# taz.de -- Sicherheit für Olympia in London: Abschuss vom Dach
       
       > Auf Hausdächern rund um das Olympiagelände werden Boden-Luft-Raketen
       > installiert. Alle Versuche der Anwohner, dies zu verhindern, sind
       > gescheitert.
       
 (IMG) Bild: Zur Polizei kommen noch 17.500 Soldaten, die in London während der Olympischen Spiele aufpassen sollen. Mehr als in Afghanistan
       
       LONDON taz | Raketen auf den Dächern unserer Häuser? „Ehrlich, als ich das
       in der Zeitung las, dachte ich, das sei ein Witz“, sagt Jakril Hoque.
       Nachdem ihm aber klar wurde, dass das britische Verteidigungsministerium
       tatsächlich Boden-Luft-Raketen in den dichtbesiedelten Wohnvierteln
       Ostlondons rund ums Olympiagelände zum Schutz der Spiele stationieren
       wollte, ging der junge Investmentbanker auf die Straße. Geholfen hat das
       nichts.
       
       Seit Ende vergangener Woche sind sechs Stellungen bezogen, darunter auch
       eine in seinem Stadtteil Bow, der im Westen an den Olympiapark grenzt.
       Soldaten haben die Waffen auf den Wasserturm des Bow Quarter geschafft,
       eine ehemalige viktorianische Fabrik, umgewandelt in eine Gated
       Neighborhood für junge Besserverdienende, die es seit den 90er Jahren
       zunehmend schick finden, im ärmlichen East End zu wohnen.
       
       Die Raketen sind Teil der größten und teuersten Sicherheitsoperation der
       britischen Nachkriegsgeschichte, anlässlich der Olympischen Sommerspiele.
       17.500 Soldaten sind nach London abkommandiert, weitaus mehr als derzeit in
       Afghanistan stationiert sind. 3.500 Militärs, die auf dem Rückweg aus
       Afghanistan in den Urlaub waren, kontrollieren jetzt an den Eingängen des
       Olympiaparks in 12-Stunden-Schichten Taschen von Besuchern. Andere sperren
       einen Fußweg am Rande des Parks ab, zum Unmut von Radfahrern und
       Spaziergängern.
       
       Auf der Themse ist das Kriegsschiff „HMS Ocean“ vor Anker gegangen, von dem
       aus Armeehelikopter Überwachungsflüge rund ums Olympiastadion und die
       anderen Sportarenen starten. Und auf der Westlondoner Militärbasis Norholt
       stehen Eurofighter startbereit, die notfalls mit Terroristen besetzte
       Flugzeuge abfangen sollen. Seit Sonntag hat die britische Luftwaffe die
       Lufthoheit über London. Wer sich nicht an deren Regeln hält, muss in
       letzter Konsequenz mit Abschuss rechnen.
       
       ## Man rechnete wohl nicht mit Widerspruch
       
       Nur wenn die Eurofighter nicht mehr helfen sollten, kämen die
       Boden-Luft-Raketen in Ostlondon zum Einsatz, hat das
       Verteidigungsministerium klargestellt. Als es im April per Handzettel über
       ihr Vorhaben informierte, hatte es wohl kaum mit Widerspruch gerechnet.
       Doch Brian Whelan, ein Mieter im Bow Quarter, ging an die Öffentlichkeit.
       „Meine Freundin und ich bekamen es mit der Angst zu tun, als uns klar
       wurde, dass wir demnächst auf einer Militärbasis leben würden, mit
       Polizeikräften im Hausflur“, sagt er.
       
       Der freie Journalist postete die Mitteilung des Verteidigungsministeriums
       auf Twitter. Kurze Zeit später parkten TV-Übertragungswagen die Straße vor
       dem Bow Quarter zu. Weil er den Whistleblower gespielt hatte, flatterte
       Whelan allerdings auch die Kündigung des Mietverhältnisses ins Haus.
       Inzwischen ist er ausgezogen.
       
       Es gelang den Aktivisten in kürzester Zeit, rund 1.000 Unterschriften zu
       sammeln und eine gut besuchte öffentliche Veranstaltung mit Anwesenheit der
       lokalen Parlamentsabgeordneten zu organisieren. Zur Straßendemo kamen rund
       250 Menschen. Aber aus Angst vor drohenden Prozesskosten wagte niemand aus
       dem Bow Quarter den Schritt vor Gericht.
       
       Das taten wiederum die Bewohner des zweiten betroffenen Wohnhauses – der
       Fred Wigg Tower, ein 17-stöckiger Sozialbau aus den 60er Jahren in
       Leytonstone, im Osten des Olympiaparks. Da die meisten Bewohner Sozialhilfe
       beziehen, hatten sie Anspruch auf Rechtskostenhilfe. Die Mieter klagten mit
       der Begründung, ihr Bau könnte durch die Raketenstationierung selbst zum
       Ziel von Terroristen werden. Das zuständige Gericht wies die Klage
       vergangene Woche ab.
       
