# taz.de -- Archtitekturbiennale in Venedig: Partizipationsmodelle in Beton
       
       > Die Architekturbiennale besticht durch ihre Offenheit für soziale Fragen
       > und steckt auch die teilnehmenden Länder mit ihrem „Common Ground“ an.
       
 (IMG) Bild: Keine Starparade soll sie sein, sondern ein Ort der Gemeinsamkeit, die 13. Architekturbiennale.
       
       Wer die Ausstellungsräume der 13. Architekturbiennale von Venedig durch das
       Hauptgebäude im Arsenale betritt, stößt sogleich auf einige Leitsätze des
       von Chipperfield ausgerufenen Titels „Common Ground“.
       
       Der Architekt Bernard Tschumi hat Poster aus den 70er Jahren
       reaktualisiert, Bilder von Venedig, von funktionalen Bauten, Museen und
       Stadtaufsichten mit griffigen Parolen zusammengebracht: „Architektur ist
       nicht so sehr das Wissen von den Formen als eine Form des Wissens.“
       
       Chipperfield hatte versprochen, keine eitle Nabelschau der Architektenstars
       betreiben zu wollen. Und auch wenn seine Schau gestern durchaus mit großen
       Namen eröffnete: Die rund 120 Architekten, Künstler und Kritiker waren
       angehalten, sich gegenwärtigen Fragestellungen um Urbanität, Nachhaltigkeit
       und Demokratie gemeinsam zu stellen. Und das taten sie, wenn auch in formal
       sehr unterschiedlicher Weise.
       
       Und so muss man neben Tschumi an der ästhetischen Einlasskontrolle auch ein
       futuristisch anmutendes Modell von Robert Burghardt passieren. Sein
       „Denkmal für die Moderne“ nimmt Bezug auf den unter großem Aufwand bis 2008
       abgerissenen Palast der Republik in Berlin, der einst eines der Wahrzeichen
       der DDR-Moderne war. Burghardt verschachtelt für sein Monument des
       untergegangenen (sozialistischen) Fortschrittsglaubens verschiedene
       funktionalistische und modernistische Gebäudemodelle ineinander.
       
       ## Ambivalenz der Moderne
       
       Es ist ein ironischer Kommentar zu der Ambivalenz der klassischen Moderne.
       Chipperfields Idee des „Common Ground“, des gemeinsamen Grunds, der
       geistigen Allmende, lebt von der Betonung der Historizität und wartet in
       den über 60 präsentierten Projekten mit einer Fülle unterschiedlicher
       Perspektiven und Formsprachen auf.
       
       Darunter etwa der begehbare Rohbau des Inders Anupama Kundoo, ein Nachbau
       des von ihm 2000 in Auroville in Indien errichteten Gebäudes, in dem auch
       Filme vom Original und der Anfertigung der für den Hausbau notwendigen
       Produkte gezeigt werden. Manche dieser Installationen sind nah am Event-
       und Herkunftskitsch, doch dürften sie unbedingt zur Popularität gerade beim
       Nichtfachpublikum beitragen. Und an die interessierten Laien richtet sich
       Kurator Chipperfield ausdrücklich.
       
       Wie stark der Mensch von der architektonischen Gestaltung seiner Umgebung
       beeinflusst ist, sollen auch die über mehrere Räume des Arsenale verteilten
       Bildstrecken des Fotokünstlers Thomas Struth verdeutlichen. Seine ruhig und
       analytisch wirkenden Gebäude- und Straßenansichten sind zwischen 1978 und
       2010 entstanden und unter dem Titel „Unconscious Places“ auf der Biennale
       zusammengefasst.
       
       Die programmatische Handlungsarmut der urbanen Szenen wirkt oft
       melancholisch, häufig wie der Beginn einer Erzählung. Was mag sich hinter
       den Mauern des rund, halbrund und quadratisch angeordneten Betonensembles
       der Siedlung Buksoe Dong in Pyongyang verbergen, was unter dem milchig
       blauen koreanischen Himmel und dem einen einzigen grünen Baum in Struths
       Bildmitte?
       
       ## Einladende Aura
       
       Ob Korea, China oder Peru – die oft in den Peripherien der Großstädte
       geschossenen Bilder des Fotografen entwickeln eine eigentümlich
       unspektakuläre Aura, eine, die zum Verweilen und Sinnieren einlädt.
       
       Dass es bildlich möglich ist, die verschiedenen Ansprüche von Chipperfields
       Common Ground zu verdichten, ohne allzu platt zu werden, beweist auch der
       „Gateway“, eine Klang- und Bildcollage von Norman Foster und anderen. Durch
       diesen abgedunkelten Raum müssen alle Besucher des Arsenale-Hauptgebäudes
       hindurch. Auf dem Boden sind unzählige Namen von für das Labyrinth der
       Architekturgeschichte bedeutsamen Personen projiziert.
       
       Der Darkroom steckt noch einmal kurz die historischen Koordinaten des
       krisenhaften menschlichen Zusammenlebens über die Jahrhunderte ab – von
       Machu Pichu über Mekka bis zu den Klassenkämpfen des letzten Jahrhunderts.
       Aufnahmen zur jüngeren Architekturgeschichte und der Gestaltung des
       öffentlichen Raums neben Dokumenten der jüngsten Volkserhebungen. Fotos vom
       Aufstand gegen den Staatsbankrott in Argentinien, Occupy Wallstreet in New
       York, südamerikanischen Favelas und natürlich auch der Arabellion – aber
       auch Urban und Guerilla Gardening, Börsen, Stadien und Philharmonien.
       
