# taz.de -- Drogenhilfe: Druckraum ab vom Schuss
       
       > Seit mehr als einem halben Jahr hat der neue Kreuzberger Druckraum
       > geöffnet. Viele Nutzer jedoch bleiben ihm fern: Er ist zu weit weg vom
       > Kottbusser Tor.
       
 (IMG) Bild: Hygiene und Sauberkeit sollen Druckräume bieten.
       
       Das Ladenlokal in der Reichenberger Straße in Kreuzberg macht einen
       beschaulichen Eindruck. Die Sonne wirft helle Flecken durch das grüne
       Blätterdach auf die Terrasse. Eine junge Frau unterhält sich mit einem
       Sozialarbeiter. Neben ihr steht ihr Freund, ein dürrer Dunkelhaariger mit
       flackerndem Blick. Der Druckraum, ein weiß gekacheltes Zimmer, in dem sich
       Junkies unter hygienischen Bedingungen einen Schuss setzen können, ist
       gerade leer. Nur im lachsfarbenen Raucherraum weiter hinten hat sich ein
       Mann zum Konsumieren an einen der Tische gesetzt. Alles ist ruhig.
       
       Zu ruhig, jedenfalls im Vergleich zu früher: 2009 musste der alte Druckraum
       in der Dresdner Straße, nur wenige Meter vom Kottbusser Tor entfernt,
       schließen. Der Vermieter hatte gekündigt. Die neue Fixerstube in der
       Reichenberger gibt es seit nunmehr acht Monaten. Doch noch immer kommen
       deutlich weniger Abhängige zum Spritzen oder Rauchen hierher als zur alten
       Anlaufstelle. „Wir sind weit von einer Auslastung der Einrichtung
       entfernt“, sagt Kerstin Dettmer vom Verein Fixpunkt, der den Druckraum
       betreibt.
       
       217 Konsumvorgänge zählte Fixpunkt im Juni. Zum Vergleich: In der Dresdner
       Straße wurden im April 2009 insgesamt 386 Mal Drogen konsumiert. Um die 400
       Konsumvorgänge wären in der neuen Einrichtung nach Einschätzung von Dettmer
       ohne Probleme möglich.
       
       ## „Wir vermissen viele“
       
       Hinter dem Tresen im Aufenthaltsraum steht Monika von Pickardt. Seit 2004
       arbeitet sie als Krankenschwester im Druckraum. „Von der Stammklientel aus
       der Dresdner Straße kommt nur eine Handvoll auch hierher“, sagt sie. „Da
       vermissen wir noch ganz viele.“ Die alte Anlaufstelle hätten ganze Gruppen
       auch als Caféhaus genutzt. „Viele kamen gleich zur Öffnung. Da gab es eine
       iranische Ecke und eine arabische Ecke“, erzählt sie. So etwas habe sich in
       der Reichenberger noch nicht wieder etabliert.
       
       Als Grund für den mäßigen Zulauf vermutet die Krankenschwester die
       Entfernung zum Kottbusser Tor. „Der Weg ist zu weit“, sagt sie. Früher
       mussten die Junkies nur 30 Meter laufen, heute sind es rund 800 Meter.
       „Dabei geht es nicht nur um die tatsächliche Entfernung, sondern vor allem
       um Gewohnheiten“, ergänzt Sozialarbeiter Dennis Andrzejewski. Der
       Tagesablauf von Suchtkranken sei häufig stark automatisiert, einen neuen
       Ort zu etablieren deshalb eine Herausforderung.
       
       Einer der Nutzer sieht das ähnlich. „Die Leute sind bequem und auf Entzug.
       Die kommen nicht extra hierher“, sagt ein schlanker, schwarz gekleideter
       Mann mit Sonnenbrille im Haar, der sich gerade auf der Terrasse eine
       Zigarette dreht. Er ist 47 Jahre alt, vor 20 Jahren setzte er sich den
       ersten Schuss, erzählt er. Zurzeit substituiert er, in die Reichenberger
       ist er nur zur Beratung gekommen.
       
       Tatsächlich trennt den Druckraum vom Kottbusser Tor nicht nur die
       Entfernung: Es ist ein anderer Kiez, der ihn nun umgibt. Viele Familien mit
       Kindern leben in der Reichenberger, darunter auch Besserverdienende. Die
       Suche nach einem neuen Standort für den Druckraum hatte sich 2009 sehr
       schwierig gestaltet. Rund ums Kottbusser Tor protestierten Anwohner gegen
       eine Fortführung des Angebots in ihrer direkten Nachbarschaft, und auch in
       der Reichenberger Straße gründete sich eine Nachbarschafts-Initiative gegen
       den Druckraum.
       
       Heute reagiert die Initiative nicht mehr auf Anfragen. Die Aufregung
       scheint sich gelegt zu haben. „Die Nachbarn reagieren entspannt“, sagt
       Andrzejewski. Damit es gar nicht erst zu Streitigkeiten kommt, machen
       Mitarbeiter von Fixpunkt regelmäßig Kontrollen. Sie suchen zweimal die
       Woche die nähere Umgebung nach Spritzen ab. Bisher hätten sie fast nie
       etwas gefunden, so der Sozialarbeiter.
       
       Vor der benachbarten Filmkunst-Bar sitzt eine Gruppe Italiener in der Sonne
       und trinkt Kaffee. Sie bemerken die Leute nicht, die aus der Einfahrt
       nebenan treten. Die englischsprachige Kellnerin sagt, sie wisse, dass hier
       eine Anlaufstelle für Drogenabhängige sei. „Aber die bleiben nicht hier,
       die gehen nur vorbei.“ Einmal habe es ein Problem gegeben. „Da haben welche
       Fahrräder gestohlen, das haben wir gesehen. Aber sonst?“
       
       Ob es die Beschaulichkeit ist, die manche Drogenabhängige von der
       Fixerstube fernhält? Dem Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg,
       Franz Schulz (Grüne) ist es für eine abschließende Beurteilung noch zu
       früh. „Das wird sich entwickeln“, sagt er. Auch die Fixpunkt-Mitarbeiter
       hoffen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis mehr Konsumenten kommen.
       „In der Dresdner Straße hat es auch Jahre gedauert, bis wir ausgelastet
       waren“, sagt von Pickardt.
       
       Die Entfernung zum Kotti hält Andrzejewski auch für einen Vorteil: Wer
       hierher komme, sei ein Stück weg von der Szene, weg vom Tohuwabohu. „Wir
       bieten eine Insel zum Innehalten“, sagt er. Ein 39-jähriger
       Türkischstämmiger, der in der Reichenberger ab und zu sein Heroin raucht,
       kann das nachvollziehen. Im Druckraum in der Dresdner Straße sei es voll
       und stressig gewesen, erzählt er. „Mir gefällt es hier viel besser, es ist
       so schön friedlich und grün.“
       
       13 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Antje Lang-Lendorff
 (DIR) Antje Lang-Lendorff
       
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