# taz.de -- Unseld-Preis für Art Spiegelman: Eine unendlich tragische Maus
       
       > Art Spiegelman, Autor des Holocaust-Comics „Maus“, wurde mit dem
       > Siegfried Unseld Preis ausgezeichnet. Er ist endgültig in der Hochkultur
       > angekommen.
       
 (IMG) Bild: Selbstbildnis als Maus: Art Spiegelman.
       
       „Ich möchte auch einem anderen Österreicher, nämlich Adolf Hitler, danken,
       ohne den dieses Buch zweifelsfrei nicht möglich gewesen wäre und ich hier
       nicht stehen würde.“ Ganz unaufgeregt und nonchalant spricht der jüdische
       New Yorker Comic-Zeichner Art Spiegelman diesen Satz anlässlich der
       Verleihung des Siegfried Unseld Preises an ihn am Sonntag in Berlin, und
       doch ist es ein willkommener Weckruf.
       
       Denn da Adolf Hitler gegebenerweise nicht für einleitende Worte zur
       Verfügung stand, hat man den Suhrkamp-Autor, Mitjuror und eben auch
       Österreicher Clemens Setz für die Laudatio abgestellt. Und mutmaßlich kann
       sich dieser auch besser mit den Leitlinien der auslobenden Siegfried Unseld
       Stiftung identifizieren, die sich laut Ulla Unseld-Berkéwicz gegen
       Beliebigkeit und Antisemitismus engagiert.
       
       Werke von Kafka, Brodsky und Borges werden neben anderen durch Setz in
       seiner auf Deutsch gehaltenen langen Laudatio aufgerufen, um die
       „kristalline Unschärfe“ in Art Spiegelmans Meisterwerk „Maus“ zu loben; zum
       besseren Verständnis von Spiegelmans Arbeit trägt sie indes nicht erkennbar
       bei.
       
       ## Dokumentarisch, nicht literarisch
       
       Überhaupt ist es ja nicht ohne Ironie, dass Spiegelman von einem Literaten
       in einem Literaturverlag ausgerechnet für seinen „Maus“-Comic, der mittels
       tierischer Figuren die Leidens- und KZ-Überlebensgeschichte seiner
       jüdisch-polnischen Eltern erzählt, den mit 50.000 Euro dotierten Preis
       erhält – besteht der Comic-Künstler doch explizit auf dem dokumentarischen
       und eben gerade nicht literarischen Charakter des akribisch recherchierten
       (auto-)biografischen Stoffes.
       
       Entsprechend misstrauisch, so erzählt Spiegelman, habe er auch zunächst auf
       die Offerte des seitens eines Mittelsmannes als „traditionell“ beworbenen
       Suhrkamp-Verlags reagiert. Handle es sich vielleicht um so etwas wie den
       Versuch einer Wiedergutmachung?
       
       Auf eine Comic-Tradition kann Suhrkamp sich bislang ja nicht berufen, erst
       seit Kurzem hat man sich dem Medium gegenüber geöffnet: mit einer
       Literaturadaption. Nun ist Art Spiegelman, der bereits 1992 den Pulitzer
       Preis für „Maus“ erhielt, also auch in der literarischen deutschen
       Hochkulturszene angekommen. Seine Musealisierung wird derzeit in einer
       umfänglichen Werkschau vorangetrieben, die nach Angoulême und Paris jetzt
       im Kölner Ludwig Museum zu sehen ist.
       
       ## Comic-untypisches Publikum
       
       Die Grenze zwischen vermeintlicher Hoch- und Massenkultur hat Spiegelman
       indes schon früh mit seinem edlen Avantgarde-Comic-Magazin „RAW“
       herausgefordert, das er von 1980 bis 1991 mit seiner Frau Françoise Mouly
       herausgab. Hier erscheinen in den Jahren 1980 bis 1986 auch die einzelnen
       Kapitel des ersten „Maus“-Bandes.
       
