# taz.de -- Murray gewinnt Finale der US-Open: Befreiung auf dem Center Court
       
       > Nach fünf erfolglosen Versuchen gewinnt der Schotte Andy Murray einen
       > Grand-Slam-Titel. Im Finale der US Open ringt er den Serben Novak
       > Djokovic nieder.
       
 (IMG) Bild: Es hat endlich geklappt: Phil Murray gewinnt die US Open.
       
       Hätte er nicht mindestens auch die Plattform des Empire State Buildings
       verdient gehabt, so wie Novak Djokovic vor einem Jahr? Zum offiziellen
       Fototermin mit Pokal wurde Andy Murray am Dienstagmorgen um halb elf bloß
       in den Central Park gebeten, sinnigerweise auf die sogenannte Schafswiese.
       
       Aber vermutlich hätte er den Termin auch im hintersten Winkel der Bronx
       ohne zu murren absolviert; es ging ja schließlich darum, der Welt noch mal
       zu dokumentieren, was seit seinem Sieg im Finale der US Open gegen Novak
       Djokovic nun schönste Realität ist. Er bescherte sich den ersten
       Grand-Slam-Titel seiner Karriere und schenkte den Briten endlich, endlich,
       endlich einen der großen vier Titel – 76 Jahre nach dem letzten Erfolg des
       allseits verehrten Fred Perry.
       
       Von dem Moment an, als halbwegs klar war, dass eine Menge Talent in Andy
       Murray steckt – spätestens 2006, als er mit 19 sowohl in der vierten Runde
       in Wimbledon als auch ein paar Wochen später bei den US Open landete –,
       hatte ihn die Frage verfolgt, ob er die quälend lange Wartezeit beenden
       würde. Deshalb konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er nach dem
       Sieg in fünf Sätzen (7:6, 7:5, 2:6, 3:6, 6:2) das Kapitel Perry mit den
       Worten abschloss: „Jetzt muss ich mir die blöde Frage nicht mehr anhören.“
       
       Aber er gab zu, wie sehr ihm die Zweifel auch vor diesem Finale auf der
       Seele gelegen hatten, seinem fünften bei einem Grand-Slam-Turnier. Das
       erste hatte er vor vier Jahren in New York verloren, das zweite 2010 in
       Melbourne, beide gegen Federer. Ein Jahr später folgte ebenfalls in
       Australien die Niederlage gegen Djokovic, die ihm monatelang schwer zu
       schaffen machte, und [1][zuletzt verlor er Anfang Juli das Finale in
       Wimbledon] – wieder gegen Federer.
       
       Als er in den letzten Minuten vor dem Finale allein in der Kabine saß,
       schossen ihm die alten Zweifel durch den Kopf, obwohl er doch erst vor ein
       paar Wochen beim [2][Gewinn der Goldmedaille in London] bewiesen hatte,
       dass es keinen Grund mehr dafür gibt. Bist du wirklich gut genug? Kannst du
       das schaffen?
       
       ## Es gab schwache Angstphasen
       
       Aber man kann die Sache auch anders angehen, und der andere Ansatz stammt
       von jenem Mann, der auf der Tribüne gewöhnlich mit einem einzigen
       Gesichtsausdruck während eines Spiels auskommt, seinem zu Beginn des Jahres
       verpflichteten Coach Ivan Lendl. Auch der hatte die ersten vier
       Grand-Slam-Finals seiner Karriere verloren, ehe er sich im legendären
       Showdown bei den French Open 1984 in Paris mit dem Rivalen John McEnroe
       nach einem 0:2-Satzrückstand endlich befreite.
       
       Als Lendl nach Murrays Triumph, umringt von Journalisten bissig und
       schlagfertig wie immer, über seine Grundsätze sprach, meinte er: „Ich habe
       mich selbst nie danach beurteilt, ob ich gewinne, sondern immer nur danach,
       wie viel Mühe ich mir gegeben habe.“ Nach dieser Maxime hätte sich Murray
       selbst als Verlierer der höchst wechselvollen, ereignisreichen und am Ende
       hochgradig spannenden fünf Sätze keinen Vorwurf anhören müssen.
       
       Es gab Phasen, in denen er sichtlich schwächelte, es gab Phasen, in denen
       es so aussah, als habe er Angst; vor allem, als Djokovic nach dem dritten
       Satz immer stärker wurde, dann auch den vierten gewann und sich die Waage
       des Spiels auf dessen Seite zu senken schien. Es sah fast so aus, als
       sollte Andy Murray vor dem Gewinn des historischen Titels noch mal auf Herz
       und Nieren geprüft werden, und er bestand die Prüfung mit Bravour.
       
