# taz.de -- Talksendung mit Precht: Der große Schlagabflausch
       
       > Richard David Precht lädt sich einen Hirnforscher zum Philosophie-Talk.
       > Statt Kontroversen der Ideen ist aber nur Harmonie zu sehen.
       
 (IMG) Bild: Wie ein Liebespaar beim ersten Stelldichein: Precht und Hüther reden über Bildung.
       
       Wem Shitstorms im Netz auf die Nerven gehen und wessen Nerven nach dem
       aufreibenden ARD-Tatort Schonung brauchen, kann künftig am späten
       Sonntagabend aufs ZDF umschalten. Denn dort verspricht der neue
       Philosophie-Talk mit Richard David Precht angenehme Flauschigkeit, jenen
       Gegentrend zu all der bösen Trollerei in sozialen Netzwerken, der im
       vergangenen halben Jahr nicht nur Twitter erfasst sondern auch eine eigene
       AG bei den Piraten hervorgebracht hat. Erklärtes Ziel des allgemeinen
       Geflausches: Alle sollen sich wohlfühlen.
       
       Was das mit Philosophie zu tun haben soll, blieb nach der ersten Sendung am
       Sonntagabend offen. Dabei hätte das Konzept quasi eine Rückkehr zur
       philosophischen Urform werden können. Dem philosophischen Quartett von
       Peter Sloterdijk will Precht den Dialog entgegensetzen. Den führt er
       allerdings gleich in der ersten Sendung ad absurdum – trotz des
       reißerischen Titels „Skandal Schule – macht Lernen dumm?“
       
       Mit seinem Gast, dem Hirnforscher Gerald Hüther, ist er sich dermaßen
       einig, dass jede Diskussion sinnlos wird. Hier wissen beide schon, dass sie
       auf der richtigen Seite stehen und nicken sich deshalb gegenseitig
       aufmunternd zu.
       
       ## Viel Harmonie – wenig denken
       
       Da hilft es auch nicht, dass das Thema der Sendung für die aufgeklärte
       Zuschauer-Zielgruppe anschlussfähig ist. Es geht um unsere Zukunft, es geht
       um Kinder: Die werden vom System Schule versaut. Da mitzugehen, wird vielen
       nicht schwer gefallen sein. Schließlich war jeder selbst mal mehr oder
       weniger gequälter Schüler, schließlich will jeder das beste für das eigene
       Kind. Und es streichelt sicher das Ego, wenn Hüther versichert, jedes Kind
       sei – auf seine Art – hochbegabt. So etwas hören vor allem Eltern gern.
       
       Zum selber denken kommt der Zuschauer bei so viel Harmonie nicht. Precht
       offenbar auch nicht, seine Fragen sind keine im sokratischen Sinn, er
       formuliert kritiklos vor, was Hüther weiß – und der freut sich dann über so
       viel Verständnis für seine These.
       
       Die klingt erstmal steil: Wenn Kindern weiterhin die Lust am Lernen
       vergällt wird, „ist unser Land in naher Zukunft am Ende.“ Warum dieses Ende
       durch ein Schulsystem, das wie beide nicht müde werden zu betonen, veraltet
       ist, nicht schon längst eingetreten ist - ? Egal, Precht doziert lieber
       stolz ein wenig über Wilhelm von Humboldt und seine Bildungsreform. Da kann
       der Neurowissenschaftler Hüther dann erfreut wieder einsteigen und die
       Macht der Kultusministerien kritisieren.
       
       ## Entfaltungs-Coaches im Abendprogramm
       
       Die Länderhoheit bei der Bildung gehört abgeschafft, so Hüther, die
       Zivilgesellschaft müsse das Thema selbst in die Hand nehmen. Wie so eine
       Verfassungsreform umzusetzen wäre wird am ganz am Ende nur marginal
       gestreift. Auch hier geht’s wieder um Gefühl: Emotionale Aktivitäten
       könnten schließlich die Hirnstrukturen ändern, sagt Hüther. Warum also
       sollte das bei Verwaltungsstrukturen nicht auch funktionieren.
       
       Wenn sich die Gesellschaft durch Begeisterung ändern ließe, sind Precht und
       Hüther Revolutionäre. Nur Wissen, das unter die Haut geht, bleibe hängen.
       Dafür brauche es keine Lehrer, sondern Entfaltungs-Coaches, die die
       Individualität der Kinder fördern. Das wären diese beiden wohl auch gerne.
       Was sie fordern, ist schließlich auch nicht verkehrt. Aber aus so viel
       Einvernehmlichkeit entsteht selten Neues, ohne Reibung können sich auch die
       besten Ideen nicht schärfen.
       
       Precht und Hüther ähnelten am Sonntagabend eher frisch Verliebten als
       brillanten Denkern. Die Stimmung schien übrigens auch den Kameramann zu
       ergreifen, immer wieder schwenkte der auf Prechts Brust und sein lässig
       aufgeknöpftes Hemd. Der mündige Zuschauer guckt von außen skeptisch auf so
       viel Glück.
       
       3 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ariane Lemme
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Peter Sloterdijk
 (DIR) Intellektuelle
       
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