# taz.de -- Rumänisches Gangster-Drama „Perific“: Gewalt und Geldverkehr
       
       > Skepsis und genaue Beobachtung zeichnen das neue rumänische Kino aus: Das
       > gilt auch für „Periferic“, der von einer jungen Gefängnisausbrecherin
       > erzählt.
       
 (IMG) Bild: Ana Ularu verleiht Matilda eine brütende Intensität.
       
       Bogdan George Apetris Regiedebüt „Periferic“ beginnt mit einem
       Initiationsmoment. Eine junge Frau, Matilda (Ana Ularu), wird aus dem
       Gefängnis entlassen. Offiziell hat sie 24 Stunden Freigang, doch sie wird
       nach Ablauf der Zeit nicht zurückkehren. Ihre Zellengenossinnen kennen
       ihren Plan; mit langen Blicken nehmen die Frauen Abschied.
       
       Die Prozedur der Entlassung dokumentiert die Kamera in kaltem Licht: die
       Übergabe ihrer Sachen (außer Kosmetika scheint sie keine persönlichen
       Gegenstände zu besitzen), der Gang durch die engen Gefängnisfluchten und
       schließlich das Metalltor, das sich scheppernd vor ihr öffnet. Matilda ist
       frei.
       
       Niemand erwartet sie draußen, und sie hat von niemandem etwas zu erwarten.
       Die drei einzigen Menschen, die ihr etwas bedeuten, wird sie in den
       folgenden zehn Stunden nacheinander aufsuchen. Diese Stationen, von Aperti
       in Kapitel eingeteilt, erinnern an einen Übergangsritus von diesem Leben in
       ein neues, den die Frau klaglos vollzieht.
       
       Es ist vielsagend, dass „Periferic“ mit einem Motiv des klassischen
       Gangsterfilms eröffnet. Das rumänische Kino hat in den vergangenen Jahren
       zu einer bemerkenswerten Eigenständigkeit und Konsequenz der erzählerischen
       Form gefunden. Angelehnt an die sozialrealistischen Strömungen im
       europäischen Autorenkino entwickelten Filmemacher wie Corneliu Porumboiu
       („Polizist, Adjektiv“) oder Cristi Puiu („Der Tod des Herr Lazarescu“) eine
       Beobachtungsgabe, deren charakteristischstes Merkmal bereits in ihrer
       Bildsprache evident ist: die skeptische Zurückhaltung des Autors, der
       gleichzeitig ein Kritiker der Verhältnisse ist.
       
       Die Skepsis gilt einem Land an den Rändern Europas, das mehr als zwanzig
       Jahre nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes noch immer
       Schwierigkeiten hat, mit dem gesellschaftlichen Wandel Schritt zu halten.
       Die Suche des Individuums nach einem Platz in dieser neu formierten
       Gesellschaft ist auch Thema von Apetris Film, der die gesellschaftliche
       Außenseiterposition bereits im Titel zuspitzt. Wieder in die Freiheit
       entlassen, erwartet seine Protagonistin eine Gesellschaft, deren sozialer
       Zusammenhang abhandengekommen ist.
       
       ## Drei Begegnungen
       
       Drei Menschen hat Matilda für den Tag auf ihrer Liste: ihren Bruder Andrei,
       ihren Ex Paul, der ihr das für die Flucht nötige Geld schuldet, und ihren
       Sohn Toma. Von ihrer Familie wird sie nicht mit offenen Armen empfangen.
       Sie möchte ihren Bruder auf die Beerdigung der Mutter begleiten, doch das
       endet in einem Fiasko. Paul (Mimi Branescu) erklärt ihr, dass er Toma in
       ein Waisenhaus abgeschoben hat und das versprochene Geld erst noch besorgen
       muss.
       
       Das Eintreiben der Schulden entpuppt sich als zermürbende Odyssee durch
       eine desolate Industrielandschaft. Ein Gemeinsinn will sich nicht
       erschließen, zwischenmenschliche Interaktionen sind in „Periferic“
       ausschließlich durch Gewalt oder Geldverkehr geregelt.
       
       Das erzählerische Problem dieser Leerstelle hat Apetri topografisch gelöst.
       Weil die rumänische Gesellschaft nur noch aus Peripherien ohne Zentrum zu
       bestehen scheint, spielt ein Großteil seines Films unterwegs, meist im
       Auto, am Ende auch im Zug. Für einen aufmerksamen Blick auf die sozialen
       Konstellationen, von denen das Kino nun mal lebt, bleibt kaum Gelegenheit,
       obwohl „Periferic“ sich viel Zeit nimmt. Nur setzt Apetri andere
       Prioritäten, wie unschwer an der straffen Struktur zu erkennen ist.
       „Periferic“ folgt – ähnlich dem klassischen Gangsterfilm – einer
       unnachgiebig gleichmäßigen und darin tragischen Bewegung: dem sozialen
       Abstieg Matildas.
       
       Die Bindung an die Ökonomie eines Genres erlegt „Periferic“ notgedrungen
       Grenzen auf. Dieser Umstand wiederum verhilft einer eher klassischen und
       mitunter auch sträflich vernachlässigten Tugend des sozialrealistischen
       Dramas schließlich zu ihrem Recht: der darstellerischen Leistung. Ana
       Ularu, der fast jede Szene des Films gehört, verleiht Matilda eine brütende
       Intensität. Wenn sie sich mit trotzig vorgeschobenem Unterkiefer ihren Weg
       bahnt, wird man daran erinnert, dass auch das rumänische Kino, wie jede
       aufstrebende Filmindustrie, auf die Produktion von Stars angewiesen ist.
       
       „Periferic“. Regie: Bogdan George Apetri. Mit Ana Ulara, Andi Vasluianu u.
       a. Rumänien/Österreich 2010, 87 Min.
       
       12 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Busche
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Familie
 (DIR) Rumänien
       
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