# taz.de -- Ortstermin London: Sex Pistols und Statisten
       
       > Nachts wippen die Zuschauer, am Morgen schimpfen die Straßenhändler: Nach
       > der Euphorie in der Eröffnungsnacht kehrt schnell wieder Alltag in
       > Ostlondon ein.
       
 (IMG) Bild: Touristen meiden den Olympia-Rummel
       
       Die Bezirksverwaltung des Ostlondoner Viertels Hackney hat eine
       Großbildleinwand in den Haggerston Park gestellt. Es ist als kostenlose
       Alternative zum vom Olympiakomitee betriebenen Public Viewing im Victoria
       Park gedacht, wo Showprogramm, Rummel und das unvermeidliche Riesenrad
       einen hohen Eintrittspreis legitimieren sollen.
       
       Es ist Sonntagmittag, erst ein paar Menschen sitzen auf der weiten
       Rasenfläche, um sich auf einer Großbildleinwand die
       Olympia-Berichterstattung der BBC anzuschauen.
       
       Richard Skepper, zuständig für das Crowd Management im Haggerston Park,
       schätzt, dass sich im Laufe des Samstags ständig 3.000 Leute vor der
       Leinwand aufhielten, bei einer Kapazität von 4.800 Plätzen. Zur
       Eröffnungszeremonie war der Ansturm so groß, dass sich die Ordner der
       Sicherheitsfirma G4S gezwungen sahen, zeitweilig die Tore zu schließen.
       Einigen Kids gelang es trotzdem, über die Mauern und Zäune zu klettern.
       
       Zumindest an diesem Abend hat das Olympiafieber die Bevölkerung Ostlondons
       ergriffen. Tausende sind auf der Straße unterwegs. Die Menge im Haggerston
       Park fungiert als Seismograf: Die meisten Buhrufe erhält die französische
       Mannschaft, auch die Deutschen können nicht viel Begeisterung hervorrufen.
       Gefeiert werden Indien, vor allem aber Jamaika.
       
       Während die Jugend sich im Park drängelt, sind viele ältere Leute und
       Familien in einen anglikanischen Gemeindesaal gegangen, wo die
       Eröffnungszeremonie auf Videoleinwand übertragen wird. Gemeindemitglieder
       verteilten Kuchen und Getränke. Die Leute lachen über Mr Bean und bejubeln
       die Huldigung des Gesundheitssystems. Als die Queen kommt und „God Save the
       Queen“ erklingt, hält es kaum einen auf den Stühlen. Einige wippen aber
       auch bei „Pretty Vacant“ der Sex Pistols mit.
       
       Um Mitternacht versammeln sich die Massen in den Straßen von Hackney Wick,
       gleich westlich des Olympiageländes. Viele haben sich selbst mit Sekt und
       Bier versorgt und halten Smartphones, Kameras und Tablets in Richtung des
       Feuerwerks über dem Stadion. Robert McCamon ist mit einem Freund auf eine
       Brücke neben der Autobahn gekommen, beide noch in voller Montur – sie waren
       während der Eröffnungszeremonie zwei der Arbeiter. „Wir Statisten wurden
       vorher rausgeschmissen, damit nicht alle gleichzeitig das Stadion
       verlassen“, sagt er.
       
       ## Verluste durch Olympia
       
       Nach der euphorischen Nacht kehrt schnell wieder der Alltag in Ostlondon
       ein. „Ich hab’s schon geahnt“, sagt Abdul Jamal, Chef von Taj Stores, der
       ältesten Lebensmittelhandlung der bengalischen Community in Londons East
       End: „Die Spiele sind nicht gut fürs Geschäft.“ Tatsächlich ist es jetzt
       auf der Brick Lane, an der sich der Laden befindet, sogar für einen
       Sonntagmorgen ruhig. Weiße Mittelklasse-Hipster treffen hier sonst auf
       einem der größten Flohmärkte Londons mit der migrantisch geprägten
       Einwohnerschaft zusammen.
       
       „Die Berichterstattung über Transportprobleme und Verkehrsstaus hält die
       Leute davon ab, in die Brick Lane zu kommen“, schimpft Jamal. „Dafür haben
       unsere Zulieferer ihren Service in die Nacht verlegt, was die Arbeit teurer
       macht.“
       
       Im Vorfeld von Olympia hat die Bezirksverwaltung Tower Hamlets dem Cluster
       bengalischer Restaurants und Läden den Werbeslogan „CurryCapital“
       übergestülpt. „Ansonsten ist aber nichts weiter passiert. Keine
       entsprechende Veranstaltung oder Werbemaßnahme. Nicht mal Werbebanner“,
       ärgert sich Jamal. Von dem Großereignis würden nur die Unternehmen im
       Olympiapark profitieren.
       
       „Um den Tourismus anzukurbeln, braucht London die Spiele nicht“, meint
       T-Shirt-Verkäufer Gerry Buxton. „Viele Touristen bleiben gerade deswegen
       weg. Und die, die kommen, kaufen eher die offiziellen T-Shirts.“
       
       Auch Darius aus Litauen ist nicht bester Laune. Der Mittvierziger mit
       Glatze, Bodybuilder-Statur und verspiegelter Sonnenbrille verkauft aus
       seinem Kleintransporter heraus Wurst, eingelegtes Gemüse und Obst. „Meine
       Kundschaft waren zumeist Leute aus Osteuropa. Aber die sind jetzt alle
       zurückgegangen. Die Jobs auf den Olympiabaustellen sind zu Ende. Und neue
       gibt’s nicht mehr.“
       
       29 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Oliver Pohlisch
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