       ## Sicherheit wiegt mehr als Privatheit
       
       Einer der Anwälte der Mieter vom Fred Wigg Tower, Kieran O’Rourke, sagte
       der taz, dass das Gericht mit dieser Entscheidung einen Präzedenzfall
       geschaffen habe. Selbst in Friedenszeiten sei es für das Militär nun ein
       Leichtes, Privatbesitz ohne Zustimmung der Nutzer zu besetzen. Nationale
       Sicherheit und Terrorabwehr würden künftig schwerer wiegen als das durch
       die Europäische Menschenrechtskonvention geschützte Recht auf
       uneingeschränkte Privatheit.
       
       In Berufung werden die Bewohner nicht gehen, da sie im Falle einer erneuten
       Niederlage schließlich doch mit Prozesskosten zu rechnen hätten. O’Rourke
       fordert das Ministerium auf, zumindest Alternativunterkünfte für diejenigen
       bereitzustellen, die den Fred Wiggs Tower während der zweimonatigen
       Anwesenheit des Militärs verlassen möchten.
       
       „Jetzt, wo die Raketen Tatsache sind und mangels Aufklärung durch das
       Verteidigungsministerium“, so Jakril Hoque, „sind die Menschen hier in Bow
       tief beunruhigt, sollten die Raketen mitten zwischen unseren Häusern jemals
       gezündet werden.“ Dem Waffensystem wird von Jane’s International Defence
       Review, dem weltweit führenden Militärmagazin, eine miserable Leistung bei
       schlechtem Wetter bescheinigt. An Letzterem herrschte in den vergangenen
       Wochen in London wahrlich kein Mangel.
       
       20 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Oliver Pohlisch
 (DIR) Oliver Pohlisch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
 (DIR) Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
 (DIR) Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
 (DIR) Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
 (DIR) Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
 (DIR) Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
 (DIR) Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
 (DIR) Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
 (DIR) Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
 (DIR) Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
 (DIR) Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
 (DIR) Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kritischer Journalist gesperrt: Twitter lernt, was ein Shitstorm ist
       
       Über die Olympiaberichterstattung im Fernsehen schimpft ein Journalist auf
       Twitter. Dann wird mit schwacher Begründung sein Account suspendiert.
       
 (DIR) Gentrifizierung vor Olympia: Von New Labour zu New London
       
       Ist der Londoner Olympia-Traum ein humaner Gegenentwurf zu Thatchers
       unsozialer Docklands-Sanierung? Anspruch und Wirklichkeit einer städtischen
       Metamorphose.
       
 (DIR) Olympiastadt London: Stadt des beißenden Humors
       
       Es gibt keinen besseren Ort für die Sommerspiele: London nimmt alle
       Widersprüche und Kreativität der Welt auf, ist gelassen und lässt Neues
       entstehen.
       
 (DIR) London bereitet sich vor: Olympische Großfantasien
       
       Bei den Olympischen Spielen will sich London ab kommender Woche als Pop-
       und Start-up-Stadt präsentieren. Viele der Versprechen wirken schal.
       
 (DIR) Ex-Handballer Heiner Brand zu Olympia: „Nationalmannschaften ohne Nutzen“
       
       Bei den Olympischen Spielen sind kaum deutsche Teams vertreten.
       Handball-Nachwuchschef Heiner Brand spricht über die Ursachen und erklärt,
       was getan werden muss.
       
 (DIR) Totilas und die Olympischen Spiele: Wie das teuerste Pferd der Welt ausfiel
       
       Der Hengst Totilas ist so wertvoll, dass man sein Sperma für mehrere
       tausend Euro verkauft. Bei Olympia sollte er Gold holen. Aber dann kam
       alles anders.
       
 (DIR) Zivilklage in den USA: „Angriffe sind gegen die Verfassung“
       
       Angehörige amerikanischer Drohnen-Toter klagen gegen hohe US-Politiker und
       -Militärs. Das Verfahren stellt die Rechtmäßigkeit von Drohnenkriegen in
       Frage.
       
 (DIR) Chusovitinas sechste Olympische Spiele: Die Einmalige vor ihrem letzten Sprung
       
       Turnerinnen sind meist sehr jung. Oksana Chusovitina wird mit einer
       Mischung aus Ungläubigkeit und Respekt betrachtet: Sie ist 37 und nimmt zum
       sechsten Mal an Olympia teil.
       
 (DIR) Olympia-Website: London gleich Peking?
       
       Die Betreiber der offiziellen Website der Londoner Olympischen Spiele
       verbieten in ihren Nutzungsbedingungen negative Links. So jedenfalls wird's
       nichts mit den fröhlichen Spielen.
       
 (DIR) Hockey-Nationalspielerin Natascha Keller: Aufhören? Wozu denn?
       
       Die Berliner Hockey-Nationalspielerin Natascha Keller steht auf dem Gipfel
       ihrer Karriere. In London will sie nun letztmalig antreten. Allzu sicher
       kann man sich da nicht sein.
       
 (DIR) Vorbereitung für Olympia: Tausend Würfe bis London
       
       Der Diskusring der Hamburger Jahn-Kampfbahn taugt nichts, trotzdem
       trainiert der 25-jährige Markus Münch hier für Olympia. Bis dahin muss er
       noch einige Scheiben werfen.
       
 (DIR) Vorbereitung Olympia: Hochsicherheitszone London
       
       Die Olympischen Sommerspiele werden die größte britische Militäroperation
       seit dem Koreakrieg. Bis zu 17.000 Soldaten sind im Einsatz, Raketen stehen
       auf Hausdächern.