# taz.de -- Klitschko gegen Charr: Panzer aus Pappmaché
       
       > Der Kölner Boxer Manuel Charr kämpft am Samstag gegen Vitali Klitschko.
       > Die Fachwelt ist skepstisch, ob er gut genug dafür ist.
       
 (IMG) Bild: Will die Chance seines Lebens gegen Vitali Klitschko „vollkommen ausnutzen“: der Kölner Boxer Mauel Charr.
       
       Wenn es der eigenen Sache dient, ist Manuel Charr manchmal auch das
       Gegenteil von dezent. Letzten Dezember platzte der Berufsboxer in eine
       Pressekonferenz des Klitschko-Managements in Düsseldorf, um auf dem Podium
       das Modell eines Kampfpanzers aufzustellen. Der sei ebenso wenig zu stoppen
       wie er selbst, erläuterte er unaufgefordert und sandte Grüße an die
       abwesenden Gebrüder Vitali und Wladimir: Er sei bereit, jederzeit und an
       jedem Ort gegen einen von ihnen anzutreten.
       
       Damals wurde der Titelaspirant von eigenen Gnaden wie ein
       Vorstadt-Desperado abgetan, der sich ohne Legitimation auf die oberste
       Etage der Boxwelt schleichen will. Am Samstag (22.45 Uhr, RTL) aber wird er
       dort ganz offiziell erwartet. Dann darf das in Beirut geborene
       Schwergewicht aus Köln (21 Siege, davon 11 vorzeitig) den WBC-Champion
       Vitali Klitschko im Ring des Moskauer Olympiyski-Komplexes fordern.
       
       Solche Wendungen des Schicksals gibt es auch im chronisch verdächtigen
       Preisboxen nicht alle Tage, weshalb sich der Überraschungskandidat
       bestätigt fühlt: Dies sei „die Chance meines Lebens“, die er „vollkommen
       ausnutzen“ will. Erreichen, was andere ihm nicht zutrauen: Offenbar ist das
       der Sport, dem der Zuwanderer aus kleinsten Verhältnissen in seinem
       bewegten Leben am liebsten frönt.
       
       Darum ist der Showdown in der russischen Metropole, der in über 100 Länder
       übertragen wird, für ihn schon ein halber Hauptgewinn. Immerhin sei sein
       Gegner „der stärkste Mann der Welt“, wie Charr fast bewundernd konzediert,
       und er selbst ein weiterer, krasser Außenseiter im Kampf um den
       prestigereichsten Titel im Boxen. Gelistet in den Ranglisten dreier
       Weltverbände, immerhin, und dennoch ohne die solide Basis einer längeren
       Amateurzeit.
       
       ## „Weder Bomber noch Schläger“
       
       „Ich bin mehr der Bomber und Schläger“, weiß er, „ich knalle rein und geh
       nach vorn.“ Dass sein begrenzter Punch einen Champion vom Kaliber
       Klitschkos von den Beinen reißt, ist unwahrscheinlich. So schöpft der wenig
       besungene Underdog seine Zuversicht eher aus der „schönen Taktik“, an die
       er in dem improvisierten Gym in der Kölner Südstadt mit dem russischen
       Erfolgstrainer Valery Belov gefeilt haben will.
       
       Sowie aus den Worten großer, erfolgreicher Männer, die er bei öffentlichen
       Auftritten mühelos rezitiert. Wie jenes Motto des amerikanischen
       Autopioniers Henry Ford: „Wer nichts versucht, hat schon verloren.“
       Gemessen an den harten Jahren im Container eines Asylantenheims in Essen
       („Das wünsche ich nicht mal meinem ärgsten Feind“), hat der Spross einer
       Großfamilie schon jetzt gewonnen.
       
       In den drei Boxställen, wo er unter Vertrag stand, hielt ihn keiner für ein
       Jahrhundert-Talent – schon gar nicht, nachdem Anfang 2010 bei einem Unfall
       das Kreuzband riss und die Kniescheibe brach.
       
       ## Notgerungen in Eigenregie
       
       Die letzten drei Kämpfe hat er notgedrungen in Eigenregie veranstaltet,
       fehlende Mittel wurden durch Beharrlichkeit ersetzt. Beim Dinnerbox-Abend
       im Ballsaal eines Kölner Hotels trat er im März als Veranstalter, Manager,
       Conférencier und Hauptkämpfer auf.
       
       Er hat Glück gehabt, dass die Klitschkos ihn gecastet haben. Die
       sechsstellige Börse übersteigt seine angehäuften Schulden. Doch der Bus mit
       den Leuten, die ihm in Moskau die faustdicke Überraschung zutrauen, will
       nicht so richtig voll werden.
       
       Zu deutlich schimmert in diesem Fall ein zynisches Kalkül durch: Weil
       Vitali Klitschko durch den Wahlkampf in der Ukraine belastet ist, soll ihm
       wohl ein Top-Herausforderer erspart werden. Der Panzer, der da auf ihn
       zukommt, ist sehr berechenbar – und hat allenfalls das Drohpotenzial einer
       netten Nachbildung.
       
       8 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bertram Job
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Boxen
 (DIR) Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
       
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