       Während der meisten Zeit des Spiels hatten die 23.000 Zuschauer ihre
       Unterstützung Hälfte-Hälfte auf beide Spieler verteilt, aber als der letzte
       Akt des windigen, kühlen Abends begann, da wollten sie den Schotten siegen
       sehen. Vor allem wollte es der weltberühmte Mann, der wieder mit Strohhut
       auf der Tribüne saß. Es war rührend zu sehen, mit welcher Leidenschaft der
       82 Jahre alte Sir Sean Connery den Landsmann anfeuerte, wie er die Fäuste
       in den Himmel reckte oder starr vor Spannung unter der blauen Decke
       kauerte, die er sich übergelegt hatte, nachdem die Sonne aus dem Stadion
       verschwunden war.
       
       ## Nach fast fünf Stunden zum Sieg
       
       Murray stand noch aufrecht, als Djokovic zu taumeln begann, gezeichnet von
       den extremen Anstrengungen des vier Stunden und 54 Minuten dauernden
       Spiels. Als er bei einer klaren Führung zum letzten Mal aufschlug, dachte
       er kurz noch einmal daran, welche Bedeutung die ganze Sache daheim haben
       würde. Ein paar kuriose Ballwechsel später, es war genau vier Minuten nach
       21 Uhr, erreichte er das historische Ziel.
       
       Ivan Lendl, der zwischendurch sogar beim Klatschen beobachtet worden war,
       umarmte Andy Murrays Mutter, die wiederum herzte dessen langjährige
       Freundin. Und bei der Siegerzeremonie verlor der neue Meistertrainer völlig
       die Kontrolle über sich; das sei ja fast ein Lächeln, meinte Murray bei
       einem Blick auf die Tribüne.
       
       „Lächeln wird überschätzt“, knurrte Lendl später demonstrativ, aber es war
       ein freundliches Knurren. Des Weiteren teilte er mit, er sei verpflichtet
       worden, um Murray beim Siegen zu helfen, der habe genau das getan, und
       damit sei der Job erledigt. Vorerst. Lendl gewann, nachdem er den ersten
       Grand-Slam-Titel errungen hatte, noch sieben weitere, und vielleicht sollte
       man nicht ausschließen, dass sich Murray auch daran ein Beispiel nimmt. Den
       ersten nahm er mit großer Erleichterung in Empfang, und in Zukunft wird er
       mehr denn je wissen, was er sich zutrauen kann.
       
       Der so oft erwähnte und beschworene, gute alte Fred Perry kann jetzt in
       Frieden ruhen. „Ich bin sicher, er lächelt von oben herunter und freut
       sich, dass es endlich ein Brite geschafft hat“, sagte Murray mit
       versonnenem Blick. Lächeln, schon wieder. Aber er muss ja nicht jede Maxime
       seines schlauen Mentors übernehmen.
       
       11 Sep 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Federer-holt-siebten-Wimbledon-Titel/!96956/
 (DIR) [2] /Olympia--Tennis/!98882/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Doris Henkel
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Andy Murray
 (DIR) Novak Djokovic
 (DIR) Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Herren-Einzelfinale von Wimbledon: Murray macht die Briten glücklich
       
       77 Jahre nach dem letzten Titel von Fred Perry hat wieder ein Brite das
       Tennisturnier von Wimbledon gewonnen. Der Schotte Andy Murray siegte in
       drei Sätzen gegen Novak Djokovic.
       
 (DIR) Djokovic bei den Australian Open: Der eloquente Trödler
       
       Mit neuem Schläger und gut gelaunt geht Titelverteidiger Novak Djokovic in
       die Australian Open. Zuletzt zeigte der Serbe hier überragendes Tennis.
       
 (DIR) Japans Tennisstar Kei Nishikori: O Kei, das war nicht schlecht!
       
       Bei den Japan Open hat nach 40 Jahren wieder ein Japaner gewonnen. Der
       Tennisprofi kommt so als Sympathieträger für Tokyos Olympiabewerbung
       infrage.
       
 (DIR) Wetterchaos bei den US Open: In der Zentrale des Wahnsinns
       
       Ein Tornado sorgt dafür, dass das Männerfinale der US Open verschoben wird.
       Langsam wird diese Ausnahme zur Regel.
       
 (DIR) Olympia – Tennis: Roger, over and out
       
       Federer versagt. Wieder kein olympisches Gold für den Schweizer. Dafür aber
       für den Briten Andy Murray. Der revanchierte sich für seine Niederlage vor
       vier Wochen.
       
 (DIR) Federer holt siebten Wimbledon-Titel: Die Rückkehr ins gelobte Land
       
       Roger Federer zeigt bei seinem Sieg in Wimbledon, dass er noch
       Grand-Slam-Titel holen kann. Andy Murray eroberte neues Terrain – trotz
       Niederlage.