# taz.de -- Berliner Kleinverlage I: Möglichkeit mit vielen Enden
       
       > Verlage Seit bald zehn Jahren führt Daniela Seel ihren kleinen
       > Lyrikverlag Kookbooks. Zu Besuch bei einer umtriebigen Person.
       
 (IMG) Bild: SchriftstellerInnen sind keine Genies, die nur Ideen brauchen. Und auch keine Schreibmaschinen
       
       Die Tür geht auf, und eine kleine Frau mit großen, strahlenden Augen und
       exzentrischer Strickjacke bittet schwungvoll in ihr Reich. Es geht hinein
       in eine charmante Charlottenburger Altbauwohnung, bis zum Rand voll
       gestopft mit Büchern. Daniela Seel, Dichterin und Chefin des Lyrikverlags
       Kookbooks, bringt heißen, starken Kaffee ins große Zimmer mit dem schweren
       Schreibtisch. Sie schiebt ein paar Bücherstapel zusammen, und schon sind
       wir mittendrin im schnellen, fiebrigen Gespräch.
       
       Auf die Frage, wie es alles begonnen hat, muss sie erst einmal stöhnen –
       denn das wird sie oft gefragt. Dann aber erzählt sie doch von dieser Zeit,
       einer Pionierzeit, wie sie meint, erzählt ohne viel Luft zu holen und von
       jedem kleinsten Detail.
       
       Es war 1996, als Daniela Seel nach Berlin kam – vorher hatte sie studiert,
       in Bayreuth und in Göttingen. „So dies und das“, wie sie mit einer
       wegwerfenden Geste erklärt, „meist las ich das Vorlesungsverzeichnis von
       vorn bis hinten durch und belegte dann, was ich wollte.“ In Berlin aber
       hatte sie keine Zeit mehr für Vorlesungsverzeichnisse. Besonders im Osten,
       sagt sie, wo die Mieten billig waren, traf man am laufenden Meter junge
       Literaten, Lyriker und Künstler. Daniela Seel lernte die Musiker der Gruppe
       Herr Nilsson kennen, und weil sie ein Auto besaß, eines mit Verdeck zudem,
       in das bei schönem Wetter auch ein Bass aufrecht passte, wurde sie die
       Bandchauffeuse. Sie freundete sich mit dem Sänger der Band und späteren
       Autor des ersten Kookbooks-Titels Jan Böttcher an.
       
       ## Viel zu erzählen
       
       Daniela Seel schüttet sich einen Kaffee ein, nimmt sich aber keine Sekunde,
       um ihn zu trinken, denn alle paar Sätze springt sie auf, zerrt alte Bücher
       aus dem Regal, Broschüren, Magazine, während sie erzählt und erzählt. Sie
       kramt die Leute aus der Erinnerung, die sie teilweise heute verlegt, und
       die bald hier und bald dort, aber alle in denselben paar Jahren
       auftauchten: Die Lyriker Jan Wagner und Björn Kuhligk zum Beispiel, Ron
       Winkler und Monika Rinck.
       
       Rund ums Label Kook – übrigens ein englischer Slangausdruck für Spinner –
       entstanden Literaturzeitschriften, ein Plattenverlag, man fuhr zu Festivals
       und Lesungen. Dann tauchte dieses Haus in der Schönhauser Allee 167c auf,
       das ehemalige Institut für Agrarökonomie der Akademie der Wissenschaften
       der DDR. Man richtete eine Bar ein und eine Bühne. Vor allem aber: Man traf
       sich regelmäßig zu Workshops, las, dichtete und diskutierte. Es zeichnete
       sich ab, dass es plötzlich vor allem unter jungen Leuten ein besonderes
       Interesse an Lyrik gab – in einer Zeit, wo die großen Verlage die Lyrik aus
       den Programmen nahmen. „Wir entwickelten auf eigene Faust unsere Kriterien
       für gute Lyrik“, sagt Daniela Seel.
       
