# taz.de -- Neues Album von Richard Hawley: Rauer Wind
       
       > Und jetzt das: Rock 'n' Roll! Richard Hawley singt auf seinem neuen Album
       > zornig und dreckig. Kuschelbariton war gestern und das ist sehr gut so.
       
 (IMG) Bild: Kuschelbariton macht Rock 'n' Roll: Richard Hawley in Pose.
       
       Vielleicht hat er sich zuletzt selbst gelangweilt. Beim Konzert in der
       Berliner Passionskirche im Mai vergangenen Jahres wirkte es so. Alles war
       perfekt, die Anzüge saßen, die Töne auch. Richard Hawley, der gesegnete
       britische Gitarrist und vom Himmel geschickte Crooner, hatte alles richtig
       gemacht, nur das geneigte Publikum fühlte sich außen vor.
       
       Und jetzt das: Rock ’n’ Roll. Auf seinem neuen, siebten und auf Platz drei
       der englischen Charts eingestiegenen Album „Standing at the Sky’s Edge“
       stößt Hawley eine Tür zu einer leeren Fabrikhalle auf, seine Stimme
       platziert er irgendwo in einer Ecke, mit viel Hall rollt sie durch den
       Raum.
       
       Den bisherigen Kuschelbariton hat er mit einer dezent erbarmungslosen,
       abgeklärten Note versehen. Die altbekannten, geschätzten Streicher dürfen
       nur noch in der ersten Passage des Auftaktsongs „She Brings the Sunlight“
       ein kurzes Gastspiel geben.
       
       Es ist ein unsentimentales Farewell, das sogleich den verzerrten Gitarren,
       die den Altvorderen von Jesus & Mary Chain auch gefallen würden, den Weg
       zur satten Wall of Sound ebnet. Bereichernder Dreck hat sich im Getriebe
       festgesetzt.
       
       ## Die Kumpels von Pulp
       
       Bis hierhin hat der Mann aus Sheffield einen langen Weg zurückgelegt. In
       eine Musikerfamilie hineingeboren, ging er schon als Teenager mit seinen
       Verwandten auf Tour, einschlägige Clubs auf Hamburg-St.-Pauli sah er
       bereits mit 14 von innen. In eigenen Bands spielt er seit Schulzeiten, die
       Britpop-Welle spült ihn Mitte der Neunziger mit den Longpigs erstmals in
       die Charts. Nebenher unterstützt er seine berühmten Kumpels von Pulp,
       hauptsächlich bei deren Liveauftritten. Pulp-Sänger Jarvis Cocker und
       Gitarrist Steve Mackey waren es auch, die den zurückhaltenden Musiker mit
       seinen Demos in die Öffentlichkeit schickten.
       
       Während in seiner geliebten nordenglischen Heimatstadt noch an jeder Ecke
       Techno-und House-Feuerwerke abgefackelt werden, bringt Hawley 2001 sein
       Singer-Songwriter-Debütalbum an den Start. Für das erste Konzert wählt er
       die denkbar erdigste Location, die Fabrik des Saucenherstellers
       „Henderson’s Relish“. Besucher dieser Sternstunde erhalten eine
       Relish-Flasche, die das Konterfei des Musikers ziert, mit auf den Weg.
       
       Hawaiianische Lap-Steel-Gitarre, Klavier, Streicher, singende Sägen oder
       ein antiker Stylophone-Synthesizer erweiterten noch bis dato das
       Bandaufgebot von Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang. Überhaupt: diese
       Stimme. Sie singt von unerhörter Liebe, Verzicht, Einsamkeit. Und von
       Sheffield. Immer wieder, immer noch. Ob Pitsmoor, Lowedges, Coles Corner,
       Lady’s Bridge – über die Jahre nimmt Hawley seine Zuhörer mit auf eine
       Magical-History-Tour durch Sheffields Psychotopografie. Und jetzt nach Skye
       Edge.
       
       Ein ehemals verrufener Stadtteil wegen der hohen Kriminalitätsrate. Hier
       weht ein rauer Wind, das ist auch im Titelsong nicht zu überhören. Die
       mordenden und hurenden Protagonisten sind allerdings allesamt Kriminelle
       umstandshalber.
       
       ## Mit dem Zorn von heute
       
       Ganz in der Nähe von Skye Edge türmt sich die ultramodernistische
       Wohnsiedlung von Park Hill auf. Der in den Sechzigern erbaute Koloss sollte
       Sheffield als futuristische Stadt markieren. „Standing at the Sky’s Edge“
       beschwört den Sound der sechziger Jahre herauf mit dem Zorn von heute. Eine
       Art Reminiszenz daran, was die Zukunft der Stadt hätte bringen können, wenn
       das Stadtsäckel nicht leer gewesen wäre. Der entrückte Space-Rock vom
       folgenden „Time Will Bring You Winter“ und die düstere Uptempo-Nummer „Down
       in the Woods“ führen das noch weiter, inklusive Raketengetöse. Auf „Seek
       It“ kehrt Hawley dann doch auf ein Cognäcchen zurück zur alten Herzenswärme
       im Schunkelschritt.
       
       Bis auf dezentes Glockengebimmel verzichtet er aber auf Ausstattungsgedöns,
       auch im Songtext fehlt von der alten, manchmal etwas enervierenden
       Sentimentalität jede Spur. Im Gegenteil: Leicht fieser Humor hat Einzug
       gehalten. „I had a dream with you in it, we were naked, can’t remember what
       happened next, it was weird.“
       
       Gerade die abgespeckten Stücke illustrieren Hawleys bahnbrechende
       Songwriter-Fähigkeiten. Ein klassischer Song wie „Don’t Stare at the Sun“
       erfindet den Pop nicht neu, trifft aber trotzdem ins Schwarze, weil alles
       stimmt: versiertes Arrangement, unverkrampfte Ohrwurm-Melodie, die richtige
       Prise Gefühl.
       
       Tolle Pop-Patte! Wohl dem, der seine Flasche Henderson’s Relish noch nicht
       aufgebraucht hat. Die ist bestimmt demnächst ziemlich viel wert.
       
       16 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sylvia Prahl
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Berlin
       
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