# taz.de -- „Sunset Park“ von Paul Auster: Amerika in der Depression
       
       > Paul Auster hat zu einem neuen Schreibstil gefunden: „Sunset Park“
       > beschreibt mit präzisem Realismus die USA nach der Lehman-Brothers-Pleite
       > und Immobilienkrise.
       
 (IMG) Bild: Hat postmoderne Verrätselungen und Spiele mit Fiktion und Wirklichkeit hinter sich gelassen: Paul Auster.
       
       Der Beruf des Entrümplers gehört derzeit zu den profitablen Tätigkeiten in
       den USA. Eine der Hauptfiguren in Paul Austers neuem Roman, „Sunset Park“,
       verdient so in Florida sein Geld. Es ist Spätherbst 2008, nach
       Lehman-Brothers-Pleite und Immobilienkrise.
       
       Der 28-jährige Miles Heller hat damit auch reichlich Gelegenheit, seiner
       Leidenschaft nachzugehen, Fotos von „aufgegebenen Dingen“ zu machen, die in
       den schnell geräumten Häusern zurückgeblieben sind. Jeder Gegenstand – von
       der Briefmarkensammlung bis zum Klavier – könnte eine Geschichte erzählen,
       bittet aber zumindest um einen letzten Akt der Aufmerksamkeit.
       
       Miles Heller ist ein Familienflüchtling, der vor mehr als sieben Jahren den
       Kontakt zu seinem Vater, einem Verleger, zur Mutter, einer
       Hollywood-Schauspielerin, und zur Stiefmutter, einer Anglistin, abgebrochen
       hat. Doch nun hat er ein Problem. Er hat sich in eine minderjährige
       Kubanerin verliebt, lebt mit ihr zusammen und wird von ihrer Schwester
       erpresst. Also nimmt er das Angebot eines alten Schulfreundes an, in ein
       besetztes Haus in Sunset Park in Brooklyn zu ziehen. Damit nähert er sich
       auch den Eltern wieder an – und seiner eigenen verdrängten Geschichte. Denn
       er fühlt sich schuldig am Unfalltod seines Stiefbruders.
       
       Das Haus am Sunset Park ist der Mittelpunkt des Romans. Auster beschreibt
       die vier jungen Leute, die dort in prekärer Situation zusammenleben, wohl
       wissend, dass die Polizei ihrem Experiment eines Tages ein Ende machen
       wird.
       
       Der schwergewichtige, sexuell desorientierte Bing Nathan ist so etwas wie
       ihr Capo. Auch er verdient sein Geld mit alten Gegenständen, die er in
       seiner „Klinik für kaputte Dinge“ repariert. Er misstraut der digitalen
       Zukunft und setzt stattdessen lieber auf „Greifbarkeit“. Allen
       technologischen Neuerungen zum Trotz bleibt für ihn alles beim Alten. „Der
       Mensch selbst hat sich nicht verändert. Die Tatsachen des Lebens bleiben
       bestehen. Man lebt, dann stirbt man“, sagt er.
       
       Mit ihm wohnen noch zwei junge Frauen im Haus. Ellen arbeitet für eine
       Immobilienmakleragentur, leidet unter Depressionen und versucht sich als
       Zeichnerin. Indem sie von belanglosen Stadtansichten zu harten
       pornografischen Bildern und Körperstudien übergeht, beginnt sie, sich
       selbst zu befreien. Alice schließlich schreibt an ihrer Dissertation über
       Geschlechterverhältnisse in den unmittelbaren Nachkriegsjahren. Zentral ist
       dabei William Wylers Rückkehrerfilm „Die besten Jahre unseres Lebens“, den
       Auster immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen thematisiert.
       
       ## Veränderung der amerikanischen Gesellschaft
       
       So wird in mehreren Stufen die Veränderung der amerikanischen Gesellschaft
       seit 1945 deutlich. Es geht um die bürgerliche Familie, die sich schon nach
       dem Krieg nicht mehr so leicht rekonstruieren ließ, um ihren Zerfall in
       fortgesetzten Scheidungen und berufsbedingten Abwesenheiten, bis hin zur
       Situation von Miles, der seine verbotene Liebe nicht leben darf und auch in
       der Freundesgruppe, die ein Familienersatz sein könnte, keinen Halt findet.
       
       Also greift Auster über diese kleine Gemeinschaft hinaus und nimmt auch
       Miles’ Eltern als Einzelne in den Blick. Besonders der Vater, dessen Verlag
       ums Überleben kämpft, gerät zu einer eindrucksvollen Figur. Doch auch wenn
       Vater und Sohn eine schöne Freundschaft schließen: Die Familie ist in
       diesem Roman nicht heilbar.
       
       Mit „Sunset Park“ hat Paul Auster zu einem neuen Schreibstil gefunden.
       Postmoderne Verrätselungen und abgedroschene Spiele mit Fiktion und
       Wirklichkeit hat er zugunsten eines präzisen Realismus hinter sich
       gelassen. Zum schlichten Geschichtenerzähler ist er trotzdem nicht
       geworden. Spannung entsteht weniger durch Handlungselemente als durch die
       genaue Figurenzeichnung. Da folgt Augenblick auf Augenblick in einzelnen
       Bildern.
       
       Mit den Kapiteln wechselt Auster die Perspektiven, sodass jede Figur aus
       unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden kann. Als Autor tritt er
       hinter seine Figuren zurück. Er schreibt unaufdringlich und sparsam, der
       Ton ist leise, vorsichtig.
       
       Es handelt sich bei diesem Roman eher um eine Abfolge von Tuschezeichnung
       als um ein großes Ölgemälde. Doch gerade deshalb sind die Konturen scharf.
       So einfach und doch so genau und stimmungsstark kann man vom Amerika in der
       Depression erzählen.
       
       ## ■ „Sunset Park“. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Rowohlt, Reinbek
       2012, 318 Seiten, 19,95 Euro
       
       29 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörg Magenau
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Autobiografie
       
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