       Bei der Preisverleihung im maximal zu einem Drittel gefüllten Kino
       International in Berlin ist jedenfalls zunächst das gänzlich
       Comic-untypische Publikum augenfällig, welches sich überwiegend aus
       gesetzt-gepflegten älteren und wohl namentlich geladenen Herrschaften
       rekrutiert. Ob sie dem mittlerweile 64-jährigen Comic-Liebhaber
       -Herausgeber und -Experten Art Spiegelman in seiner Begeisterung würden
       folgen wollen? Einem intellektuellen Comic-Nerd, dem schon der Begriff
       „Graphic Novel“ Unwohlsein verursacht und der seine Karriere nach einem
       abgebrochenen Kunststudium Ende der sechziger Jahre in Undergroundheftchen
       wie „Real Pulp“ oder „Bizarre Sex“ startete?
       
       Alles, wirklich alles hätte er aus Comics gelernt, leitet der
       offensichtlich nicht mehr allerorts kettenrauchende Art Spiegelman seinen
       höchst unterhaltsamen Bildervortrag „What the !@#$%! happened to comics!“
       ein. Gut und Böse, Sex, Feminismus, Politik und Philosophie hat der junge
       Arthur hier verstanden, seine endgültige Erweckung erlebt er mit dem
       Mad-Magazin, seinem Talmud.
       
       Spiegelman wirkt auf begeisternde Weise heiter, wenn er über seine
       Comic-Sozialisation spricht. Über die Möglichkeiten des Massenmediums, mit
       Zeit und Räumen zu spielen, die Vergangenheit in die Gegenwart zu holen,
       Zeit zu verräumlichen, um eine ungleich größere Transparenz zu erreichen.
       Eine Leichtigkeit ist in seinem Vortrag, die in sonderbarem Kontrast zu den
       schweren, sehr persönlichen Themen steht, auf denen sein Ruhm gründet.
       
       ## Der Erfolg lastet schwer
       
       Im Jahr 1972 erscheint „Gefangener auf dem Höllenplaneten“, in dem er seine
       Mutter Anja für ihren Selbstmord anklagt, nachdem sie sich 1968 ohne
       Abschiedsbrief aus seinem Leben gestohlen hat. Im selben Jahr
       veröffentlicht Spiegelman die ersten drei „Maus“-Seiten in „Funny Animals“,
       eine noch cartoonhaftere Auseinandersetzung mit den erzählerischen
       Möglichkeiten, die Schoah mit lustigen Tieren zu illustrieren. Bis 1991,
       dem Erscheinen des zweiten Bandes von „Maus“, haben die Mäuse-Juden,
       Katzen-Deutschen und die Schweine-Polen eine ungleich strengere Form
       erhalten.
       
       Der Erfolg des Bestsellers lastet seither schwer auf Art Spiegelman, der
       seit 20 Jahren höflich dieselben Fragen beantwortet: Warum ein Comic? Warum
       Mäuse? Warum Holocaust? Auf all das soll nun „MetaMaus“ eine Antwort geben.
       Ein Buch und eine DVD, die die Materialien, Motive und vor allem die
       aufgezeichneten Gespräche mit seinem 1982 verstorbenen Vater Vladek, auf
       denen „Maus“ beruht, präsentiert. Fünf Jahre hat die Literaturprofessorin
       Hillary Chute im Archiv von Spiegelman gewühlt, um die Dinge zu ordnen.
       Überdies stellt sie in sehr ausführlichen, abgedruckten Interviews noch
       einmal all die Fragen zu „Maus“, die Spiegelman sorgfältig beantwortet.
       
       Einmal solle Vladek an diesem Tag in Deutschland für sich selbst sprechen
       können, beschließt Art Spiegelman seinen Vortrag, doch ausgerechnet in
       diesem Moment streikt die Technik. Zufall oder Absicht? Die vollkommene
       Stille ist jedenfalls beklemmend.
       
       Art Spiegelman wird die Geister, die er mit „Maus“ rief, nicht mehr los
       werden. Weder die großformatigen, knallbunten Zeugnisse seiner
       existenziellen Angst, „Im Schatten keiner Türme“, die er nach dem 11.
       September anfertigte, noch ein anderes Werk aus seinem reichen Schaffen
       wird je so mit ihm identifiziert werden wie die unendlich tragische Maus.
       Und das weiß er. Wie anders als Kapitulation könnte man den eingangs
       zitierten Dank an Adolf Hitler verstehen?
       
       24 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katja Lüthge
       
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