# taz.de -- Biografie des US-Präsidenten: „Obamas Leben ist eine Odyssee“
       
       > Der US-Präsident habe noch immer ein umwerfendes Lächeln, aber keine
       > rhetorische Kraft mehr, sagt David Maraniss. Er hat eine Biografie über
       > Obama geschrieben.
       
 (IMG) Bild: Umwerfendes Lächeln und Basketball: Barack Obama.
       
       taz: Herr Maraniss, Barack Obama ist leidenschaftlicher Basketball-Spieler.
       Wenn Sie Coach wären, welche Position würde er spielen und warum? 
       
       David Maraniss: Er wäre Shooting Guard (etwa: werfender Verteidiger),
       obwohl er kein großartiger Werfer ist. Bildlich gesprochen wäre er Point
       Guard (Spielmacher), weil er die Fähigkeit hat, Schlichter zu sein. Er
       liebt Basketball. Es ist viel mehr als Sport. Es half ihm, seine schwarze
       Identität zu finden, da er in einer weißen Familie aufwuchs.
       
       Anders als Obama in seinen Memoiren schreibt, bekam er im College nicht so
       viel Spielzeit, weil er einen „schwarzen Stil“ hatte, sondern weil er
       einfach nicht gut genug war, wie Ihre Recherchen zeigen. Ein Detail von
       vielen, in dem Sie genauer sind als Obama. 
       
       Viele Gegner Obamas haben versucht, etwas aus diesen Unterschieden
       herauszuschlagen. Aber Memoiren sind etwas anderes als eine Biografie. Sein
       Buch gibt Einblicke in die inneren Kämpfe während seiner Identitätsfindung.
       Und das ist okay.
       
       Was war das Bemerkenswerteste, das Sie herausgefunden haben? 
       
       Die Tagebucheinträge seiner Exfreundin Genevieve Cook in New York. Sie
       waren sehr aufschlussreich, da sie eine Sichtweise auf den jungen Obama
       bieten. Sie nahm eine Coolness wahr, eine Art Schleier zwischen ihm und dem
       Rest der Welt.
       
       Haben Sie das auch bemerkt, als Sie ihn getroffen haben? 
       
       Er war sehr witzig, locker und cool. Aber man kann ihn nicht wirklich
       durchdringen. Doch bei den meisten Politikern gibt es dieses Schild
       zwischen sich und anderen.
       
       Sie beschreiben, wie Obama eine aktive Entscheidung traf, schwarz und nicht
       weiß zu sein, als er von Hawaii aufs Festland zog. Wäre sein Leben anders
       verlaufen, hätte er sich anders entschieden? 
       
       Wegen seiner Hautfarbe hat er sich von Anfang an mit Rassismus und damit,
       ein Afroamerikaner zu sein, auseinandersetzen müssen. Kulturell musste er
       es lernen, weil er mit einer weißen Mutter und weißen Großeltern
       aufgewachsen ist. Hawaii ist zwar sehr vielfältig, aber es gibt nicht viele
       Afroamerikaner. Nachdem er Hawaii verlassen hatte, hat er sich bewusst
       damit befasst. Es war keine politische Entwicklung, sondern eine
       persönliche, um ein Gefühl für Heimat zu entwickeln.
       
       Wie bewerten Sie die Rolle seines Vaters, der nicht präsent war? 
       
       Er spielt gar keine Rolle. Obama hatte Glück, niemals mit ihm gelebt zu
       haben, denn er war nicht nur Alkoholiker, sondern auch gewalttätig.
       
       Was hat den jungen Obama geprägt – persönlich und beruflich? 
       
       Sein ganzes Leben ist eine klassische Odyssee, ein Versuch, sich selbst zu
       finden. Anders als Bill Clinton hat Obama sein Leben nicht mit dem
       Entschluss begonnen, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Er war
       nicht in Organisationen oder in der Schulpolitik aktiv. Das kam viel
       später. Obama hat sehr langsam den Gedanken entwickelt, dass sein Leben
       eine Bestimmung hat. Als er 1985 als Gemeindearbeiter nach Chicago kam, hat
       er sich mit Macht und wie man sie nutzen kann beschäftigt. Dort kam er zu
       dem Schluss, er müsse in die Politik gehen, um die Welt beeinflussen zu
       können.
       
       Sie schreiben, dass seine Mutter ihm Empathie vermittelt hat. Ist der
       Präsident Obama noch empathisch? 
       
       Er zeigt nicht wirklich Empathie. Er geht – anders als Bill Clinton – nicht
       auf die Leute zu und sagt: „Ich fühle euren Schmerz.“ Er ist nicht der
       Umarmungstyp. Aber anders als viele andere Politiker ist er kein
       Schauspieler. Ich denke, dass er in seinem Inneren sehr bewusst über
       Empathie nachdenkt und darüber, sich in andere Leute hineinzuversetzen.
       Aber er fühlt sich nicht wohl dabei, das auszuleben.
       
       Sie haben auch eine Biografie über Bill Clinton geschrieben. Gibt es
       Gemeinsamkeiten zwischen ihm und Obama? 
       
