# taz.de -- Auszeichnung für kasachischen Regisseur: Reisen ohne Handschellen
       
       > In Kasachstan hat der 61-Jährige Bulat Atabajew ein kritisches Theater
       > gegründet und saß im Gefängnis. Jetzt bekommt er die Goethe-Medaille
       > verliehen.
       
 (IMG) Bild: Haben eine ganz besondere Beziehung: Bulat Atabajew und Goethe.
       
       KASACHSTAN taz | Diesmal besuchte Bulat Atabajew Aktau ohne Handschellen.
       Der kasachische Theatermann ist Anfang August erneut an die Stadt am
       Kaspischen Meer gereist, freiwillig mit dem Flugzeug und nicht über
       Tausende Kilometer übers Land, eingepfercht in einem Gefangenentransporter.
       Mit seiner Präsenz wollte der 61-jährige Kasache den Angehörigen der wegen
       eines Aufstands zu langen Haftstrafen verurteilten Ölarbeiter zu Beginn
       ihres Berufungsverfahren Solidarität zeigen.
       
       „Die Menschen dürfen nicht vergessen werden, darum bin ich hier“, sagt
       Atabajew. Der diesjährige Träger der Goethe-Medaille setzt damit das fort,
       was ihn in seinem Heimatland zu einem Staatsfeind gemacht und ihm eine
       zweiwöchige Haftstrafe eingebracht hat.
       
       Die ehemalige kasachische Sowjetrepublik wird seit dem Zusammenbruch der
       Sowjetunion von dem nunmehr 72-jährigen Präsidenten Nursultan Nasarbajew
       autoritär regiert, Opposition und Medien stehen unter ständigem
       Verfolgungsdruck, den Reichtum des rohstoffreichen Landes kontrolliert die
       Herrscherfamilie.
       
       Atabajew inszeniert in Almaty Theaterstücke. Er ist zu einem der
       aufregendsten Regisseure in Kasachstan geworden. Seine Aufführungen haben
       mit dem sonst üblichen historischem Pathos der kasachischen Bühne
       gebrochen. So holt er die Klassiker – gern auch Schiller – in die
       kasachische Gegenwart, er will aufrütteln. „In den Köpfen der Zuschauer
       muss sich etwas bewegen“, sagt Atabajew.
       
       ## Musical als Gesellschaftskritik
       
       Die Aufführungen kombiniert er mit Gesangseinlagen. „Damit hat er in
       Kasachstan etwas Einmaliges, ein zeitkritisches Musical, geschaffen“, sagt
       die Leiterin des örtlichen Goethe-Instituts Barbara Fraenkel-Thonet.
       „Atabajew ist einer der mutigsten Künstler in diesem Land“, sagt sie, er
       ecke an und tue seine Meinung kund.
       
       Atabajews Weg nach Weimar, wo er am 28. August die Goethe-Medaille für sein
       Lebenswerk annehmen wird, ist ein packendes Drama, in dem er sich gegen das
       System des allmächtigen Präsidenten stellte und gewann. Es begann im Sommer
       2011, als der Kasache zu den streikenden Ölarbeitern in die westkasachische
       Ölprovinz Mangistau reiste.
       
       Seit Mai hatten dort Tausende Ölarbeiter in Aktau und in der Erdölstadt
       Schanaosen die Arbeit niedergelegt. Sie forderten höhere Löhne und mehr
       Arbeitnehmerrechte. Die autoritäre Regierung ignorierte den Ausstand und
       steckte deren Wortführer in den Knast. „Dabei war das der Beginn einer
       Zivilgesellschaft“, sagt Atabajew. Und so reiste er im Streiksommer zweimal
       in die Ölprovinz und hielt vor den Arbeitern Reden. Er klagte die
       Solidarität der Gesellschaft mit den Arbeitern ein. „Es kann nicht sein,
       dass ihr hier schuftet und die da oben sich die Taschen füllen.“
       
       Davor war Atabajew zwar auch schon unbequem, aber ein vom Staat gelittener
       und sogar prämierter Künstler. Er hatte zur Sowjetzeit in Almaty Regie
       gelernt und fing dann im deutschen Theater in der kasachischen Stahlstadt
       Termirtau an. „Dort habe ich gelernt, widerständig zu sein“, erinnert er
       sich in seiner Dreizimmerwohnung am Stadtrand von Almaty. Im Arbeitszimmer
       steht ein gewaltiger Goethe-Kopf. „Der beschützt mich hier“, sagt Atabajew
       und lacht. Die Wohnung ist bescheiden, es herrscht eine kreative Unordnung.
       Am Küchentisch wird diskutiert, geplant und gefeiert.
       
       „Die Deutschen am Theater wollten über die Kunst ein Stück Autonomie“,
       erinnert sich Atabajew, damals sei das unerhört gewesen, denn Deutsche
       wären in der Sowjetunion eben die Faschisten gewesen. Schon allein das Wort
       nemetz für Deutsche gefällt ihm nicht, man könne doch nicht ein ganzes Volk
       als „stumm“ bezeichnen.
       
