# taz.de -- Porträt über französische Künstlerin: Berlin ist eine Mode
       
       > Die französische Liedermacherin und Schauspielerin Marianne Cornil
       > genießt Berlin. Nur manchmal überkommt sie ein Hauch von Heimweh.
       
 (IMG) Bild: In Frankreich sei Berlin mittlerweile Mode, sagt Marianne Cornil.
       
       Sie hat den besten Ort für diese Begegnung ausgesucht: das Chez Michel, ein
       kleines Bistro in der Kreuzberger Adalbertstraße. Alles an diesem Ort ist
       unaufgeregt: die einfache französische Hausmannskost zu verträglichen
       Preisen; das hölzerne Küchenbuffet im Sitzbereich; die alten Kreuzberger,
       die Lumpenbohemiens mit den zerknitterten Gesichtern und die Bauarbeiter
       mit den langen Zöpfen, die hier Cidre bestellen und sich zu Hause fühlen –
       wo, wenn nicht hier? Ja sogar der penetrante Pommesgeruch in den Kleidern,
       wenn man wieder nach Hause fährt. Hier passt die französische
       Liedermacherin, Akkordeonistin und Mimin Marianne Cornil hin. Denn wie
       dieser Laden versprüht auch sie den zurückgelehnten Charme derer, die einen
       Trend gesetzt haben, sich aber jetzt nicht mehr die Bohne um diesen
       scheren.
       
       Marianne Cornil beschließt, dass wir uns „auf den Trottoir“ setzen, an eine
       der Bierbänke unter der Markise des Chez Michel, denn in diesen Tagen ist
       man in Berlin nicht gerade sicher vorm Regen, meint sie. Marianne Cornil
       erzählt: Als sie vor zwölf Jahren nach Berlin kam, da wurde sie von ihren
       Freunden und ihrer Familie schräg angeschaut. Ihre Eltern kamen sie einmal
       besuchen, danach sagten sie ihr, sie solle wieder umziehen. Heute ist
       Berlin eine Mode geworden in Frankreich. „Ich wurde beim letzten
       Parisbesuch als Berliner Künstlerin herumgereicht“, lacht sie. Und dann
       lacht sie noch lauter, als ihr einfällt: Kürzlich hat sie sogar einen
       Artikel in einer französischen Frauenzeitschrift gefunden. „Der Artikel
       hatte eine irre Überschrift“. Sie grinst. „Ich kauf mir eine Wohnung in
       Berlin“, sagt sie, wirft zum ersten Mal den Kopf zurück und bricht
       endgültig in dieses laute, dreckige und ansteckende Gelächter aus. Marianne
       Cornil ist eine sehr schöne Frau. Vor allem aber strahlt sie große
       Lässigkeit aus. Sie lässt keinen Zweifel aufkommen: Eine wie sie schätzt
       Berlin nicht wegen seiner für viele Europäer günstigen Immobilien. Es ist
       auch nicht von ungefähr, dass sie sagt: „Ich habe die neue französische
       Community nie gemieden, aber auch nie gesucht.“
       
       Die heute 34-Jährige, die in einem Pariser Vorort aufwuchs, studierte
       zunächst Deutsch. Nicht aber deshalb kam sie nach Berlin, sondern „wegen
       der Liebe“, wie sie wieder laut lachend sagt. Sie erinnert sich noch an den
       Tag ihrer Ankunft an einem schönen Maitag im Jahr 2000. „Das war noch am
       Busbahnhof am Zoo“, sagt sie. „Damals gab es noch kein Easyjet. Die Welt
       war noch viel größer.“ Die Sonne schien, die Berliner lachten. Aber wie das
       trotzdem oft so ist in der Fremde, fühlte sich Marianne Cornil in Berlin
       schon nach wenigen Wochen plötzlich französischer als in Frankreich. Sie
       begann, in diversen Berliner Kneipen wie dem Café Chaques am Maybachufer
       Akkordeon zu spielen – ein Instrument, das sie noch vor Kurzem für pure
       Folklore gehalten hatte. „Ich hatte Glück“, sagt sie heute. „Meine Nachbarn
       mochten es. Ich durfte sogar mit offenen Fenstern üben.“
       
