# taz.de -- Korruptionsprozess in Brasilien: Prominente Politiker verurteilt
       
       > Enge Vertraute des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Lula sind der
       > „aktiven Korruption“ für schuldig befunden worden. Es drohen lange
       > Haftstrafen.
       
 (IMG) Bild: Brasilia: Anti-Korruptions-Proteste während des Unabhängigkeitstages.
       
       RIO DE JANEIRO taz | Drei ehemalige Spitzenpolitiker der regierenden
       Arbeiterpartei PT sind vom Obersten Gericht in Brasilia wegen Bestechung
       verurteilt worden. Der Hauptangeklagte José Dirceu, Exstaatsminister
       während der ersten Amtszeit von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva
       (2003-2006), war laut Anklage Drahtzieher eines Korruptionssystems. Es
       seien öffentliche Gelder veruntreut und parlamentarische Unterstützung sei
       erkauft worden.
       
       Die Mehrheit der obersten Richter befand am Dienstag Nachmittag auch
       Exparteipräsident José Genoino und den ehemaligen Schatzmeister Delúbio
       Soarez für schuldig. Damit sind im größten Korruptionsprozess Brasiliens
       die meisten der insgesamt 37 Angeklagten, darunter Unternehmer, leitende
       Bankangestellte und weitere Politiker verschiedener Parteien, verurteilt
       worden. Das Strafmaß wird erst zum Abschluss der Verhandlung verkündet.
       
       Der einstige Lula-Vertraute Dirceu muss sich im letzten Teil des Prozesses,
       der von der Presse „Mensalão“ (große Monatszahlung) genannt wird, noch
       wegen des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung verantworten.
       Beim Tatbestand der Bestechung plädierten bisher sechs Richter für
       schuldig, zwei auf Freispruch und zwei sollten ihr Urteil erst am Mittwoch
       verlesen.
       
       „Die Summe der Beweise verweist auf die zentrale Position, die der
       Exminister als Auftraggeber der illegalen Zahlungen an Parlamentarier
       innehatte“, so Richter Joaquim Barbosa während der Urteilsverkündung, die
       live im Fernsehen übertragen wurde.
       
       ## „Politischer Organisator“
       
       Sein Richterkollege Luiz Fux begründete den Schuldspruch gegen Dirceu mit
       „den Zeugenaussagen und Gesprächsprotokollen, die deutlich machen, dass der
       Angeklagte aufgrund seiner wichtigen Rolle in Partei und Regierung der
       politische Organisator dieser Strafsache war“.
       
       Ihre Freisprüche erklärten die Richter Ricardo Lewandowski und Dias Toffoli
       mit dem Mangel an Beweisen. Sie folgten damit den Verteidigern, die geltend
       machten, dass einzig Zeugenaussagen von Mitangeklagten als Beweise
       vorgelegt worden waren.
       
       Mit den Worten „ich werde das Urteil akzeptieren, aber nicht schweigen“,
       reagierte José Dirceu auf die Richterentscheidung. In seinem Blog schrieb
       der einst starke Mann unter Lula, er sei „unter starkem Druck der Presse
       wegen Korruption verurteilt worden, obwohl die Ermittlungsakten das
       Gegenteil besagen“.
       
       ## Sorge um Gleichbehandlung
       
       Die Arbeiterpartei reagierte Verhalten auf die Verurteilung. „Wir müssen
       die Gerichtsentscheidung akzeptieren“, sagte Fraktionschef Gilmar Tatto.
       „Und wir hoffen, dass die obersten Richter den Mensalão der (rechten
       Oppositionspartei) PSDB, der als nächstes verhandelt wird, genauso
       behandeln.“ Noch vergangene Woche hatte Tatto kritisiert, es handele sich
       „nicht um einen juristischen, sondern einen politischen Prozess“.
       
       Kritiker des Prozesses monieren nicht nur, wieso das Gericht trotz sehr
       dünner Beweislage so viele Schuldsprüche fällen konnte. Hinterfragt wird
       vor allem, warum parteipolitische Korruption und die in Brasilien nach wie
       vor gängige Praxis, Parlamentarier mit Schmiergeld zu überzeugen, erstmals
       gerichtlich verhandelt wird, wenn es um eine Linksregierung geht.
       
       „Zu Recht kritisiert die PT, dass ihr Korruptionsskandal bereits vor
       Gericht steht, während die Ermittlungen zu einem früheren Mensalão-Skandal,
       der die Oppositionspartei PSDB betrifft, bis heute nicht abgeschlossen
       wurden“, so der Menschenrechtsaktivist Carlos Fiaux.
       
       ## Machenschaften der rechten Parteien
       
       Zweifelsfrei sei die PT nicht korrupter als andere Parteien, und es bestehe
       „durchaus die Gefahr, dass der Medienrummel um den Skandal der jetzigen
       Regierungspartei den traditionellen rechten Parteien ermöglicht, ihre
       unlauteren Machenschaften auch in Zukunft fortzusetzen“, sagte der
       Rechtsanwalt Carlos Fiaux gegenüber der taz.
       
       Allerdings kann die Arbeiterpartei dem Gericht keine Verschwörung
       unterstellen. Immerhin sind sieben der zehn amtierenden obersten Richter
       von den Regierungen unter Lula und seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff
       ernannt worden.
       
       ## Juristisches Neuland
       
       Diese Richter haben nach Ansicht von Claudio Weber Abramo, dem Vorsitzenden
       der Organisation Transparência Brasil, juristisches Neuland betreten: „Die
       Verurteilungen kamen nur zustande, weil das Oberste Gericht die Bewertung
       von Beweisen und Indizien im Vergleich zur Vergangenheit grundsätzlich
       verändert hat.“
       
       Weltweit sei es ein Problem, Korruption zweifelsfrei nachzuweisen.
       „Deswegen ist es ein notwendiger und richtiger Schritt, dass sich die
       Richter bei eindeutiger Indizienlage auch ohne handfeste Beweise zu einem
       Schuldspruch durchringen“, so Abramo, dessen Organisation sich einen Namen
       bei der Aufdeckung von Korruption gemacht hat.
       
       10 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Behn
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Hausangestellte
 (DIR) Brasilien
       
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