       ## Klar verteilte Rollen
       
       Atabajew ist als kleiner Junge in einem deutschen Umfeld aufgewachsen. Das
       ist in Kasachstan nicht ungewöhnlich. Im Zweiten Weltkrieges deportierte
       Stalin die Deutschen von der Wolga in die Steppe. Dort lernte Atabajew
       deren Sprache und Kultur kennen: „Ich habe anfangs sogar geschwäbelt.“ In
       der Steppe waren die Regeln klar verteilt. Als Kind spielten sie immer
       Faschist, Rotarmist und Partisane.
       
       Der Russenjunge mimte den Partisanen, Atabajew den Rotarmisten, und der
       deutsche Otto musste den Faschisten spielen. „Einmal hat mich Otto gefragt,
       ob er nicht auch mal der Rotarmist sein dürfe“, erinnert sich Atabajew, da
       hätte er ihn angeschrien: „Du bist Deutscher und Faschist und wirst
       erschossen.“ Noch heute schämt er sich dafür.
       
       Im deutschen Theater lernte der Kasache, wie Kunst Menschen bewegt, „das
       hat mich infiziert, bis heute“. Nach der Unabhängigkeit zog das Theater
       nach Almaty, später leitete Atabajew sogar eine staatliche Bühne. Doch das
       war ihm nicht genug. Mit einigen Schauspielern gründete er die freie
       Theatergruppe Aksarai. Es gibt keine Gagen, geprobt wird in einem Büro.
       „Wir leben von den Einnahmen und teilweise anonymen Spenden“, sagt
       Atabajew.
       
       Einer der ersten Gönner war der kasachische Oligarch Muchtar Abljasow, bis
       dieser 2009 nach London flüchtete. Diesen Kontakt sollte die kasachische
       Macht dem Theatermann nicht verzeihen. „Die Schauspieler bleiben trotzdem“,
       sagt Atabajew nicht ohne Stolz, „ich habe sie für die offizielle
       kasachische Bühnen verdorben.“
       
       Atabajew knüpfte früh enge Kontakte zu Deutschland. 2004 war er mehrere
       Monate am Theater an der Ruhr. Roberto Ciulli und Volker Schlöndorff, den
       er bei seinem Film „Ulzhan“ in Kasachstan unterstützt hat, wurden seine
       Lehrer.
       
       ## Schüsse auf Ölarbeiter
       
       Dann kam der Streik. Zurück in Almaty organisierte Atabajew ein
       Solidaritätskomitee und führte seine letzte Inszenierung von „Lawine“ als
       Benefizveranstaltung auf. „Lawine“ ist die Geschichte eines Dorfs, das
       flüstern muss, weil sonst die Lawine droht. Als ein Kind geboren wird und
       die Mutter bei der Geburt vor Schmerzen schreit, wird klar, dass es keine
       Lawine gibt. Somit ist „Lawine“ eine Parabel auf die Probleme in
       Kasachstan, wo es zwar offiziell Meinungsfreiheit gibt, wer sie nutzt aber
       vom autoritären System angegangen wird.
       
       Im Dezember 2011 eskalierte der Streik ausgerechnet am 20.
       Unabhängigkeitstag der ehemaligen Sowjetrepublik. Die Ölarbeiter stürmten
       die örtliche Festveranstaltung in Schanaosen. Die Polizei schoss in die
       Menge, tötete mindestens 13 Menschen, an die hundert wurden verletzt.
       
       Die Staatsmacht reagierte mit Repression: Gegner des Systems sollten
       abgeurteilt werden, darunter Journalisten, Aktivisten, Oppositionspolitiker
       und eben auch der Theaterregisseur. Als Finanzier der Unruhen hatte die
       kasachische Macht den nach London geflohenen Oligarchen ausgemacht und
       nicht vergessen, dass dieser auch das Theater Atabajews gefördert hatte. Im
       Januar erhielt Atabajew dann die Anklage, zu sozialen Unruhen aufgewiegelt
       zu haben. Aufgrund seiner Prominenz wurde er aber nicht verhaftet. Almaty
       durfte er nicht verlassen und sollte den Ermittlungsbehörden zur Verfügung
       stehen.
       
       Im Mai ging der Theatermann dann eine kalkulierte Eskalation ein. Er
       weigerte sich, zu den Vernehmungen zu gehen. „Ich wollte, dass die Macht
       mich packt“, sagte Atabajew, „ich wollte etwas gegen das Vergessen tun.“
       Zwei Wochen später wurde der zuckerkranke Mann dann doch verhaftet und nach
       Aktau gebracht. Seine Verhaftung löste weltweit einen Proteststurm aus,
       sodass die Macht klein beigab und ihn freiließ. „Das war meine
       Inszenierung“, sagte Atabajew nach der Freilassung in Almaty, die Welt
       schaute wieder auf das Schicksal der Ölarbeiter. Vor allem in Deutschland
       trommelten Künstler wie Schlöndorff für den kasachischen Kollegen.
       
       Das Berufungsgericht in Aktau hat die Urteile für die verurteilten
       Ölarbeiter nicht aufgehoben. „Aber ich werde deren Sorge nach Deutschland
       tragen“, sagt Atabajew und packt seinen Koffer für die Reise nach Weimar.
       
       14 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marcus Bensmann
       
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