       Heute schreibt Marianne Cornil ihre eigenen Chansons, Lieder über die
       Liebe, die Freundschaft, Lieder, die „ganz selbstverständlich aus mir
       herauskommen“, aber auch Lieder über seltsamste Macken – zum Beispiel die,
       dass sie immer wieder wichtige Dinge verliert: über das schöne Chaos, die
       „Beau Désordre“, wie ihre CD heißt, die sie auf Konzerten verkauft. Bald
       kam aber auch ihre Leidenschaft fürs Theater dazu, besonders fürs
       Maskentheater, von dem sie erzählt, dass man sich hinter diesen Masken gar
       nicht verbergen, sondern die Gefühle besser zum Ausdruck bringen kann –
       dass man so viel mehr von sich preisgibt. Sie spielte zunächst bei der
       Familie Flöz, der größten Berliner Kompanie für Maskentheater, mit und
       gründete dann ihre eigene Kompanie, das Theatre Fragile. Marianne Cornil
       wird gebucht, als Mimin wie als Sängerin – zum Beispiel gestern von der
       französischen Botschaft für eine Feier zum heutigen Nationalfeiertag auf
       dem Pariser Platz. Die einstigen Hobbys sind zum Beruf geworden, sie kann
       davon ihre Miete zahlen. „Ich jobbe nicht“, sagt sie stolz.
       
       Wenn Marianne Cornil heute darüber nachdenkt, was sie von Anfang an in
       Berlin am meisten mochte, dann hat das viel mit alldem zu tun. Immer wieder
       fällt ein großes Wort: „Freiheit.“ Was sie damit meint: In Berlin gibt es
       noch immer mehr Platz, mehr Zeit und mehr Möglichkeiten, das zu tun, was
       man mag, als in Paris. Geld ist hier noch immer unwichtiger als anderswo.
       Früher, sagt sie, hat sie für ihre Wohnung 180 Euro Miete gezahlt. Heute
       ist für sie der Inbegriff der Berliner Freiheit das Tempelhofer Feld.
       „Jeder macht, was er will“, sagt sie und berichtet von dem Konzert junger
       Free-Jazz-Musiker, zu dem alle möglichen Leute zum Zuhören kamen, das sie
       dort neulich gesehen hat. Und obwohl dann noch viel die Rede ist von einem
       ganz anderen Berlin, einem Berlin, in dem es eine O2-Arena gibt, in dem so
       gern mit Künstlern geworben und dann so wenig für sie getan wird, von einer
       Stadt, in der man als freier Theatermensch seine Stücke am seltensten
       aufführen kann, weil man hier am meisten draufzahlen muss – Marianne Cornil
       betont es trotzdem immer wieder: Dieses Berlin ist ihr ein Zuhause
       geworden, mindestens. Vielleicht sogar eine neue, eine zweite Heimat. Sie
       kann sich erst mal nicht vorstellen, wieder nach Frankreich zu gehen.
       
       Obwohl, fügt sie dann an und erzählt vom verflixten siebten Jahr, als ihr
       die deutsche Sprache plötzlich wehtat in den Ohren. Von den Pariser Cafés,
       die ihr fehlen. Und der Sehnsucht nach den vielen Sprachen und Kulturen,
       denen man auf den Straßen von Paris begegnet. „Noch mehr Sprachen als in
       Kreuzberg?“, will man gerade fragen, da zeigt Marianne Cornil auf ihr
       Essen, einen Couscoussalat, und fängt wieder auf diese unwiderstehliche Art
       an zu lachen. „Schau doch, was ich hier esse“, ruft sie aus. „Das ist ein
       nordafrikanisches Gericht. Würdest du in einem deutschen Restaurant ein
       nordafrikanisches Gericht bekommen?“ Jetzt ist da eine Menge Heimweh in
       ihrem Gesicht. Heimweh auch nach dieser speziellen französischen Nähe, der
       Nachbarschaft, der einfachen Art, zu feiern, wie sie sagt, den Läden, die
       langsam gewachsen sind und wo es ganz egal ist, ob man jung ist oder alt,
       in oder out.
       
       Und während sie das sagt, da kommt plötzlich ein Mann mittleren Alters mit
       der Physiognomie eines Fremdenlegionärs an den Tisch. „Warum isst du nicht
       auf?“, fragt er sie streng. „Ich esse noch auf“, erwidert sie brav, „ich
       habe nur zu viel gequatscht.“ Der Mann, der sich so um sie sorgt, ist
       Michel, der Besitzer des Restaurants. Michel lebt seit 20 Jahren in
       Kreuzberg, sagt er, er kennt jeden hier. „Sehen wir uns nächste Woche?“,
       will er wissen. „Na klar“, antwortet Marianne Cornil. Ist es das, was sie
       mit Nähe und Nachbarschaft meinte? „Schon“, sagt sie. Und warum dann noch
       diese Sehnsucht nach Paris? Und da ist es noch einmal: Ein sehr lautes,
       dreckiges Lachen.
       
       14 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Messmer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Fußball-EM 2024
       
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