# taz.de -- Die Wahlverlierer in Venezuela: „Wir haben fest an den Sieg geglaubt“
       
       > Die Anhänger des Oppositionsführers Capriles sind nach dem Wahlsieg von
       > Präsident Chavez am Boden zerstört. Von seiner kommenden Amtszeit
       > erwarten sie nichts Gutes.
       
 (IMG) Bild: Der Wahlverlierer Henrique Capriles Radonski auf einer Pressekonferenz.
       
       CARACAS taz | Alejandra klickt sich durch ihre Erinnerungsfotos. „Hier
       mussten wir den Hang hochklettern. Die Chavistas ließen unseren Bus nicht
       durch. Einige von ihnen waren bewaffnet.“ Seit Februar machte sie Wahlkampf
       für den Kandidaten der rechten Opposition, Henrique Capriles Radonski. Am
       Wahlabend fiel sie in sich zusammen. „Wir haben so fest an seinen Sieg
       geglaubt.“
       
       Dass die 36-Jährige in der Wir-Form spricht, ist bezeichnend für die
       Anhänger der venezolanischen Opposition nach ihrer Niederlage bei den
       Präsidentschaftswahlen am vergangenen Sonntag. Wo und wann auch immer man
       vor der Wahl mit Caprilistas sprach, sie waren vom bevorstehenden Triumph
       überzeugt.
       
       „Was ist passiert? Was haben wir falsch gemacht?“, waren die ersten
       Gedanken von Nieves Saluotto. Dann habe sie nur noch Ohnmacht und
       Fassungslosigkeit gespürt.
       
       Jetzt ist die Leiterin von Capriles Partei Primero Justica in der Gemeinde
       San Pedro in Caracas wieder gefasst. „Wir leiden unter dem
       Nachwahlsyndrom.“ Das sei, „wenn eine Hälfte der Gesellschaft feiert und
       die andere in bodenlose Trauer stürzt“. Ihr Mann und einer ihrer drei Söhne
       sind Chavistas.
       
       Wer Salz in die Wunden der Caprilistas streuen möchte, der muss ihnen nur
       die Zahlen vor Augen halten. Ist es noch zu verkraften, dass landesweit
       knapp über 8 Millionen Menschen für Chávez und 6,5 Millionen für Capriles
       stimmten, so ist die Niederlage auf Bundesstaatsebene fast unvorstellbar.
       
       In nur 2 von 24 Bundesstaaten lag Capriles vor Chávez. Von den
       Bundesstaaten, in denen die Opposition den Gouverneursposten besetzt,
       gewann sie lediglich Táchira. „Warum haben wir in Zulia verloren, wo wir
       noch nie verloren haben?“, fragte Henry Ramos Allup, Generalsekretär der
       oppositionellen Acción Democrática (AD). Antworten hat er keine.
       
       ## Anerkennung für den Gegner
       
       „Wenn du Chávez schlagen willst, musst du so gut organisiert sein wie die
       Chavistas“, sagt Nieves Saluotto. Die Wahlkampfmaschinerie des Präsidenten
       und seiner Anhänger habe perfekt funktioniert, sagt sie anerkennend. „Die
       haben eine unglaubliche Disziplin und Geschlossenheit.“
       
       In der vermeintlich geschlossenen Opposition hätten dagegen einige ihr
       eigenes Süppchen gekocht. Gerade die sich schon vor Chávez an der Macht
       abwechselnden traditionellen Parteien hätten nicht konsequent mitgezogen.
       
       Im Gegensatz zum Regierungslager habe bei der Opposition die Operación
       Progreso, nach der jeder Anhänger zehn weitere Personen an die Wahlurne
       bringen soll, nicht funktioniert, bestätigte ihr ein führendes
       Parteimitglied.
       
       ## Betrogen wurde nicht
       
       Capriles zog zwei Tage nach der Wahl öffentlich Bilanz. „Es gab keinen
       Wahlbetrug“, stellte er klar. Er habe die Wahl verloren, nicht die Wähler,
       sagte er weiter und übernahm die Verantwortung. Den Grund für die
       Niederlage ließ er offen. Am Wahlabend habe er wie viele geweint, aber
       jetzt seien die Tränen getrocknet.
       
       Im Unterton seiner Sätze machte Capriles seinen Führungsanspruch in der
       neuen Opposition geltend: Er sei durch Abstimmungen legitimiert und nicht
       durch Mauscheleien.
       
       Und Chávez habe keinen Blankoscheck: 6,5 Millionen denken anders, und 8
       Millionen haben große Erwartungen, so seine Analyse: „Auf der Regierung
       lastet ein großer Druck.“ Dann verwies Capriles auf die Gouverneurswahlen
       in den 24 Bundesstaaten am 16. Dezember. Ob er selbst antritt, wird in
       Kürze entschieden.
       
       ## Panama ist schon voll
       
       Bei Andres Hermoso gehen derweil die Anrufe ein. Der 42-Jährige bietet
       Immobilien in der Dominikanischen Republik an. Seit Montag ist das
       Interesse enorm gestiegen. Für Venezuelas Mittel- und Oberschicht war die
       Entscheidung vom Sonntag richtungweisend. Weitere sechs Jahre Chavismus
       wollen viele nicht erleben. Neu ist der Abwanderungstrend nicht. Panama ist
       schon voll, sagt Hermoso.
       
       Nieves Saluotto schaut in sich. Zwei ihrer Söhne wollen gehen. „Sie haben
       gute Jobs“, sagt sie. Aber das ist nicht alles. „Du willst ausgehen, ohne
       überfallen zu werden, und du willst nicht weiter in dieser ständigen
       politischen Polarisierung leben“, sagt sie. „Wenn wir die Konfrontation
       nicht überwinden und die Wähler der Chavisten erreichen, dann werden wir
       noch lange einen Chávez haben.“
       
       Alejandra wird in Venezuela bleiben. Sie macht schon wieder Wahlkampf.
       Während Capriles im Fernseher spricht, tackert sie seine Worte auf die
       Facebookseiten der Caprilistas und schreibt Kommentare. „Nach der Hälfte
       seiner Amtszeit kann der Präsident mit einen Referendum aus den Amt gehoben
       werden“, erinnert sie an die Verfassung.
       
       13 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Vogt
       
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