# taz.de -- Touristen in Berlin II: "Ohne sie wäre die Stadt langweiliger"
       
       > Stadtforscher Johannes Novy über die Ballermanisierung einzelner Kieze,
       > das Image Berlins und Möglichkeiten der Politik, die negativen Folgen des
       > Tourismus zu entschärfen.
       
 (IMG) Bild: Echter Berlin-Kitsch: So lieben es die Touristen!
       
       Berlin ist eines der beliebtesten europäischen Reiseziele. Ist die Debatte
       über den Tourismus in anderen Städten auch so groß? 
       
       Debattiert wird auch anderswo, aber in der Regel nicht so intensiv und
       kontrovers. In London ist Tourismus ein Thema unter vielen. Dort waren es
       andere Branchen wie etwa die Finanzindustrie, die die Stadtentwicklung der
       letzten Jahre besonders geprägt haben. Dass wir hier so viel über den
       Tourismus diskutieren, hat auch damit zu tun, dass er in Berlin eine
       bedeutende Rolle einnimmt, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht.
       
       Inwiefern sonst? 
       
       Tourismus bringt Geld und schafft Arbeitsplätze – auch wenn hinterfragt
       werden sollte, wie die Beschäftigungsverhältnisse in der Branche sind.
       Darüber hinaus wäre die Stadt ohne Tourismus deutlich langweiliger: Die
       kulturelle Vielfalt hier wäre ohne die Besucher kaum vorstellbar. Bei den
       negativen Effekten würde ich drei hervorheben: Müll, Lärm sowie
       stadtkulturelle und soziale Auswirkungen wie die häufig konstatierte
       „Ballermannisierung“ einzelner Kieze. Außerdem spielt der Tourismus eine
       Rolle in Verdrängungsprozessen.
       
       Wird der Tourismus hier weiter wachsen? 
       
       Ein weiteres Wachstum ist nicht unwahrscheinlich, aber keine
       Selbstverständlichkeit. Künftig werden etwa mehr Touristen aus China und
       Indien kommen. Andererseits bleibt der Tourismus in Berlin ein Stück weit
       unbeständig. Das liegt auch an den Attributen, mit denen die Stadt
       verbunden wird. Das Time-Magazine hat die Stadt mal „Capital of cool“
       genannt. Es ist nicht gesagt, dass dieses Image nicht irgendwann einer
       anderen Stadt zufällt.
       
       Auf einen Berliner kommen etwa drei Touristen im Jahr, einige sehen sie als
       Feindbild. Machen sie den Kiez kaputt? 
       
       So einfach ist das nicht. Klar, wer in der Kreuzberger Falckensteinstraße
       oder anderen Hotspots wohnt, hat guten Grund, genervt zu sein. Das
       Touribashing lenkt jedoch davon ab, dass die Besucher mitnichten für all
       die Probleme, für die sie verantwortlich gemacht werden, allein
       verantwortlich sind. Es wird zudem immer schwieriger, zwischen Touristen
       und Bewohnern zu unterscheiden. Viele Touristen bleiben mehrere Monate –
       und viele Berliner verhalten sich nicht viel anders als Touristen und sind
       selbst ständig in anderen Städten zu Besuch. Als Feindbild taugt allenfalls
       die Ausrichtung der Berliner Politik. Viele der Konflikte und Probleme, die
       mit Tourismus verbunden werden, sind ihr geschuldet.
       
       Was soll der Senat denn anders machen? 
       
       Man muss Tourismusentwicklung zusammen denken mit Fragen der Quartiers- und
       Stadtteilentwicklung, der Kulturpolitik, der Mieten- und
       Beschäftigungspolitik. In den vergangenen 20 Jahren hat man sich
       ausschließlich mit Besucherzahlen und dem erwirtschafteten Umsatz befasst,
       fast ausschließlich Branchenpolitik betrieben. Es ging fast nur um die
       Frage: Was können wir für den Tourismus tun? Dabei sollte es auch darum
       gehen: Was kann der Tourismus jenseits des ökonomischen Nutzens für die
       Stadt tun. Hotels könnten Räumlichkeiten für Vereine zur Verfügung stellen
       und damit am Stadtleben teilnehmen. Mit dieser Frage hat man sich lange
       Zeit ebenso wenig auseinandergesetzt wie mit den problematischen Folgen des
       Tourismus. Gleichzeitig gilt aber auch, dass es mit einer Neuausrichtung im
       Bereich Tourismus nicht getan wäre. Der Tourismus spaltet nicht zuletzt
       deshalb die Gemüter, weil sich das ehemals geteilte Berlin seit der
       Wiedervereinigung mehr und mehr in eine sozial gespaltene Stadt entwickelt
       hat. Gentrifizierung und Verdrängung sind seitdem zu entscheidenden Themen
       in der Stadt geworden.
       
       Welche Instrumente gibt es, um Tourismus verträglicher zu machen? 
       
       Um gegen den fortschreitenden Verlust von Wohnraum durch Ferienwohnungen
       vorzugehen, soll ja zum Beispiel die Zweckentfremdungsverbotsverordnung
       wiedereingeführt werden. Eine andere Mieten- und Wohnungspolitik könnte
       viele der Debatten über Tourismus und seine Folgen entschärfen. San
       Francisco ist zum Beispiel Mitglied einer Initiative, die ein Zertifikat
       für nachhaltigen Tourismus entwickelt hat. Dabei geht es zum Beispiel um
       die Verteilung von Nutzen und Kosten des Tourismus oder die Frage, wie
       Bewohnerinteressen bei der Planung und Steuerung touristischer Entwicklung
       stärker berücksichtigt werden können.
       
       9 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Laurence Thio
       
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