# taz.de -- Kommentar Kubanische Bloggerin: Überflüssige Angst
       
       > Kuba muss es endlich möglich machen, wirkliche Demokratie zu leben. Dazu
       > gehört auch, sich offen über die Zukunft des Landes auszutauschen.
       
       Es war eine jener vielen willkürlichen Verhaftungen in Kuba, die der
       Bloggerin Yoani Sánchez und ihrem Mann Reinaldo Escobar am Freitag
       widerfuhren. Nach 30 Stunden im Polizeigewahrsam wurden sie im Konvoi nach
       Havanna zurückgebracht, 700 Kilometer von Bayamo entfernt, wo der Prozess
       um den Tod des Oppositionellen Oswaldo Payá stattfand, den Sanchez und
       Escobar hatten beobachten wollen, um darüber zu berichten.
       
       Ja, Journalisten in anderen Ländern haben schlimmeres zu befürchten, bis
       hin zum Mord. Im Vergleich dazu ist es eine harmlose Episode, was Sanchez
       und Escobar passiert ist. Es war lediglich eine Machtdemonstration mehr
       durch einen Staat, der für sich in Anspruch nimmt, vom Volk revolutionär
       regiert zu werden und im Unterschied zur kapitalistisch-bürgerlichen
       Variante wahre Demokratie zu leben, kanalisiert durch Partei und
       Massenorganisationen.
       
       Die beiden Oppositionellen, Bloggerin und Journalist, wurden daran
       gehindert, dem Prozess gegen den spanischen konservativen Jungpolitiker
       Angel Carromero beizuwohnen, dem als Chauffeur des Wagens, in dem Oswaldo
       Payá im Juli ums Leben kam, fahrlässige Tötung vorgeworfen wird. Dieser
       Prozess ist nach kubanischem Recht öffentlich, und so haben es auch die
       Parteizeitung Granma und der regierungsfreundliche Blogger Yohandri, ein
       semioffizielles Sprachrohr des kubanischen Staates, behauptet. Nur, dass
       niemand hineindurfte, dem die Behörden eine kritische Haltung
       unterstellten.
       
       Das alles hat mit Demokratie und Rechtsstaat nichts zu tun, sehr viel aber
       mit fortgesetzter Überwachung und Entmündigung der kubanischen Bevölkerung.
       Regierung und orthodoxe Solidaritätsorganisationen - die immer von „Kuba"
       sprechen, wenn sie die Regierung meinen ¬- vergessen in ihrer
       Berichterstattung über Oppositionelle nie den Hinweis, diese seien entweder
       von der CIA oder von der US-Vertretung in Havanna finanziert. Das zeigt die
       Argumentationsarmut: Dass einE KubanerIn von ganz allein anders denkt, als
       es in den staatlich sanktionierten Medien in Kuba vorkommen darf, ist
       außerhalb der Vorstellungskraft und passt nicht ins Konzept. Wer anders
       denkt, muss Agent sein. So wird seit Jahrzehnten offene Diskussion
       erstickt.
       
       Manche US-Kommentatoren meinten in der vergangenen Woche, der unterirdische
       Auftritt Barack Obamas bei seiner Fernsehdebatte mit Mitt Romney sei der
       Tatsache geschuldet, dass der Präsident in seinem Umfeld zu selten mit
       kontroversen Ansichten konfrontiert sei.Parteifunktionäre der kubanischen
       KP sind das nie. Eine öffentliche Debatte zwischen Regierung und Opposition
       findet nicht statt, und selbst die - für kubanische Verhältnisse - recht
       umfangreichen Konsultationen rund ums wirtschaftliche Reformprogramm der
       Partei fanden schnell enge Grenzen. Es gibt ein Wort dafür: Angst.
       
       Ökonomisch ist das kubanische Staatsmodell längst überholt bzw. überholt
       sich gerade selbst. Es ist an der Zeit, den KubanerInnen endlich auch die
       Möglichkeit zu geben, sich offen über ihre Visionen für die Zukunft des
       Landes auszutauschen, wirkliche Demokratie zu leben. Die Kommunistische
       Partei kann dabei ein wichtige Rolle spielen, und es ist überhaupt nicht
       ausgeschlossen, dass sie auch in freien Wahlen gut abschneiden könnte. Dazu
       aber braucht es den Wettstreit der Ideen, die sichtbare Vielfalt in der
       Gesellschaft, die offene Debatte auf Plätzen, in den Medien, ohne Angst,
       ohne Stasi - und ohne willkürliche Festnahmen, auch wenn sie nur 30 Stunden
       dauern.
       
       7 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Pickert
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kuba
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Dissidenten in Kuba: Yoani Sánchez erneut verhaftet
       
       Die preisgekrönte Bloggerin Yoani Sánchez und weitere Regierungsgegner sind
       in Kuba verhaftet worden. Der Vorwurf lautet auf gesellschaftliche
       Disziplinlosigkeit.
       
 (DIR) Im Ankündigen ist Raúl Castro gut: „Raub von Hirnen“
       
       Die USA seien Schuld daran, dass die Neuregelung der Reisevorschriften nur
       so wenige Erleichterungen bringe, rechtfertigt Kubas Präsident den Erlass.
       
 (DIR) Kommentar Reisefreiheit Kuba: Die Willkür bleibt
       
       Die kubanische PR hat gute Arbeit geleistet. Denn die neuen Reiseregeln für
       die KubanerInnen haben mit „Reisefreiheit“ nichts zu tun.
       
 (DIR) Kuba ändert Ausreise-Bedingungen: Einige hohe Hürden bleiben
       
       Ab Januar 2013 benötigen Kubaner keine Ausreiseerlaubnis mehr. Ein Pass und
       ein Einreisevisum des Ziellandes sollen genügen – und Geld.
       
 (DIR) Kubanische Oppositionelle freigelassen: Bloggerin in Haft misshandelt
       
       Yoani Sánchez ist wieder frei. Die oppositionelle Bloggerin war in Kuba
       wegen eines umstrittenen Prozesses im Gefängnis gelandet. In Haft verlor
       dabei einen Zahn.
       
 (DIR) Zensur in Kuba: Bloggerin Sánchez festgenommen
       
       Vor Beginn des Prozesses um den Tod des Dissidenten Payá geht Kuba gegen
       Oppositionelle vor. Auch gegen die bekannte Bloggerin Yoani Sánchez.