       Mehrmals im Bilderloop wiederholt: Der von einem Demonstranten gegen den
       Reichstag/Bundestag in Berlin gerichtete Stinkefinger. Common Ground oder:
       Streit und Protest sind Teil einer demokratischen und urbanen Kultur.
       
       ## Vielheit des Ausdrucks
       
       Im Analytischen und in der Vielheit des Ausdrucks ist die Ausstellung
       stark. Man wird auch nicht von Formelhaftigkeit oder Politbesserwisserei
       erschlagen. Nein, die Schau in Venedig hat einen abwechslungsreichen
       Rhythmus, zu dem die Auseinandersetzung mit dem Stil einer Zaha Hadid – ein
       riesiger Saal ist ihrer organischen und fließenden Formsprache gewidmet –
       genauso gehört wie eine eher ins Soziologische und Baurechtliche
       abdriftende Diskussion um die Elbphilharmonie in Hamburg oder die
       Rückeroberung städtischen Raums durch die Re-Etablierung öffentlicher
       Parkanlagen in Santiago de Chile.
       
       Sir David Chipperfield hatte zuletzt auch an herausragender Stelle in
       Deutschland gebaut und so den Umbau des neuen Deutschlands nach dem
       Mauerfall begleitet. Weniger mit der Abrissbirne als vielmehr undogmatisch
       das Vorgefundene auf seine Brauchbarkeit und Originalität überprüfend, wie
       im Neuen Museum in Berlin, um es mit neuen Konzepten zu verbinden.
       
       Doch spannender als die Besichtigung der von ihm und seinen Kollegen in
       Venedig eher nebenbei präsentierten Modelle diverser Großbauten, ist, im
       Wechsel mit ästhetischen Anschauungsunterricht, die frontale Thematisierung
       der Konflikte, wie sie sich bei Umwandlungen/Neubauten ergaben: Beispiel
       Elbphilharmonie.
       
       Und so entkommt man in Venedig auch der eigenen Zeitung nicht. Die
       Architekten Herzog & de Meuron haben einen ganzen Raum im Arsenale
       vorwiegend mit der Reproduktion von Zeitungsseiten gestaltet, die den
       Streit um das verflixte künftige Hamburger Wahrzeichen dokumentieren.
       
       ## Baukosten als Zwänger
       
       Darunter auch eine taz-Nord-Titelseite: „Konzerthaus-Hängepartie geht
       weiter“. Die Überschrift bezeichnet bis heute präzise die Lage des
       Projekts. Herzog & de Meuron hatten ohne Schwierigkeiten in München die
       Allianz-Arena oder in Peking das Olympia-Stadium erbauen können. Doch in
       Hamburg haben sich in der Bauphase die Kosten verdreifacht. Der Bauherr
       (die Stadt) schien überfordert und dem Baukonzern Hochtief als
       Generalunternehmer ausgeliefert.
       
       Wo die Kosten steigen, stehen zumeist auch die Architekten dumm da, selbst
       wenn sie nicht unbedingt verantwortlich sein müssen. Wie man in Venedig nun
       in großen Schriftzeichen nachlesen kann, verteidigen Herzog & de Meuron
       nach wie vor ihren großen Entwurf in der Hamburger Hafencity.
       
       „Architektur ist ein wichtiges, archaisches Bedürfnis des Menschen,“ sagte
       Jacques Herzog in einem Interview, während Pierre de Meuron die
       Undurchschaubarkeit der Verhandlungen zwischen Bauherrn und
       Generalunternehmer beklagt und Kostenanstieg wie Verschleppung der Bauphase
       nicht versteht.
       
       Auch die besseren Beiträge in den Länderpavillons auf dem zweiten Teil des
       Ausstellungsgeländes im Giardini greifen die Chipperfield’sche
       Fragestellung nach der zweiten, nachhaltigen Moderne konsequent auf und
       versuchen neue Ansätze zu präsentieren. Der deutsche Pavillon unter Leitung
       von Muck Petzet und gestaltet von Konstantin Grcic präsentiert
       großformatige Fototapeten nachhaltig umgewandelter Bauten.
       
       ## Kleinteilige Lösungen
       
       Es sind eher unspektakuläre Beispiele, das kleine Haus von Brandlhuber+ in
       der Berliner Brunnenstraße, der dort auf einer Bauruine sein karges Konzept
       aufsetzte, oder die Stadterneuerung Europarei Uithoorn von Kempe Thill in
       Rotterdam. Andere wie die US-Amerikaner sind im Urban- und
       Guerilla-Gardening unterwegs, propagieren neue Partizipationsmodelle,
       kleinteilige Häuser und Lösungen. Leider erinnert jedoch die
       leidenschaftslose Präsentation ein wenig an Fischer-Technik und impliziert
       vorauseilend so etwas wie den korrekten akademischen Blick.
       
       Die nordischen Länder können sich ihrer eigenen Tradition und Stärke
       versichern und sich erlauben, zum Jubiläum ihres 1962 erbauten Lichthauses
       einen eher design-ästhetischen Kontrapunkt zu setzen. Hohl wird es auf
       dieser Chipperfield-Biennale selten.
       
       Bei den Österreichern vielleicht (esoterisch-künstlerische
       Privatverschwurbelung) oder bei Venezuela (staatssozialistische Parolen,
       keine formale Vision) und Israel (staatskritische und antiamerikanische
       Propaganda, unterstes Propagandaniveau) oder den Brasilianern (ironisch
       sein wollender Nachbau der Hängematten von 1964 mit harmlosem Guckkasten
       ins Private). Aber insgesamt ist, wenn nicht schon Venedig, so doch dieser
       Common Ground absolut eine Reise wert.
       
       30 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Fanizadeh
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