# taz.de -- Kolumne Lidokino: Übersexualisierter Spaß in Venedig
       
       > Beim Filmfestival triftt totes Fleisch auf entfesseltes Fleisch: Die
       > Filme von Valeria Sarmiento und Harmony Korine im Wettbewerb.
       
 (IMG) Bild: Die Stars von "Spring Breakers".
       
       General Wellington ist ungehalten. „Viel zu viel totes Fleisch“, fährt er
       den Maler Leveque an, „viel zu viele Leichen.“ Die beiden stehen vor einem
       Ölgemälde, darauf zu sehen ist eine Schlacht. „Ich will die Helden sehen!“,
       ruft Welington, der von John Malkovich gespielt wird. Leveque murmelt vor
       sich hin: „Die Toten von heute sind doch die Helden von morgen.“
       
       Valeria Sarmientos Wettbewerbsbeitrag „Las linhas de Wellington“ („Die
       Linien Wellingtons“) schaut sich die Toten von vorgestern an. Der Film
       kreist um den Einmarsch französischer Truppen in Portugal 1810, der
       mithilfe englischer Soldaten unter Führung von General Wellington abgewehrt
       wird. Mit Helden bekommt man es dabei eher selten zu tun.
       
       Das allererste Bild zeigt schlammigen, grauen Boden, es regnet. Als sich
       der Bildausschnitt weitet, fällt ein Soldat tot in den Matsch, es ist wie
       eine Vorwegnahme kommender Verwüstungen. Wenn am Ende die Franzosen
       abgezogen sind, hat das Land die graue Farbe angenommen, die der Schlamm
       des ersten Bildes hatte.
       
       „Las linhas de Wellington“ ist der letzte Film, den der chilenische
       Regisseur Rañl Ruíz vor seinem Tod im August 2011 ersonnen hat; fertig
       gestellt hat ihn seine Witwe, eine Filmemacherin eigenen Rechts. Zwar
       fehlen die delirierenden Qualitäten anderer Filme von Ruíz, der lässige
       Umgang mit nichtlinearer Zeit, mit Traum und Wirklichkeit.
       
       Doch als düsteres Panorama einer historischen Situation kann sich „Linhas
       de Wellington“ sehr wohl sehen lassen. Zumal Sarmiento ein großartiges
       Ensemble von Schauspielern versammelt, unter anderem Michel Piccoli,
       Catherine Deneuve, Isabelle Huppert, John Malkovich und Marisa Paredes.
       
       ## Von einer Unseriosität, die einen von der ersten Szene an das Staunen
       lehrt
       
       Was für einen Kontrast zu dieser etwas altmodischen, in sich aber
       schlüssigen Spielart des Kinos bildet „Spring Breakers“, der
       Wettbewerbsbeitrag von Harmony Korine. Der Film ist von einer Unseriosität,
       die einen von der ersten Szene an das Staunen lehrt: Junge Frauen und
       Männer tanzen am Strand von Florida in der Sonne, sie sind in leichter
       Zeitlupe gefilmt, immer wieder sucht die Kamera die Nähe zu Hintern und zu
       Brüsten, gern auch zu solchen, die keinen Bikini mehr tragen.
       
       Kaum zu glauben, was Korine hier an Bildern silikonverstärkter
       Jugendlichkeit und entfesselter Bewegung zusammenschneidet. „Spring
       Breakers“ ist ein unendlicher, übersexualisierter Spaß, der sich beim
       Exploitation-Kino und bei Musikvideos bedient. Durch die Wiederholung
       bestimmter Szenen und aus dem Off gesprochener Sätze hat der Film viel von
       einem Remix.
       
       Junge Schauspielerinnen wie Vanessa Hudgens, die bisher in blitzblanken
       Filmen wie „High School Musical“ auftraten, sind sich hier für keine
       Geschmacklosigkeit zu schade. James Franco gibt einen Gangsta mit einer
       metallenen Zahnverblendung, in einer ziemlich irren Szene zeigt er den
       jungen, nur vermeintlich naiven Protagonistinnen sein Haus und alles, was
       drin ist: die Designer-T-Shirts, die Baseballcaps, die Waffensammlung, die
       Geldscheine.
       
       Schließlich protzt er mit einer Parfümflasche in der Hand: „Und hier hab
       ich Escape von Calvin Klein!“ Kurz danach stecken ihm die Mädchen zwei
       Knarren in den Mund, und er muss einen Blowjob fingieren.
       
       Man kann „Spring Breakers“ vieles vorwerfen, vor allem das mangelnde
       Bewusstsein für ein entscheidendes Dilemma: Diese jungen Frauen genießen
       ihre Sexyness, aber sie tun dies innerhalb durch und durch sexistischer
       Verhältnisse. Regisseure wie Stephanie Rothman und Quentin Tarantino haben
       diese allem Trash innewohnende Ambivalenz auf smartere Weise erkundet als
       Korine. Und dennoch bereitet die anarchische Aufmischung des
       Wettbewerbsprogramms einiges Vergnügen.
       
       5 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cristina Nord
       
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