# taz.de -- Kasachischer Oppositioneller: Mit Goethe für Gerechtigkeit
       
       > Der kasachische Theatermacher Bolat Atabajew ist mit der Goethe-Medaille
       > geehrt worden. Kurz zuvor saß er in seiner Heimat noch im Gefängnis.
       
 (IMG) Bild: Mutiger Oppositioneller: Bolat Atabajew.
       
       BERLIN taz | „Über allen Gipfeln ist Ruh“, flüstert Bolat Atabajew mit
       fester Stimme ins Mikrofon. Dann verfällt er in den leisen Singsang des
       Kasachischen, trägt die Strophen in einer Übersetzung des Dichters Abai
       Qunanbajuly vor. „Lange haben wir das gesungen und erst spät erkannt, dass
       es von Goethe ist“, sagt der Theatermacher über seine frühe Berührung mit
       der deutschen Kultur.
       
       Am Dienstag nun ist Bolat Atabajew mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet
       worden. Bis zuletzt musste man darum zittern, ob Atabajew die Auszeichnung
       persönlich würde entgegennehmen können – erst im Juli war er in Kasachstan
       aus der Haft entlassen worden, wo er zwei Wochen wegen seiner
       Solidaritätsbekundung mit streikenden Ölarbeitern einsaß. Als dem
       Theatermacher die Medaille überreicht wird, stürmen viele Gäste nach vorn,
       um ihm persönlich zu gratulieren. Anders als in seinem Heimatland ist ihm
       hier die Bewunderung sicher.
       
       Zum 58. Mal ehrte das Goethe-Institut im Residenzschloss in Weimar mit der
       Goethe-Medaille Menschen, die sich um die deutsche Sprache und den
       Kulturaustausch verdient gemacht haben. Neben dem kasachischen
       Theatermacher sind das in diesem Jahr die litauische
       Theaterwissenschaftlerin Irena Veisaite und der bosnische Schriftsteller
       Dzevad Karahasan. Die drei Kulturschaffenden engagieren sich für
       Verständigung in ihren zerklüfteten Gesellschaften – gegen Widerstände und
       mit der Macht des Worts. Sie kommen aus Gegenden, in denen Geschichte
       besonders verdichtet ist, sind bilingual und multikulturell aufgewachsen.
       
       „Hat sich nicht das kurze 20. Jahrhundert wesentlich zwischen zwei Brücken
       in Sarajevo abgespielt?“, schrieb einst Dzevad Karahasan. Noch heute, 20
       Jahre nach den jugoslawischen Bürgerkriegen, ist Bosnien gespalten.
       Karahasan war zwangsweise involviert: 1993 floh er aus dem umkämpften
       Sarajevo, lehrte an deutschsprachigen Universitäten. Seine ungemein
       metaphernstarke Sprache wirkt heute vermittelnd, rührt aber auch an
       nationale Tabus.
       
       ## „Worte können töten“
       
       Europa ist noch immer gespalten, nicht zuletzt wegen der schmerzhaften
       Erinnerungen. Die Ambivalenz des Worts, das wichtig ist, um sich gegenüber
       dem Anderen zu öffnen, aber auch Hass schüren kann, diskutierten die
       PreisträgerInnen am Vorabend der Verleihung mit der Kulturwissenschaftlerin
       Christina von Braun. „Worte können töten“, betonte Atabajew mit dem Verweis
       auf die kasachische Bezeichnung für „deutsch“ – nemec –, die „stumm“
       bedeutet und zum lebensbedrohlichen Schimpfwort wurde.
       
       Doch Worte können auch Leben retten. Das zeigt die Geschichte von Irena
       Veisaite. Die Theaterwissenschaftlerin ist eine der wenigen litauischen
       Holocaust-Überlebenden. Im Jahr 1928 wurde sie als Tochter einer jüdischen
       Familie in Kaunas geboren. Die Vielsprachigkeit des Elternhauses –
       Litauisch, Russisch, Deutsch, Französisch, Jiddisch und Polnisch – bewahrte
       sie vor dem Tod. Im Residenzschloss erzählt Veisaite, wie ihr die Lektüre
       von Schillers Balladen im Ghetto von Kaunas neue Hoffnung gab. „Bei alledem
       menschlich zu bleiben, war eine außerordentlich schwere und gefährliche
       Aufgabe“, erinnert sie sich. Jahrzehntelang hat Veisaite sich etwa als
       Leiterin der litauischen Soros-Stiftung für Kulturaustausch stark gemacht.
       
       Helmut Schäfer, künstlerischer Leiter des Theaters an der Ruhr, arbeitete
       schon in den 90ern mit Bolat Atabajew zusammen. „Du bist ein Gründer“,
       schwärmte Schäfer in seiner Laudatio und erinnerte an die gemeinsame Idee,
       ein multilinguales Theater zu gründen, das in Zentralasien den
       Nationalismen die Stirn bietet. „Du willst in deiner Heimat etwas anderes
       begründen, einen offenen Geist.“
       
       ## Liebe zur deutschen Kultur
       
       Atabajew wurde 1952 in einer Region geboren, in der die verschleppten
       Wolgadeutschen angesiedelt worden waren. Seine innige Verbindung zur
       deutschen Kultur rührt daher. Atabajew studierte in Leipzig und war
       künstlerischer Leiter des Deutschen Theaters in Almaty. Heute bringt er in
       seinem Theaterhaus „Aksarai“ deutsche Klassiker unkonventionell auf die
       Bühne. Er rüttelt auf.
       
       In einem Land ohne Pressefreiheit ist das gefährlich, wie die Verhaftung
       des Theatermachers bewies. Der Goethe-Präsident Klaus-Dieter Lehmann nannte
       Atabajew darum einen „unerschrockenen Anwalt für Selbstbestimmung und für
       Gerechtigkeit“. In seiner Dankesrede erinnert Bolat Atabajew denn auch vor
       allem an die kasachischen Oppositionellen, die mit ihm festgenommen wurden
       und noch immer in Haft sind.
       
       Mit einer Information konnte er, überglücklich, nicht zurückhalten. Am
       Morgen um sieben Uhr habe er die Nachricht bekommen, dass noch ein
       Mitkämpfer das Gefängnis verlassen habe. „Ich habe applaudiert im Bett“,
       freut er sich.
       
       28 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sonja Vogel
       
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