# taz.de -- Kolumne Lidokino: Spuk unter Bäumen
       
       > Beim Filmfest Venedig zeigen zwei Filme aus Argentinien den Wald als
       > Metapher – der eine spiegelt eine jenseitige Welt, der andere ist sehr
       > viel bodenständiger.
       
 (IMG) Bild: Regisseur Wang Bing in Venedig.
       
       Zwei argentinische Filme erkunden Wälder: das Debüt der 1984 geborenen
       Filmemacherin Jazmín López, „Leones“ („Löwen“), das in der Orizzonti-Reihe
       läuft, und „El impenetrable“ („Der Undurchdringliche“) von Daniele
       Incalcaterra und Fausta Quattrini, ein Dokumentarfilm, der außer Konkurrenz
       gezeigt wird.
       
       „Leones“ folgt zwei jungen Frauen und drei jungen Männern, die durch einen
       Wald streifen. Die Kamera schaut ihnen meist von hinten oder von der Seite
       zu, sie gleitet, kreist, beschreibt geschwungene Bahnen, oft so, dass man
       den Boden nicht sehen kann, was dem Film von Anfang an etwas Schwebendes
       verleiht.
       
       So wie die Kamera kein Ziel kennt, so scheinen auch die Figuren keins zu
       haben. Sie spielen Volleyball mit einem imaginären Ball, sie stellen sich
       die Aufgabe, Sätze zu bilden, die aus sechs Wörtern bestehen, sie baden in
       einer Lagune und landen eine Weile später wieder an derselben Stelle. Sie
       scheinen ein Haus zu suchen, ohne sich Sorgen um den Einbruch der
       Dunkelheit, die Mückenstiche oder die Trinkwasservorräte zu machen.
       
       Spätestens als eine der beiden Frauen das Lied „Devil Town“ von Daniel
       Johnston singt, beginnt man zu begreifen, dass diese Figuren nicht ganz von
       dieser Welt sind: „I was living in a devil town / Didn’t know it was a
       devil town / Oh Lord, it really brings me down / About the devil town.“
       
       ## Toxisches Grün
       
       Manches an „Leones“ verhält sich epigonal zu Filmen von Lisandro Alonso
       oder Apichatpong Weerasethakul. Bestimmte Topoi des Weltkinos – lange
       Einstellungen, das fast toxische Grün eines geheimnisvollen Waldes, die
       Urwaldgeräusche auf der Tonspur – haben sich ein wenig verbraucht. Das
       macht aber im Fall von „Leones“ nicht viel, denn die Art und Weise, wie die
       junge Regisseurin ihren Film ins Jenseitige verschiebt, ist, zumal für ein
       Debüt, sehr bemerkenswert.
       
       Um eine Art Spuk geht es auch bei Incalcaterra und Quattrini, wenn auch um
       einen, in dem die Gespenster in der handfesten Gestalt von Bürokraten und
       Großgrundbesitzern auftreten. Incalcaterra und sein Bruder besitzen ein
       Stück Land im Chaco, einem Trockenwaldgebiet, das sich über Paraguay,
       Argentinien und Bolivien erstreckt. Ihr Vater hat es 1983 in ihrem Namen
       gekauft. Ihr Plan ist, ein Reservat daraus zu machen – als Gegenmittel
       gegen die allgegenwärtige Viehwirtschaft, den Sojaanbau und die
       Ölförderung, deren ökologische und soziale Konsequenzen fatal sind.
       
       Doch das ist komplizierter als gedacht. Zunächst gelingt es Incalcaterra
       nicht einmal, zu seinem Grundstück zu gelangen, denn die übrigen
       Landbesitzer sperren die Straßen ab. So sieht man am Anfang von „El
       impenetrable“ vor allem diesem Mann Ende 50 zu, wie er am Steuer seines
       Wagens sitzt, ausgerüstet mit einem GPS und einer Karte, bemüht, der
       Absurdität der Situation stoisch zu begegnen. Mal trifft er sich mit
       Anwälten und mit Mitgliedern von NGOs, mal sitzt er verloren auf einer
       Terrasse im Nirgendwo und skypt mit seinem Bruder.
       
       Einmal führt ihn ein Umweltschützer durch den Wald. An einem Tümpel bleibt
       Incalcaterra im Uferschlamm fast stecken. Ob es im Wasser Schlangen gibt? –
       „Nein, sicher nicht“, sagt der Guide, „aber eine Boa constrictor könnte
       hier schon irgendwo sein.“
       
       Irgendwann stellt sich heraus, dass das Grundstück noch einen anderen
       rechtmäßigen Besitzer hat, weil es Anfang der 80er Jahre von der
       zuständigen Behörde zweimal verkauft wurde. Von den undurchdringlichen
       Wäldern des Chacos ist heute nicht mehr viel übrig. Die Bürokratie, die
       Allmacht der Großgrundbesitzer und die Korruption bilden dagegen ein so
       dichtes Gestrüpp, dass, wer immer sich hier einen Weg bahnen will, viel
       Gleichmut, List und Tücke braucht.
       
       3 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cristina Nord
       
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