# taz.de -- Ausstellung „Rasterfahndung“: Durch die Maschen geschlüpft
       
       > Was ist überhaupt ein Raster? Das Stuttgarter Kunstmuseum zeigt in in
       > einer Ausstellung, wie Künstler Ordnungssysteme entwerfen und
       > dekonstruieren.
       
 (IMG) Bild: Im Raster: Ob dieser Besucher durch die Maschen schlüpfen kann?
       
       STUTTGART taz | Bilder aus Überwachungskameras, angeordnet an einem
       rechtwinkligen Raster über beide Etagen des Stuttgarter Kunstmuseums. Wie
       kein anderes Werk illustrierten die 96 „Antlitze“ von Jürgen Klauke den
       Titel der Ausstellung im Stuttgarter Kunstmuseum: Rasterfahndung. Doch für
       Fahndungszwecke sind die Aufnahmen nicht geeignet: Erstens sind die 96
       Personen alle vermummt. Zweitens ist das Druckraster zu grob, um
       Einzelheiten erkennen zu lassen.
       
       So führt die Arbeit die Grenzen der Rasterfahndung vor Augen: Einmal kann
       der Gesuchte, wenn er von der Überwachung weiß, sich der Identifikation
       entziehen. Zudem produziert das Raster immer auch seine eigenen Grenzen: Je
       nachdem, wie grob es gewählt ist, lassen sich feine, aber vielleicht
       entscheidende Unterschiede schlicht nicht mehr wahrnehmen.
       
       Was ist überhaupt ein Raster? Prinzipiell ein Ordnungssystem, ein
       Hilfsmittel, kein Bildgegenstand. Dürer verwendete ein Raster zur
       Konstruktion der Zentralperspektive, die Fotorealisten vergrößerten damit
       kleinformatige Abzüge maßstäblich auf die Leinwand. Wenn das Raster selbst
       Thema der Kunst wird, heißt dies, dass Ordnungssysteme und
       Wahrnehmungsmechanismen infrage gestellt oder sichtbar gemacht werden
       sollen.
       
       Erstaunlich, zu sehen, wie hartnäckig und zeitaufwändig die Künstler
       Rastersysteme entwerfen oder dekonstruieren. So, als gelänge es nicht mehr,
       der Welt jenseits der vorgefertigten Raster habhaft zu werden, die sich wie
       ein undurchdringliches Netz zwischen Realität und Beobachter schieben. Es
       gehört zu den Paradoxien der modernen, westlichen Kunst der Nachkriegszeit,
       dass sich selbst die scheinbar realistischen Richtungen im Raster
       verfangen, wie die Pop-Art Roy Lichtensteins zeigt.
       
       ## Umfangreicher Museumsbesitz dank Spende
       
       Die Kuratorin Simone Schimpf ging von der Beschäftigung mit der konkreten
       Kunst aus, die in Stuttgart seit den Zeiten von Max Bill, Hans-Jürgen
       Müller, Max Bense und Anton Stankowski stark vertreten ist. Das Kunstmuseum
       besitzt einen umfangreichen Bestand dank einer Schenkung des Sammlerpaars
       Heinz und Anette Teufel. Er reicht von Josef Albers über Gerhard Richters
       Farbquadrate, François Morellet, Günther Uecker und Sol LeWitt bis hin zu
       Hanne Darboven.
       
       Konkrete Kunst will aber – darin liegt die rhetorische Spitze der
       Bezeichnung – gar keinen Bezug zur Welt außerhalb der Kunst herstellen.
       Wenn dies gegenüber einer gegenständlichen Repräsentationskunst einmal so
       etwas wie einen Fortschritt oder eine Befreiung bedeutet haben sollte, so
       dekorieren abstrakt-geometrische Werke aller Art heute problemlos
       Bankhäuser und Landratsämter: Die Zeit, als moderne Kunst noch provozieren
       konnte, ist historisch geworden.
       
       Die Ausstellung reagiert darauf spielerisch: Sie bringt von Anfang an die
       älteren Arbeiten mit denen jüngerer Künstler in Dialog. Auf Carl Andres auf
       dem Fußboden ausgelegtes Schachbrettmuster aus Eisen- und Aluminiumtafeln
       antwortet einmal ganz direkt Sigmar Polkes direkt daneben gehängtes Gemälde
       „Carl Andre in Delft“ – wie unschwer zu erraten mit blau-weißen Delfter
       Kacheln.
       
       Zum Zweiten bringt Tim Stapel im Raum unmittelbar darunter ein
       Quadratraster aus Spanplatten gehörig in Unordnung, indem er sich auch an
       den Geometrien des Kunstmuseums orientiert. Katharina Hinsberg lässt rote
       Kugeln im Abstand von 50 Zentimetern entlang einem Würfelraster von der
       Decke hängen. Dies erinnert an Gianni Colombos „Spazio elastico“, ein mit
       Schwarzlicht beleuchtetes Raster aus weißen Gummibändern, die von leicht
       knarzenden Motoren zur Seite gezogen werden. Hinsbergs Kugelraster erzeugt
       einen ähnlichen, schwankenden Raumeindruck: Die Kugeln pendeln in
       komplexen, zusammengesetzten Bewegungen. Aber sie benötigen keinen Strom
       und keinen Motor.
       
       ## Zuordnung von Profilen
       
       Nur, wo bleibt die zweite Hälfte des Titels, die Fahndung? Das Thema der
       Überwachung taucht nur in einem separaten Anhang der Ausstellung auf, zu
       dem ein Zickzackparcours führt, den Eva Grubinger mit einem
       Flughafen-Absperrband an der engsten Stelle aufgebaut hat, gerade unterhalb
       von Klaukes 96 Antlitzen. An der Decke hängt ein Würfel aus Eisengitter von
       Mona Hatoum – eher Käfig als Raster.
       
       Christina Kubisch macht die elektromagnetischen Wellen an
       Sicherheitsbarrieren hörbar. Chris Oakley führt in einem Video vor, wie
       sich aus der Masse der Kaufhausbesucher einzelnen Kunden sofort ein Profil
       von Kaufverhalten und Gesundheitsdaten zuordnen lässt. Gewollt oder nicht,
       führt die Ausstellung dann doch noch vor Augen, dass es mittlerweile in der
       Kunst andere Fragestellungen gibt als zur Zeit der Konkreten.
       
       „Rasterfahndung. Das Raster in der Kunst nach 1945“, Kunstmuseum Stuttgart,
       bis 7. 10., Katalog, Wienand, 34 Euro
       
       8 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dietrich Heissenbüttel
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
       
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