# taz.de -- CocoRosie-Konzert in Berlin: Kunstvolle Anarchie
       
       > Eine Fee und ein bockiges Kind, so teilen sich die Schwestern Sierra und
       > Bianca Casady die Rollen. Beim Tourauftakt in Berlin spielen CocoRosie
       > mit Rajasthan Roots.
       
 (IMG) Bild: Die singenden Schwestern bei einem Konzert 2009 in Hamburg.
       
       BERLIN taz | Man dachte eigentlich, sie hätten längst den Vogel
       abgeschossen. Der Erfolg, den CocoRosie seit Jahren haben, ist für viele
       unerklärlich. Sierra und Bianca Casady sind zwei Schwestern, die
       zusammenbringen, was nicht zusammengehört: Sierra singt mit Opernstimme,
       feengleich, sphärisch, edel. Bianca macht mit ihrer kindlich-bockigen
       Stimme eine Art Sprechgesang, die Texte sind poetisch, kritisch,
       symbolisch. Dazu gibt es allerlei elektronische Klänge, manchmal eine Harfe
       oder eine Schlangenbeschwörerflöte.
       
       Auf ihren letzten Alben benutzen CocoRosie zusätzlich Föhne und
       Kinderspielzeug. Die haben sie für ihre Tour „We are on fire“, die am
       Wochenende in Berlin begann, weggelassen. Dafür haben sie jetzt Rajasthan
       Roots dabei, eine indische Band, den Beatboxer Tez sowie einen Bassisten
       und einen Keyboarder.
       
       Was sich daraus im Neuköllner Heimathafen zusammenbraute, ist schwer zu
       beschreiben. Schon die Begriffe „Weird Folk“ oder „Freak Folk“, mit denen
       CocoRosie ab und zu bezeichnet werden, haben wenig Aussagekraft. In
       Kombination mit traditioneller indischer Musik und ausgeklügelter Vocal
       Percussion wird daraus eine Mischung, die kompliziert und krass und
       bezaubernd ist.
       
       Ein paar Songs sind neu, die anderen älter, aber aufgemotzt. „In a dream I
       was a werewolf“ singen die Schwestern und tragen dazu wie gewohnt Outfits
       jenseits von Gut und Böse.
       
       Um Sierra Casady flattert ein rosa Umhang, darunter trägt sie ein grünes
       verwickeltes Top, eine große, weiße Männerunterhose mit Eingriff,
       glitzernde Leggins, schwere schwarze Schuhe, von denen einer offen ist und
       durch eine hochgezogene weiße Sportsocke ergänzt wird. Das Hütchen, das sie
       anfangs auf dem Kopf hat, fällt irgendwann runter. Ihre Schwester Bianca
       trägt, als sie auf die Bühne kommt, einen kartoffelsackartigen Overall,
       dazu eine Rastafari-Mütze. Den Sack zieht sie später aus, darunter hat sie
       eine Jeans mit Hosenträgern und eine weiße Corsage.
       
       ## Ätherisch und rotzig
       
       Den typischen CocoRosie-Sound, der immer ein bisschen fragil und
       experimentell-verspielt, bisweilen aber auch ernst und sogar düster ist,
       ergänzen die fünf MusikerInnen von Rajasthan Roots auf beeindruckende,
       fulminante Art. Mit einer elektrischen Sitar, Flöten, Trommeln,
       Kastagnetten und Zimbeln verpassen sie CocoRosie eine bisher ungekannte
       Wucht: esoterisch und kräftig. Es ist ein kleines abmischungstechnisches
       Wunder, dass weder Sierras ätherischer noch Biancas rotziger Gesang dabei
       untergeht, und auch nicht die Beatbox von Tez.
       
       Das liegt vielleicht auch daran, dass „We are on fire“ nicht die erste
       Zusammenarbeit mit Rajasthan Roots ist. Nach den vier Studioalben von 2004
       bis 2010 haben CocoRosie in letzter Zeit ihren Aktionsradius ausgeweitet.
       Erst vor Kurzem feierten sie große Erfolge in Hamburg und auf dem
       Donaufestival in Krems mit dem Tanztheaterstück „Nightshift – A Feeble
       Ballett“ und der Pop-Oper „Soul Life“.
       
       Dazu gab es die Liveshow „Die achte Nacht“, bei der unter den
       GastmusikerInnen auch Rajasthan Roots waren. Die spielen in Berlin
       zwischendurch ein paar eigene Stücke, ihre Zwischenansagen – „God is
       everywhere“ und „God is among us“ – passen wiederum sehr gut zu CocoRosie,
       die auf einer ihrer Singles sagen: „God has a voice. She speaks through
       me.“
       
       Bisweilen hat man das Gefühl, aus den beiden Schwestern spricht tatsächlich
       so viel, dass sie es kaum schaffen, das alles in ihren Songs
       unterzubringen. Vor allem Sierra macht beim Singen so viel mit den Händen,
       als erzähle sie nebenbei mit einer eigenen Gebärdensprache Märchen. Und
       doch schaffen es CocoRosie, dass sich zwischen den insgesamt zehn
       MusikerInnen eine wunderbare Harmonie einpendelt, irgendwo zwischen
       wahnsinniger Anarchie und kunstvollem Arrangement.
       
       ## ■ Heute noch in Berlin (Heimathafen Neukölln), 10. 7. Köln (Gloria), 13.
       7. Lausanne (Festival de la Cité), 14. 7. Zürich (Rote Fabrik), 26. 7. Wien
       (Arena)
       
       8 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Margarete Stokowski
 (DIR) Margarete Stokowski
       
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