# taz.de -- Mormonen in Deutschland: Direktmarketing im Auftrag Gottes
       
       > Sie ackern 15 Stunden täglich, machen keinen Urlaub und müssen über alles
       > Rechenschaft ablegen. Konzern-Manager? Nein, zwei Mormonen auf Mission in
       > Deutschland.
       
 (IMG) Bild: „Wussten Sie, dass Gott einen Plan für Sie hat?“: Mormonen auf Mission.
       
       Dieser Nachmittag in Hamburg-Steilshoop gleicht einer „Mission impossible“:
       Sean Tanner und Zachary Pierson, US-Amerikaner Anfang zwanzig, der eine
       dunkelhaarig, der andere blond, sind Missionare der „Kirche Jesu Christi
       der Heiligen der Letzten Tage“ – oder kurz: der Mormonen. Sie klingeln an
       den Häusern fremder Leute. „Hallo?“, schallt es aus der Sprechanlage. „Ist
       Herr Barbosa* da?“, fragt Zachary Pierson.
       
       Der Türöffner summt, sie treten in ihren schwarzen Anzügen in dieses
       abgewohnte Hochhaus am Gropiusring und hasten das kahle Treppenhaus hinauf,
       als ob ihnen ein potenzieller Täufling entwischen könnte. Denn die Währung,
       in der ihre Arbeit gemessen wird, ist die Anzahl der Getauften.
       
       Das war schon in den 1960er Jahre so, als der junge Mitt Romney die
       Franzosen zum Mormonismus bekehren wollte. Und auch sonst hat sich nichts
       geändert am Tagesablauf der Missionare: 6.30 Uhr aufstehen, drei Stunden in
       der Bibel und im „Buch Mormon“ lesen, Deutsch lernen, frühstücken.
       
       Dann: Zehn Stunden „Direktmarketing“. Menschen auf der Straße ansprechen,
       an Türen klingeln. Und wenn sie mal frei haben: Gehen sie ins Kino? Treffen
       sie sich mit Mädchen? Verdaddeln ihre Freizeit am Computer? Absolutely not.
       Sie dürfen nicht fernsehen, keine Partys besuchen und nur auf Kirchenseiten
       surfen. Flirten und fummeln verboten, Sex vor der Ehe sowieso.
       
       Als Tanner und Pierson im zweiten Stock ankommen, grüßt am Ende des langen
       Flurs ein Gartenzwerg mit einem Blumenstrauß. Herr Barbosa* öffnet die Tür.
       „Wir wollen mit Ihnen über Gott sprechen“, sagt Tanner. „Nicht heute!“,
       sagt Herr Barbosa. „Können wir wiederkommen?“, fragt Pierson. „Ja, nächsten
       Mittwoch um zwei Uhr.“ Dieser Termin war trotzdem ein Erfolg. Sie werden
       Herrn Barbosa erneut treffen, vielleicht will er sich sogar taufen lassen?
       
       ## Ziegruppe: Gebildete Weiße
       
       Er wäre der dritte Täufling in ihrer Missionszeit. „Deutschland ist kein
       leichtes Pflaster für Missionare“, sagt der Ex-Mormone Holger Rudolph, der
       knapp 800 Kilometer weiter südlich mit seiner Familie und zwei
       französischen Bulldoggen in St. Peter im Schwarzwald lebt. „13 Menschen
       habe ich während meinem Missionsdienst in England überzeugt. Die gebildeten
       Weißen waren unsere Zielgruppe, aber wir hatten bei den Armen, den
       Einwanderern, den sozial Schwachen mehr Erfolg. Das ist vermutlich heute
       noch so – auch in Deutschland.“
       
       Das Ergebnis ihrer Arbeit halten die Missionare in einem Notizbuch fest.
       „Vieles geht über Zahlen bei den Mormonen, wie in der Geschäftswelt“,
       erklärt Rudolph. Wie viele Leute haben sie angesprochen? Wem haben sie
       „Lektionen“ erteilt? Gibt es einen neuen Täufling? Ihre Erfolge berichten
       sie regelmäßig ihren Vorgesetzten.
       
       Und überhaupt sind die Mormonen organisiert wie eine Firma: Der Hauptsitz
       ihrer Religions-Company liegt in Salt Lake City, im US-Bundesstaat Utah.
       Weltweit hat diese etwa 13 Millionen Mitglieder, etwa die Hälfte davon in
       den USA. In Deutschland sind es knapp 40.000.
       
       Ihr Oberchef heißt Thomas S. Monson. Er führt das religiöse
       „Old-White-Boys-Netzwerk“ an, das für Frauen keine Leitungsaufgaben
       vorsieht, in dem es keine Schwulen und Lesben geben darf, weil
       gleichgeschlechtliche Liebe in den Augen der Mormonen eine Sünde ist, und
       in dem Schwarze erst seit 1978 Priester werden können. Und das darüber
       wacht, dass die geheimen Tempelrituale nicht an die Öffentlichkeit dringen.
       Das die Mitglieder auffordert, ihre verstorbenen Ahnen posthum taufen zu
       lassen: das Totenreich als riesiges Missionsgebiet!
       
