# taz.de -- Verordnung zu Medizinprodukten: Strangulieren mit EU-Segen
       
       > Die neue EU-Verordnung nutzt wenig, zeigt das Beispiel von Fixiergurten.
       > 44 Menschen haben sich damit erwürgt. Trotzdem bleiben sie auf dem Markt.
       
 (IMG) Bild: Alles beim Alten: John Dalli stellte die neue EU-Verordnung zu Medizinprodukten vor.
       
       BERLIN taz | Künstliche Kniegelenke, Hüft- und Wirbelprothesen werden
       künftig ein bisschen strenger und unangemeldet kontrolliert. Die
       Veröffentlichung von Studien und Fehlermeldungen wird dank des Ausbaus der
       europäischen Datenbank geringfügig transparenter.
       
       Ansonsten aber bleibt im Bereich der Implantate weitgehend alles beim
       Alten: Das machte EU-Gesundheitskommissar John Dalli am Mittwoch deutlich.
       Er stellte in Brüssel die neue EU-Verordnung offiziell vor, die künftig den
       Marktzugang, die Kontrolle und Überwachung von Medizinprodukten in Europa
       gesetzlich regeln soll.
       
       Weder wird es danach für Medizinprodukte künftig eine staatliche Zulassung
       analog zu Arzneimitteln geben, noch werden die Rechte geschädigter
       Patienten gestärkt. Und die rechtlichen Sanktionsmöglichkeiten der
       nationalen Aufsichtsbehörden gegen Hersteller von Medizinprodukten, von
       denen nachweislich Gefahren ausgehen – egal ob es sich um Implantate,
       Rollstühle oder OP-Instrumente handelt –, existieren weiterhin schlichtweg
       nicht.
       
       Dalli zeigte sich trotzdem zufrieden: „Die Kontrolle der Medizinprodukte
       wird verschärft. Mit den neuen Regeln können die Bürger den
       Medizinprodukten aus der EU völlig vertrauen.“
       
       ## Taillengurte rutschten bis zum Hals
       
       Welche verheerenden Auswirkungen aber auch unter den neuen Regelungen für
       Patienten entstehen können, verdeutlicht das Beispiel von Bauchgurten zur
       Fixierung von Patienten in Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Das
       Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) warnt als
       oberste Aufsichtsbehörde in Deutschland aktuell vor diesen Gurten: Dem
       BfArM sind 44 Fälle aus den Jahren 1999 bis 2012 bekannt, in denen Gurte
       verschiedener Hersteller, die über die Taille gespannt werden sollen, „bis
       in den Bereich von Oberbauch, Brust oder Hals gerutscht waren“.
       
       Die Folge: „Die Patienten konnten sich aus dieser Lage nicht befreien und
       kamen zu Tode“, so das BfArM. Der Grund: Bewegten sich die fixierten
       Patienten im Schlaf, dann rutschte ihr Körper oft erst in Richtung Fußende,
       dann zur Seite und dann ganz raus aus dem Bett. Der Gurt aber blieb an
       seiner Stelle – und strangulierte die Patienten.
       
       Seit 2003 kennt das BfArM das Problem. Seither appelliert die Behörde, dass
       erstens korrektive Maßnahmen angeordnet werden. Also etwa ein weiterer Gurt
       durch den Schritt des Patienten gezogen wird, der ein Verrutschen und damit
       Strangulieren unmöglich macht. Dass zweitens die Gurte-Hersteller
       verpflichtet werden, die Anwender – Krankenhäuser oder Pflegeheime –
       anzuweisen, die Gurte in ihrer bisherigen Form nicht mehr zu verwenden.
       Oder dass drittens, sollten Maßnahmen eins und zwei nicht fruchten, ein
       Anwendungs- oder Vertriebsstopp für die Gurte verhängt wird. Allein:
       Passiert ist seit 2003 nichts.
       
       ## Fehlverhalten bleibt unsanktioniert
       
       Das hat Gründe: Das BfArM ist zwar zuständig für die Überwachung und die
       Warnmeldungen, aber einen Vertriebsstopp oder Korrekturen anordnen dürfen
       nur die Landesbehörden. Allein in Deutschland sind das 65, darunter etwa
       Gewerbeaufsichtsämter, die von Medizinprodukten wenig Ahnung haben.
       
       Und diese sahen in der Vergangenheit entweder keinen Handlungsbedarf,
       hatten den Überblick verloren oder Angst vor Regressforderungen der
       Hersteller. Leisten können sie sich das, weil ihre fahrlässige Untätigkeit
       ungestraft bleibt. Auch Dallis neue Verordnung ändert hieran nichts:
       Fehlverhalten bleibt weiterhin unsanktioniert.
       
       Bliebe die Möglichkeit, die Gurte ganz zu verbieten. Das aber können nur
       die privatwirtschaftlichen, sogenannten Benannten Stellen, die den
       Medizinprodukten zuvor per CE-Siegel die technische Funktionsfähigkeit
       bescheinigt haben. Weil die Gurte ja aber technisch einwandfrei
       funktionieren (sie fixieren bestens, wenn auch mitunter, zynisch gesagt,
       die falschen Körperteile) und weil Medizinprodukte auch nach künftiger
       Gesetzeslage nicht zusätzlich ihren Nutzen für die Patienten nachweisen
       müssen, ist es praktisch unmöglich, sie wieder vom Markt zu nehmen.
       
       26 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Haarhoff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Zulassung
       
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