# taz.de -- Händler in Aleppo: Mit dem Umsturz kalkulieren
       
       > Es hat gedauert, bis der Aufstand Syriens nördliche Metropole erfasst
       > hat. Die hiesigen Händler galten als wichtige Stütze des Assad-Regimes –
       > bis jetzt.
       
 (IMG) Bild: Die Revolution ist schlecht fürs Geschäft: Geschlossene Läden nach einem Bombenanschlag Ende Juni in Aleppo.
       
       BERLIN taz | Lange Zeit schien die nordsyrische Wirtschaftsmetropole Aleppo
       weitgehend isoliert von dem Aufstand, der weite Teile des Landes erfasst
       hat: „Viele Leute waren schon wütend auf uns, weil sie dachten, dass wir
       nicht hinter der Revolution stehen“, sagt Mohammed Said, ein aleppinischer
       Aktivist. „Dabei war es für uns nur viel schwieriger, zu protestieren, weil
       es hier so viele Sicherheitskräfte und Schabiha-Milizionäre gibt.“
       
       Zwar hat es auch in der 2,5-Millionen-Stadt Aleppo Proteste gegeben, vor
       allem an der Universität, doch sie kamen spät in Gang und waren schwächer
       als in vielen anderen Orten des Landes. Im Mai, bei den bisher größten
       Kundgebungen in Aleppo, sollen einige tausend Leute auf die Straße gegangen
       sein.
       
       Seit Beginn der Revolte hatte Präsident Baschar al-Assad alles
       darangesetzt, die Situation in der 2,5-Millionen-Einwohner-Stadt ruhig zu
       halten. Das tat er mit aller Härte, wie ein aktueller Bericht von Amnesty
       International jetzt belegt: Der Report, der sich auf einen zweiwöchige
       Rechercheaufenthalt in Nordsyrien stützt, dokumentiert Folter, Razzien und
       willkürliche Verhaftungen, mit denen das Regime gegen die Opposition
       vorging.
       
       Doch nun hat der Bürgerkrieg Aleppo erfasst. Seit die Rebellen der Freien
       Armee Syriens (FSA) vor zwei Wochen in mehrere zentrale Viertel
       vorgedrungen sind, greift die Gewalt immer stärker um sich. Beide Seiten
       haben den Kampf um Aleppo zur Entscheidungsschlacht erklärt. „Wir stehen an
       einem kritischen Punkt“, sagt Rami, ein Aktivist aus Aleppo, der vor
       wenigen Tagen in ein Dorf im Norden geflohen ist. „Wenn Assad Aleppo
       verliert, heißt das, dass der Zusammenbruch des Regimes begonnen hat.“
       
       ## Wichtige Pufferzone für die Oppostion
       
       Aleppo liegt in der Nähe der Grenze zur Türkei. Die geografische Lage
       erklärt die große strategische Bedeutung der Stadt. Die Rebellen der FSA
       nutzen die Südtürkei als Rückzugsraum und bringen von dort Waffen und
       Munition ins Land. „Das Regime muss Aleppo schnell unter Kontrolle
       bringen“, sagt Ayham Kamel, Syrienexperte der Eurasia Group. „Denn wenn es
       den Rebellen gelingt, Aleppo zu erobern und dort politische Strukturen
       aufzubauen, wären sie in der Lage, das Libyen-Szenario zu wiederholen.“ Das
       heißt: Sie könnten eine Pufferzone schaffen, in der sich die Opposition
       organisieren kann, so wie sich zuvor die libyschen Rebellen in Bengasi
       sammelten.
       
       Allerdings bezweifeln viele Beobachter, dass die Rebellen den regulären
       Streitkräften lange standhalten können. Nur eines ist sicher: Die Gefechte
       beschleunigen den wirtschaftlichen Niedergang Syriens. Denn Aleppo ist
       nicht nur das Zentrum des Handels in Syrien, sondern mit seinen vielen
       Textil- und Lebensmittelfabriken auch ein bedeutsamer Industriestandort.
       