       Ganz schön stressig: Lebende missionieren, Tote taufen und aktiv in der
       Gemeinde mitarbeiten. Droht da nicht der religiöse Burnout? „Ich war 14
       Jahre Mitglied bei den Mormonen und Präsident einer Gemeinde bei Freiburg.
       Neben meinem Job als Informatiker, meinen Aufgaben als Ehemann und Vater
       arbeitete ich noch viele Stunden in der Woche für die Kirche. Und dann noch
       die finanzielle Belastung – die Abgabe des Zehnten.“
       
       Aber der entscheidende Grund, warum Holger Rudolph den Mormonen „kündigte“,
       war ein anderer: „Mich störte von Anfang an, dass die Mormonen
       Homosexuelle, Schwarze und Frauen diskriminieren. Doch ich war zu
       verstrickt und indoktriniert. Jedenfalls konnte ich irgendwann das
       konservative Gedankengut nicht mehr ertragen und stieg aus.“ Er galt fortan
       als „Verräter“, die anderen Mitglieder mieden den Kontakt.
       
       ## „Man gibt seine Persönlichkeit auf“
       
       Um seine Zeit bei den Mormonen zu verarbeiten, verfasste Rudolph eine
       kritische Webseite über sie. „Mit Repressalien muss man nicht rechnen. Der
       Druck war ein anderer, ein innerer“, sagt er. „Wenn man diesem Glauben
       angehört, gibt man seine Persönlichkeit auf. Diese musste ich erst
       wiederfinden. Die ’Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage‘ ist
       zwar keine Psycho-Sekte wie die Scientologen, aber auch keine harmlose
       Gemeinschaft.“
       
       Pierson und Tanner hinterfragen ihren Glauben nicht, sie rennen durch das
       triste Treppenhaus zum Ausgang Richtung Gründgensstraße. Dort kommt ihnen
       eine verwirrte Frau mit strähnigen Haaren und großer Brille entgegen. „Wir
       wollen mit Ihnen über Gott sprechen“, sagt Pierson. „Ich bin selber Gott“,
       antwortet die Frau. Dass der Mensch auch Gott werden kann – allerdings erst
       im Jenseits –, daran glauben auch die Mormonen.
       
       Vielleicht ist dies der Kern ihres Glaubens: Die Mormonen schuften, sind
       anpassungsfähig und ehrgeizig, halten sich an Gebote und Gesetze,
       verzichten auf Alkohol, Tabak, Kaffee, Schwarztee. Und hoffen, sich so die
       „Göttlichkeit im Jenseits“ zu verdienen. Mit ihrer Art, zu leben und zu
       arbeiten, haben sie das Prinzip des Kapitalismus perfekt verinnerlicht:
       kapitalistischer Topf findet religiösen Deckel.
       
       Wen wundert es, dass die Mormonen vor allem in ihrem Stammland so
       erfolgreich sind? Und viele zu Leitbildern aufsteigen. Neben Mitt Romney
       zum Beispiel Stephenie Meyer, Bestsellerautorin der „Biss“-Trilogie, Bill
       Marriott, Chef der nach ihm benannten amerikanischen Hotelkette. Brandon
       Flowers, Sänger der US-Rockband „The Killers“.
       
       Auf künftige Führungsaufgaben werden die beiden Nachwuchsprediger
       jedenfalls gut vorbereitet sein. Mit Niederlagen umgehen lernen und
       trotzdem immer weitermachen – das lehrt die Arbeit auf der Straße. Wenn
       sie, wie jetzt am Fritz-Flinte-Ring, auf zwei Männer zugehen. Der eine mit
       Glatze und Kapuzenpulli, der andere führt einen Pittbull an der Leine.
       „Wussten Sie, dass Gott einen Plan für Sie hat?“, fragt Pierson. „Alle
       hassen Gott“, sagt der Mann mit Hund.
       
       ## Romney überwies 2 Millionen Dollar
       
       Tanner und Pierson bewegen sich so sicher in diesem Hamburger Kiez wie
       Ameisen in ihrem Staat. Als ob sie wie die Insekten einem genauen Plan
       folgten. Einem Plan für diesen Nachmittag und einem Lebensplan. In ein paar
       Wochen fliegen sie zurück in ihre Heimat, zu ihren Familien. Sie werden
       studieren, einen guten Job finden, eine Familie gründen.
       
       Sie werden Gott dienen. Und der Kirche. Und ein Zehntel ihres Einkommens
       spenden. Mitt Romney soll allein im vergangenen Jahr etwa zwei Millionen
       Dollar aufs Konto der Mormonen überwiesen haben. Die „Kirche Jesu Christi
       der Heiligen der Letzten Tage“ gehört zu den reichsten
       Religionsgemeinschaften in den USA. Auf 30 Milliarden Dollar wird ihr
       Vermögen geschätzt.
       
       Bescheiden leben dagegen die Missionare. 170 Euro bekommen sie jeweils im
       Monat von der Kirche. Etwa 10.000 Euro haben sie vorab für ihren
       Missionsdienst bezahlt. Hat sich das gelohnt? „Oh ja! Wir haben viele
       Erfahrungen gemacht“, sagt Tanner. Und Pierson fügt hinzu: „Wir sind als
       Jungs gekommen und kehren als Männer zurück.“ Ihre Antworten klingen wie
       die von Musterpraktikanten.
       
       „Am meisten werden wir die spannenden Begegnungen vermissen“, sagen beide
       wie aus einem Mund. „Und Döner.“ Hin und wieder haben sie sich eine
       Teigtasche vom Türken geleistet. Vielleicht machen sie das auch heute, in
       einer kurzen Pause. Dann geht es weiter – unbeirrt und in dem festen
       Glauben, dass sich für sie ihre Lebensmission erfüllt. Ob noch im
       Diesseits, in Hamburg-Steilshop, oder eben irgendwann im Jenseits.
       
       * Name geändert
       
       15 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andrea Schwendemann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Reiseland USA
       
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