       „Und dann“, sagt sie, nachdem sie doch einen Schluck Kaffee genommen hat,
       „waren da diese Manuskripte.“ Es war 2003 geworden, Björn Kuhligk hatte
       gerade seine wichtige Anthologie „Lyrik von Jetzt“ heraus gegeben. Sie
       selbst, die sich bis dahin eher als Autorin verstanden hatte, sah sich zum
       Handeln gezwungen: „Ich war die Einzige, die sich das ans Bein binden
       wollte.“
       
       Sie war auch die Einzige, die das konnte. Denn zwischendurch hatte sie eine
       Ausbildung zur Verlagskauffrau gemacht. Immer noch, sagt sie, habe sie
       manchmal das Gefühl, auf der falschen Seite zu stehen. „Wer will schon
       Verlegerin sein, das ist doch die Arschkarte“, ruft sie aus. Doch in der
       Art, wie sie das sagt, spürt man, dass sie eigentlich das Gegenteil meint.
       
       ## Lyrik für die Bühne
       
       Denn hinter Daniela Seels aufgekratzter Art steckt Kraft und die
       hundertprozentige Überzeugung von der absouten Notwendigeit ihres Tuns. Die
       Verlegerin hat eine Heimat für Viele geschaffen, die neue Lyrik produzieren
       oder konsumieren – Lyrik, die auf Bühnen funktioniert und wie man sie noch
       lange nicht in Deutschbüchern finden wird.
       
       Man kann also sagen, dass sich Kookbooks etabliert hat. Unter Verlegern
       gilt der Verlag ebenso als Institution wie unter Dichtern. Jedes Jahr
       erscheinen sechs Bücher, und sie liefern nicht nur einige der besten
       Gedichte derzeit, sondern auch noch die stilvollste Aufmachung, für der
       Graphiker Andreas Töpfer verantwortlich ist: Broschur mit edlem Papier und
       schönem Druck, Umschläge in leuchtenden Farben.
       
       Im nächsten Jahr werden es zehn Jahre, dass Daniela Seel ihren Verlag als
       Lektorin, Verlegerin, Vertriebschefin und Pressesprecherin in Personalunion
       führt. Zehn Jahre, in denen sie nie aufhören konnte, nebenbei für die Miete
       zu jobben. Und? Ist sie müde geworden in dieser Zeit? Nein, dazu ist sie
       viel zu umtriebig. Eher ist es so, „dass der Verwaltungskram immer mehr
       nervt“. Deshalb hat sie im vergangenen Jahr nach Mäzenen gesucht und 10.000
       Euro generiert. Darum ist sie auch mal wieder selbst als Lyrikerin in
       Erscheinung getreten: Mit ihrem Gedichtband „ich kann diese Stelle nicht
       wiederfinden“, der 2011 bei Kookbooks erschien. Mit diesem Buch kamen
       Preise, Stipendien, Lesungen und damit auch etwas Geld, das sie in den
       Verlag stecken kann. „Vielleicht kann ich mir irgendwann einmal einen
       Assistenten leisten“, sagt sie mit dem träumerischem Blick.
       
       ## Gedichte bringen kein Geld
       
       „Vielleicht aber“, fügt sie, schon wieder kämpferischer, an, „versuche ich
       auch, aus dem Verlag einen Verein zu machen.“ Denn es ist eine
       Binsenweisheit, dass mit Gedichten kein Geld zu verdienen ist. Früher
       leisteten sich große Verlage Gedichte und finanzierten sie mit ihren
       Bestsellern. Heute tragen die Kleinverlage ohne Bestseller alle Last. Warum
       nicht neue Wege suchen?
       
       Es gibt ein Gedicht von Daniela Seel, das beginnt so:
       
       „es gab diese möglichkeit sie glitzerte // sie besaß enden die in
       verschiedene // richtungen wiesen ich konnte nicht hin // sehen …“
       
       Diese Zeilen kann man auf viele Arten lesen, auch so: Daniela Seel hat
       Vieles geschafft, was ihr anfangs die Wenigsten zugetraut haben. Sie wird
       auch weiter Wege finden, schöne und spannende Bücher zu machen.
       
       20 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Messmer
 (DIR) Susanne Messmer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Klaus Lederer
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die freie Literaturszene in Berlin: Schluss mit dem Mythos vom Genie
       
       Insgesamt bekommt die Berliner Kultur mehr finanzielle Unterstützung vom
       Senat denn je. Manche sind dennoch unzufrieden.