptur zugleich. Orozco habe, schrieb der amerikanische
       Kunstgeschichtspapst Benjamin Buchloh vier Jahre später euphorisch, „die
       Kategorie Skulptur von den Zwängen ihrer strengen Konzeption befreit“.
       
       In das Naturschutzgebiet in Mexiko kehrte Orozco für seine neues Werk
       zurück – die letzte Auftragsarbeit für das Berliner Joint Venture von
       Deutscher Bank und dem New Yorker Guggenheim-Museum, das am Jahresende
       schließt. Diesmal sammelte er den Müll, den der Pazifik dort anschwemmte.
       
       Das Pendant zu der 1.200-teiligen Bodenarbeit, die daraus entstand, ist die
       Assemblage „Astroturf Constellation“. In einer Glasvitrine hat er
       kleinteiligen Abfall aus einem New Yorker Freizeitpark, wo er gern Fußball
       spielt, zu einer berückenden Assemblage zusammengestellt: Stofffetzen,
       Haarnadeln, Plastikverschlüsse – wiederum fast 1.200 Objekte.
       
       Vollkommen neu ist Orozcos Prinzip nicht. Schon 1982 überraschte der
       britische Bildhauer Tony Cragg die Besucher der Kasseler Documenta mit
       monochromen Assemblagen aus Plastikmüll. Doch die Mischung aus Zufall und
       Ordnung in Orozcos Arbeiten, die subtile Systematik, mit denen er das
       Universum der gestrandeten Dinge inszeniert, unterscheidet sein Werk von
       dem seines Vorläufers. Auch für das Berliner Projekt hat er jedes einzelne
       Stück auf Fotografien penibel dokumentiert.
       
       Bloß eine hübsche Formspielerei ist das Werk des 51-Jährigen aber nicht.
       Eine Ahnung vom Zusammenprall von Natur und Kultur, von Konsum und
       Wegwerfgesellschaft ist in ihnen stets präsent. Bewusst wählt Orozco
       Alltagsgegenstände für seine Werke. Doch wo Duchamp sie in den Kunstkontext
       stellte, gibt Orozco ihnen eine Form. Seine Berliner Doppelarbeit hat er
       „Asterisms – Sternbilder“ genannt. So bringt er das Profane und das
       Poetische zusammen. Was daraus entsteht, nennt man Schönheit.
       
       ## Deutsche Guggenheim Berlin. Bis 21. Oktober. Katalog 27 Euro
       
       6 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arend
       
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