       Jetzt stehen die Aleppiner Betriebe weit gehend still, auch die meisten
       Geschäfte haben geschlossen. „Wenn die Wirtschaft schrumpft, fehlen dem
       Regime die Mittel, den Lebensstandard der Menschen aufrechtzuerhalten“,
       sagt der Wirtschaftsanalyst Samir Seifan, ein früherer Regierungsberater,
       der jetzt in Dubai lebt. Die Folge ist ein Verlust von Legitimität: „Das
       Regime hat sich die Loyalität der Eliten gesichert, indem sie ihnen
       Privilegien verschafft hat. Jetzt kann es dieses System immer weniger
       aufrechterhalten.“
       
       „Die Revolution ist schlecht fürs Geschäft“, sagt Rami, der Aktivist aus
       Aleppo. „Deswegen standen die Händler bislang hinter Assad. Manche haben
       sogar Schabiha bezahlt, damit sie ihre Fabriken beschützen.“ Die Schabiha
       sind Assad-treue Milizen.
       
       ## Anschläge auf regimetreue Unternehmer
       
       Allmählich zeichnet sich ein Wandel in der Haltung der Geschäftsleute ab,
       die nicht nur unter den internationalen Sanktionen leiden, sondern auch
       unter der Gewalt im Lande, die das Wirtschaftsleben behindert. Zudem gab es
       zuletzt immer wieder Brandanschläge auf Betriebe, deren Inhaber als
       regimetreu gelten. „Die Mehrheit der Händler hatte Angst vor einem
       Umbruch“, sagt Samir Seifen. „Jetzt aber kalkulieren ihre Interessen neu,
       denn sie haben erkannt, dass das Regime ihnen nicht mehr die Stabilität
       verschaffen kann, die sie für ihre Geschäfte brauchen.“
       
       Doch gerade weil die friedlichen Proteste in Aleppo nie eine kritische
       Masse erreicht haben, ist unklar, inwieweit die Bevölkerung hinter dem
       bewaffneten Aufstand steht. Die Mehrheit der FSA-Kämpfer ist aus anderen
       Orten in die Stadt gekommen, aus dem Umland oder aus der nahe gelegenen
       Provinz Idlib. „Aleppo selbst hat sich dem Aufstand nicht angeschlossen“,
       sagt David Schenker, Leiter des Programms für Arabische Studien am
       Washington Institute For Near East Policy. „Eine Menge Leute stehen derzeit
       am Rand des Konflikts und warten ab, welche Seite die Oberhand gewinnen
       wird.“
       
       Allerdings sind Repressionen und wirtschaftliche Interessen nicht die
       einzigen Gründe, warum Aleppo so lange ruhig geblieben ist: In der Stadt
       leben die verschiedensten Ethnien und Konfessionen zusammen: 10 Prozent der
       Bevölkerung sind Christen, 20 Prozent Kurden
       
       Die Minderheiten haben sich überwiegend aus dem Konflikt herausgehalten.
       Sie fürchten den zunehmenden Einfluss islamistischer Strömungen unter den
       Rebellen. So haben die Kämpfe noch nicht auf die christlichen
       Mittelklasseviertel im Westen übergegriffen. „Es ist seltsam, die Leute
       sitzen in den Cafés und rauchen Wasserpfeife, als wenn nichts passiert
       wäre“, sagt ein christlicher Künstler in dem wohlhabenden Viertel Jedideh.
       Viele von ihnen hätten den Eindruck, dass der Krieg von außen in ihre Stadt
       getragen wurde. Nun wächst bei den Minderheiten die Angst, zwischen die
       Fronten zu geraten: „Wir haben keine Ahnung, wer diese Leute sind, die wir
       jetzt auf der Straße sehen. Selbst meine muslimischen Freunde machen sich
       große Sorgen.“
       
       5 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriela M. Keller
       
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 (DIR) Schwerpunkt Syrien
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