# taz.de -- Unterschiede zwischen Frauen und Männern: Das sind nicht die Hormone!
       
       > Die Psychologin Cordelia Fine räumt in ihrem Buch auf mit der
       > „Geschlechterlüge“: Männer und Frauen sind nicht anders verdrahtet, das
       > ist alles nur Projektion.
       
 (IMG) Bild: Weibliche Matheschwäche? Alles nur anerzogen!
       
       Geschlechterklischees sind blöd, das meinen wir als aufgeklärte Menschen zu
       wissen. Aber warum greift das weibliche Kind eher zur Puppe als zum
       Spielzeugbagger, obwohl die Eltern es geschlechtsneutral zu erziehen
       meinen? Sind Unterschiede im Denken, Fühlen und Verhalten vielleicht doch
       angeboren?
       
       Aber ja doch, versichert uns eine Flut pseudowissenschaftlicher Literatur.
       Ist alles biologisch vorgegeben, hat mit Evolution, genetischer Prägung,
       hormoneller Steuerung und der unterschiedlichen „Verdrahtung“ männlicher
       und weiblicher Hirne zu tun, reden uns angelsächsische Autoren seit Jahren
       ein. Auch im deutschsprachigen Raum erreichen ihre Bücher
       Millionenauflagen.
       
       Die australische Psychologin und Neurowissenschaftlerin Cordelia Fine hat
       hunderte Studien durchforstet und darin enthaltene Schlussfolgerungen in
       Bezug auf geschlechtsspezifisches Verhalten durchleuchtet. Der Autorin bei
       ihrer detaillierten Analyse so mancher oberflächlicher Forschung oder
       zweifelhafter Interpretation von Ergebnissen zu folgen, ist bisweilen
       ermüdend, aber offenbar notwendig, um angeblich wissenschaftliche Beweise
       essenzieller Männlichkeit und Weiblichkeit als Mythos zu entlarven.
       
       Ein Beispiel: Der immer wieder behauptete Einfluss von Testosteron auf die
       Entwicklung der Hirne menschlicher Embryonen. In der Schwangerschaft
       produzieren die Keimdrüsen männlicher Föten große Mengen dieses Hormons,
       das in der Folge zur Ausbildung des Penis führt. Die Schlussfolgerung, das
       Testosteron spiele eine wesentliche Rolle auch bei der Ausbildung des
       männlichen Gehirns, ist keineswegs der von Emanzen geäußerten Vermutung
       geschuldet, Männer seien schwanzgesteuert, sondern beruht auf der
       nachweisbar großen Anzahl von Testosteronrezeptoren im Gehirn.
       
       Diese Rezeptoren existieren jedoch auch bei Frauen, so wie die Körper
       beider Geschlechter Testosteron bzw. verwandte Androgene produzieren. Einen
       Zusammenhang zwischen den Mengen fötalen Testosterons und Verhalten ist bei
       Ratten nachweisbar, aber schon nicht mehr bei Rhesusaffen. Im Unterschied
       zu Ratten und Rhesusaffen ist das menschliche Hirn jedoch von einer enormen
       Plastizität: Umwelteinflüsse, das eigene Denken und Verhalten, das
       Verhalten anderer, Lernen und Empfinden, all das beeinflusst die neuronale
       Struktur unmittelbar.
       
       ## Klischee Matheschwäche
       
       Weibliche Matheschwäche stellt in westlichen Gesellschaften (im Unterschied
       etwa zu Asien) ein wirkmächtiges Klischee dar. Matheaufgaben können Mädchen
       und Frauen bei uns aber schon dann besser lösen, wenn sie vorher auf dem
       Testbogen nicht ihre Geschlechtszugehörigkeit ankreuzen mussten, so eines
       der vielen von Cordelia Fine zitierten verblüffenden Ergebnisse aus dem
       Bereich Sozialpsychologie.
       
       Und was ist mit den Kindern, die im frühesten Alter ihre kleinen Händchen
       nach entweder Puppe oder Bagger ausstrecken? Auch hierzu zitiert die
       Autorin Forschungsliteratur, wonach „doing gender“ schon in der
       Schwangerschaft einsetzt: Wenn Mütter das Geschlecht ihres zukünftigen
       Kindes kennen, nehmen sie dessen Bewegungen geschlechtsspezifisch wahr
       („energisch“ gegenüber „nicht allzu lebhaft“).
       
       Bald folgt der Strampelanzug, bedruckt entweder mit Autos oder mit
       Prinzessin Lillifee. Cordelia Fine bezieht sich fast ausschließlich auf den
       Diskurs im englischsprachigen Raum. Aber auch bei uns hat es Versuche
       gegeben, den „Neurononsense“ zu entlarven. Erinnert sei an das 2004
       erschienene Buch der Psychologin Claudia Quaiser-Pohl „Warum Frauen
       glauben, sie könnten nicht einparken – und Männer ihnen Recht geben“.
       
       Anscheinend kann man es nicht oft genug wiederholen: Männer und Frauen sind
       sich ähnlicher, als vielen lieb ist.
       
       ##
       
       27 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudia Pinl
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
 (DIR) Schwerpunkt Meta
       
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