# taz.de -- Verstrahlte Schmetterlinge: Mutanten aus Fukushima
       
       > Wie gefährlich sind niedrige Dosen radioaktiver Strahlung? Ein mutierter
       > Schmetterling aus der Nähe des AKW-Fukushima, hilft, diese Frage zu
       > beantworten.
       
 (IMG) Bild: Links der Schmetterling Zizeeria maha aus der Familie der Bläulinge vor dem Reaktorunglück, rechts ein mutiertes Exemplar der selben Art.
       
       „Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann einen Wirbelsturm auslösen“ –
       das ist die populärste Aussage der Chaostheorie. Die Flügel von 144
       Schmetterlingen der Art Zizeeria maha verursachen knapp 18 Monate nach der
       Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima einen erheblichen Wirbel unter
       Strahlenbiologen. Und sie sorgen für Chaos in der Verteidigungsstrategie
       der internationalen Atomgemeinde, die bislang die nukleare Niedrigstrahlung
       als harmlos darstellt.
       
       Ein japanisches Forscherteam hat in einer umfangreichen Studie bei drei
       Generationen Faltern aus der Familie der Bläulinge schwere Mutationen am
       Körperbau festgestellt und führt die Strahlenbelastung als Ursache dafür
       an. Damit ist zum ersten Mal offenbar der Hinweis gelungen, dass die
       Strahlung von Fukushima die Evolution der Lebewesen in der Umgebung massiv
       beenflusst.
       
       „Diese Studie verändert den Blick von uns Biologen auf Gefahren von
       radioaktiver Strahlung“, sagt der Strahlenexperte Timothy Mousseau von der
       Universität von South Carolina gegenüber der taz. Mousseau hat die
       Strahlenfolgen auf Tiere in der stark verstrahlten Zone um das AKW
       Tschernobyl untersucht.
       
       Die japanische Forschergruppe um Atsuki Hiyama und Chiyo Nihara von der
       Universität Ryukyu in Okinawa fand verkleinerte Flügel bei Schmetterlingen
       aus der Umgebung von Fukushima, die zum Zeitpunkt des Unglücks Larven
       waren. In der zweiten und dritten Generation dieser Tiere stieg der Anteil
       der Missbildung weiter an.
       
       ## Informationslage ist lückenhaft
       
       Und eine neue Suche im September 2011 ergab bei frei lebenden
       Schmetterlingen Auffälligkeiten wie verkürzte Fühler in 28 Prozent der
       Fälle, schreiben die Forscher im Onlinejournal Scientific Reports. Daraus
       folgern sie, „dass künstliche Radionuklide aus der Nähe des Atomkraftwerks
       von Fukushima physiologische und genetische Schäden bei dieser Spezies
       verursacht haben“.
       
       Dieser eindeutige Hinweis auf Strahlenschäden ist bisher die Ausnahme. Denn
       auch fast eineinhalb Jahre nach dem Super-GAU in Fukushima ist die
       Datenlage sehr lückenhaft: „Es ist nicht klar, welche Forschung in Japan
       läuft“, sagt Mousseau, der selbst 2011 und 2012 in Fukushima war. „Es wird
       viel geforscht, aber oft wenig international publiziert.“
       
       Er hat mit Kollegen den Einfluss des Unfalls auf die Tierwelt untersucht
       und sagt: „Radioaktive Verseuchung stört die Vielfalt von Lebewesen durch
       Strahlung und chemische Vergiftung.“ Die Artenvielfalt geht zurück, die
       Tiere leben kürzer und haben weniger Nachkommen.
       
       In Fukushima fand Mousseau einen deutlichen Rückgang bei Vögeln und
       Schmetterlingen, allerdings nicht bei Bienen, Grashüpfern oder Libellen,
       die Zahl der Spinnen ist sogar gewachsen. Offenbar seien die chemischen
       Belastungen kurzfristig wichtiger, die Erfahrung aus Tschernobyl zeige
       aber, dass „die Strahlenschäden über die Jahre zunehmen“.
       
       Vor allem belege die japanische Studie, dass „auch niedrige Strahlung zu
       Mutationen führen können. Das widerspricht der bisherigen Lehre, dass
       Niedrigstrahlung für Tiere und Pflanzen nicht so gefährlich ist. Deshalb
       wird in dem Bereich wauch wenig geforscht.“
       
       ## Was passiert im Meer?
       
       Bislang sind Berichte über mögliche genetische Schäden nach Fukushima eher
       Anekdoten. Japanische Zeitungen berichten vom Fund eines Agrarprofessors
       aus Hokkaido, der in Blattläusen aus der Evakuierungszone rund um das AKW
       Fukushima zehnmal mehr Deformationen als normal an Beinen und Fühlern
       gemessen habe.
       
       Andere Berichte sprechen von Zedern, die hohe Strahlenbelastungen in ihren
       Pollen speichern, der Blog „Fukushima Diary“ sammelt Berichte über abnorm
       aussehende Gurken, Kohlköpfe und Löwenzahnpflanzen. Über aussagekräftige
       Studien an Säugetieren ist nichts bekannt.
       
       Vor allem fehlen international publizierte Untersuchungen zu den
       Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen im Meer. „Studien zu Spätschäden wie
       einem erhöhten Risiko für Erkrankungen oder Missbildungen sind uns derzeit
       nicht bekannt“, teilt das deutsche Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut für
       Meeresökologie mit. Dabei hatte vergangenes Jahr das französische
       Forschungszentrum IRSN gemahnt, die Belastung von Fischen, Muscheln,
       Krebsen und Algen im Meer vor Fukushima müsse genau im Auge behalten
       werden.
       
       Eine aktuelle Studie des Instituts findet, die Belastung für Wälder, Würmer
       und Nagetiere sei „10- bis 100-fach höher, als es für sicher gehalten
       wird“; für die Lebewesen am Strand von Fukushima sieht sie „schwere
       reproduktive Einschränkung bis hin zum Absterben“ voraus. Schließlich
       hatten Lecks in den Atomanlagen und das verseuchte Kühlwasser aus den
       maroden Reaktoren das Wasser teilweise mit bis zu 300.000 Becquerel
       verseucht – das 7,5-Millionen-Fache des Grenzwerts.
       
       3 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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