# taz.de -- WM 2014 in Brasilien: Das gigantische Kind Adriano
       
       > Brasilien fiebert der WM 2014 im eigenen Land entgegen. Ein Star von
       > einst, Adriano, dürfte sie nur als Zaungast erleben – obwohl er dann erst
       > 32 ist.
       
 (IMG) Bild: Was kann Adriano noch bringen?
       
       Die Favela Vila Cruzeiro wirkt wie ein Sog auf ihn. Leite Ribeiro Adriano,
       kurz Adriano, ist in diesem Armenviertel in Rios Stadtteil Penha groß
       geworden. Hier kam er, seine Mutter war gerade 17, zur Welt. Hier wurde
       sein Vater bei einer Schießerei am Kopf verletzt; die Kugel blieb stecken,
       der Vater trug sie wie ein Talisman bis zu seinem Tod im Jahre 2004. Er
       wollte sie sich nicht wegoperieren lassen.
       
       Das Geld für die OP wäre da gewesen, denn Adriano, sein Sohn, verdiente
       Unsummen in Europa, bei Inter Mailand. Er war ein großer Stürmerstar. Sie
       nannten ihn „Imperator“. Adriano beherrschte die Strafräume und verwandelte
       gegnerische Abwehrspieler in Statisten.
       
       Doch als sein Vater starb, endete schleichend die große, kurze Karriere des
       Leite Ribeiro Adriano, des Slumfußballers, der so wuchtig daherkam, dass
       die argentinische Zeitung Clarín schrieb, er sei ein „Strafraum-Tier“, und
       sein ehemaliger Trainer Roberto Mancini sagte, er habe die Power von Gigi
       Riva, die Beweglichkeit von Marco van Basten und den Egoismus von Romário.
       
       ## Die letzte Chance
       
       Die brasilianischen Fußballfans wünschten, das wäre heute auch noch so,
       aber Adriano, 30 Jahre alt und bei einer Körpergröße von 1,89 Meter an die
       100 Kilogramm schwer, ist zu einem Problemfall geworden, seit Jahren schon.
       Seine Fußballkarriere liegt in Trümmern. Trotzdem versucht er immer wieder,
       nach der Vergangenheit zu greifen. Derzeit trägt er das Trikot von Flamengo
       Rio de Janeiro. Die Fans lieben ihn. Er ist einer von ihnen.
       
       Am liebsten würden sie ihn in zwei Jahren im gelben Trikot der
       Nationalmannschaft sehen, wenn in Brasilien die Weltmeisterschaft
       ausgetragen wird. Adriano wäre dann erst 32. Andere Stürmer erleben in
       diesem Lebensabschnitt ihre Blüte, Adriano aber scheint am Ende zu sein. In
       diesen Tagen hat er sich selbst ein Ultimatum gestellt. „Ich weiß, dass es
       definitiv meine letzte Chance ist. Entweder ich höre auf zu fehlen oder ich
       spiele nicht mehr“, hat er sich selbst ermahnt.
       
       Aber glaubt er noch daran, dass er sich ändern könnte? Wie viel Geduld
       haben sie noch mit ihm? Er scheint lieber bei seinen zwielichtigen Freunden
       in der Favela zu sein als auf dem Trainingsplatz. „Ein erneuter Rückfall
       könnte zur Vertragsauflösung führen“, sagt Zinho, Sportdirektor von
       Flamengo, „ich fühle nur Trauer, ich setze alles auf die Wiederherstellung
       einer Person, ich sorge mich nicht nur um einen Athleten.“
       
       ## Three strikes out
       
       Drei Mal darf er laut Kontrakt Mist bauen. Zwei Verfehlungen hat er sich
       bereits geleistet. Flamengo hat zuletzt 2:1 bei Atlético Clube Goianiense
       gewonnen, Adriano stand nicht mal im Kader. Neben seinen durchtrainierten
       Vereinskollegen sieht der Mann mit dem Doppelkinn und der zweifelhaften
       Arbeitsauffassung aus wie ein Rummelboxer.
       
       Schon einmal versuchte er sich zusammenzureißen nach einer Phase der
       Eskapaden, Alkoholexzesse und der Selbstverlorenheit. Es war José Mourinho,
       einer der charismatischsten Trainer überhaupt, der ihn aus Brasilien zurück
       zu Inter Mailand holte. Er sei zu allem bereit, sagte Mourinho, aber
       Adriano müsse klar sein, dass er keine Kinder trainiere, sondern nur echte
       Profis und dass Schweiß fließen müsse, viel Schweiß. Es ging eine Weile
       gut, dann holten ihn seine Dämonen wieder ein. Adriano verlor an
       Willenskraft und Form.
       
       „Er hat den Körper eines Giganten und das Bedürfnis eines Kindes nach
       Zuwendung.“ So hat Marco Aurelius Cunha seinen Schützling Adriano einmal
       beschrieben. Der Sportmediziner hatte sich über Wochen und Monate um ihn
       gekümmert und versucht, ihn wieder fit zu machen. Aussichtslos scheint
       dieser Kampf zu sein. Immer, wenn er fußballerisch Anschluss sucht und
       anscheinend ernsthaft Formaufbau wie zuletzt nach einer
       Achillessehnenverletzung betreibt, gerät er auf Abwege.
       
       Sein vorletzter Arbeitgeber, Corinthians São Paulo, zählte die verpassten
       Reha-Termine zusammen und kam auf 40. Sie stellten ihn frei. Unvergessen
       ist auch die sogenannte Revolver-Affäre, als er im Dezember 2011 seine
       Begleiterin angeschossen haben soll. Es stellte sich heraus, dass sie
       selber schuld war. Aber warum hatte Adriano eine Pistole in seinem Wagen?
       Ist etwas dran an der Nähe zu Rios Drogenbossen? Mit diesen Fragen
       beschäftigte sich die Öffentlichkeit tagelang – nicht mit unwiderstehlichen
       Dribblings und knallharten Schüssen.
       
       26 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Markus Völker
       
       ## TAGS
       
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