       Sie sind beide enorm ehrgeizig. Sie kommen aus eher dysfunktionalen
       Familien. Sie sind pragmatische, liberale Politiker. Persönlich sind sie
       extrem unterschiedlich. Clinton hatte das fast neurotische Bedürfnis, unter
       Leuten zu sein. Obama hat das gar nicht. Was ihm politisch schaden kann, da
       er Leuten nicht Honig ums Maul schmiert.
       
       Doch Obama ist sehr charismatisch. 
       
       Obama hat ein Charisma, aber es unterscheidet sich sehr von dem anderer
       Politiker. Er hat großartige rhetorische Fähigkeiten, die er in Chicago von
       der Tradition der schwarzen Prediger gelernt hat. Er hat ein Lächeln, das
       einen Raum zum Leuchten bringt. Und eine gewisse Hipness.
       
       Diese lockere Haltung der Hawaiianer, die alle ihm bescheinigten, als er
       aufs Festland zog? 
       
       Ja. Etwa die Art, wie er läuft. Und er bleibt sehr cool. Das macht sein
       Charisma aus. Aber manchmal wünschen sich seine Berater, dass er gegenüber
       seinen Gegnern wütender wird.
       
       Glauben Sie an eine zweite Amtszeit? 
       
       Bedenkt man die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen er umgehen
       musste, ist er in einer stärkeren Position als viele vielleicht glauben.
       Einiges ist jenseits seiner Kontrolle, was in Europa passiert etwa.
       
       Ist die Entwicklung in Europa für die Amerikaner bei der Wahl wirklich
       entscheidend? 
       
       Nein. Aber es ist ein Faktor, und wenn es eine knappe Wahl wird, wird er
       wichtiger. Obama ist ein stärkerer Kandidat als Mitt Romney. Und er hat
       einen starken Kampagnen-Apparat. Aber er hat nicht mehr die rhetorische
       Kraft, die er vor vier Jahren hatte. Es wird eng, aber ich glaube, er
       schafft es.
       
       Sie schreiben, Obamas Ziel sei es, die Fallen im Leben zu vermeiden. War er
       erfolgreich? 
       
       Er hat es immerhin zum Präsidenten gebracht. Aber es gibt viele Fallen, die
       kompliziert sind. Afghanistan, die Wirtschaft.
       
       Und die Gesundheitsreform, die er durchgesetzt hat? 
       
       Die sehe ich nicht als Falle. Die Entscheidung des Supreme Court war ein
       heikler Moment, aber das Gericht hat zu seinen Gunsten entschieden und
       jetzt hat er die Chance, seine Reform offensiv zu erklären – und nicht
       immer nur zu verteidigen.
       
       Das Buch endet mit dem 27-jährigen Obama, der nach Harvard aufbricht … 
       
       Ich wollte die Welt zeigen, die ihn kreiert hat, und wie er die
       Widersprüche auflöst, die sich ihm entgegenstellen. Außerdem wollte ich
       beschreiben, wie er sich auf seine politische Laufbahn vorbereitet. Ich
       arbeite an einem zweiten Band, der sich mit seiner Karriere beschäftigen
       wird.
       
       Sie haben an Band eins vier Jahre recherchiert, sind viel gereist. Ihre
       unvergesslichste Erinnerung? 
       
       Das war in Indonesien, dort, wo der siebenjährige Obama gelebt hat, der
       damals Barry Soetoro hieß – nach seinem Stiefvater. Der Gedanke, dass der
       kleine Barry Präsident der USA wurde, hat mich überwältigt.
       
       Obama wurde noch zu Uni-Zeiten Barry genannt, bevor er zu Barack
       zurückkehrte. Wäre Barry ein besserer Präsident als Barack? 
       
       Barack repräsentiert den Übergang von seiner Erziehung zu einem
       afroamerikanischen Erwachsenen. Politisch gesehen ist er beides, Barry und
       Barack, weil er versucht, beide Welten zu vereinen.
       
       An Obamas 4. Geburtstag, 1965, wurde der Voting Rights Act unterzeichnet,
       der Wahlhürden für Afroamerikaner wie den Analphabetismustest abschaffte.
       47 Jahre später reden wir immer noch über Rassismus bei dieser Wahl. 
       
       Es ist eine langsame, frustrierende Entwicklung. Vielleicht bin ich zu
       optimistisch, aber ich glaube, in einigen Generationen werden Fragen der
       Bürgerrechte und Rechte für Homosexuelle hinter uns liegen.
       
       Ist Obamas Unterstützung der Homo-Ehe ein Schritt dorthin? 
       
       Es ist ein wichtiger Schritt. Auch ein Mitt Romney wird dahinter nicht
       völlig zurücktreten können.
       
       Sie zitieren William Faulkner mit den Worten: „Die Vergangenheit ist
       niemals tot, sie ist nicht einmal vergangen.“ Obama nutzt dieses Zitat
       ebenfalls in seinen Reden. Ist dieser Glaube etwas, das Sie gemeinsam
       haben? 
       
       Ich denke schon. Wir alle verstehen, dass wir Produkte unserer
       Vergangenheit und der Geschichte unserer Familie sind. Um zu verstehen, wer
       man ist und wer wir als Nation sind, muss man die Vergangenheit studieren.
       Und ich glaube, Obama würde mir darin zustimmen.
       
       31 Jul 2012
       
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 (DIR) Rieke Havertz
       
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