# taz.de -- Matthew Dears neues Album „Beams“: Stolpern in Strahlen
       
       > Matthew Dear lebt vom düsteren Nachhall seines 2 Jahre alten Albums
       > „Black City“. Mit dem Nachfolger „Beams“ wandelt er auf Bowies Pfaden.
       
 (IMG) Bild: Dear, der ewige Dandy, fragmentiert und zerlegt in fraktales Licht und bunte Farbkleckse, entblößt statt verdeckt hinter einem narrativen Konstrukt?
       
       Matthew Dear sitzt auf einem Stuhl in einem verlassenen Fabrikloft, sein
       Blick ist konzentriert ins Leere gerichtet. Eine Ballettänzerin windet sich
       um ihn herum über den kahlen Betonboden. Ein Dichter rezitiert dazu nicht
       näher identifizierbare Verse, während der Künstler Michael Cina ein
       überlebensgroßes Porträt Dears auf eine Leinwand wirft.
       
       Dieses leicht exaltierte Video diente als Trailer für Matthew Dears fünftes
       Studioalbum „Beams“, auf dessen Cover sich Cinas
       abstrakt-impressionistisches Porträt findet. Lange Zeit war Matthew Dear so
       etwas wie der „Mann mit den tausend Gesichtern“ der zeitgenössischen
       Popwelt. Unter drei verschiedenen Pseudonymen produzierte der Amerikaner
       elektronische Tanzmusik, meist kalt, war als DJ weltgereist und wagte unter
       seinem bürgerlichen Namen den Schritt Richtung Pop.
       
       Von Audion, False und Jabberjaw, seinen Tanzmusik-Persönlichkeiten, gab es
       in den letzten Jahren nichts mehr zu hören. Dass Dear nicht völlig in
       Vergessenheit geraten ist, liegt zum einen daran, dass er noch immer
       fleißig auflegt, zum anderen aber an dem gewaltigen Nachhall, den sein vor
       zwei Jahren veröffentliches Album „Black City“ ausgelöst hat.
       
       Ein düsteres, fast beklemmendes Werk, das als Konzeptalbum über urbane
       Dystopien ebenso funktionierte wie als Clubsound für die Zeit nach dem
       Club, wenn der Schleier der Nacht und die mit ihr verbundenen Illusionen
       längst einer diffusen Katerstimmung gewichen sind. Dear selbst bezeichnet
       „Black City“ als Auseinandersetzung mit dem Schock nach dem
       wirtschaftlichen Zusammenbruch im Zuge der Finanzkrise.
       
       ## Geste mit ironischer Abzweigung
       
       Weit weniger ambitioniert und bedeutungsschwer scheint dagegen sein neues
       Werk „Beams“. Den Albumtitel möchte Dear durchaus wörtlich verstehen – es
       sind Lichtstrahlen, die seine Persönlichkeit durchleuchten und sie den
       HörerInnen kaleidoskopartig entfaltet. Dear, der ewige Dandy, fragmentiert
       und zerlegt in fraktales Licht und bunte Farbkleckse, entblößt statt
       verdeckt hinter einem narrativen Konstrukt?
       
       Es ist eine Geste, die auf halbem Weg Richtung Pathos doch noch eine
       ironische Abzweigung nimmt. „Am I one heartbeat away from receiving a
       damaging shock to my life?,“ fragt Dear sich im Auftaktsong „Her Fantasy“.
       Kurz darauf setzt ein fröhlich-pluckernder Discobeat ein und es wird klar:
       Hier geht es nicht um einen tragischen Schock, sondern um den heilsamen
       Anstoß, der Platz schafft für etwas Neues.
       
       „Es ist eine Zeit, in der die Dinge zwar nicht wieder gut sind, aber in der
       es eine Balance des Wahnsinns gibt, wir uns im Chaos eingerichtet haben“,
       so beschreibt Dear den Entstehungszeitraum von „Beams“. Spielerisch und
       augenzwinkernd tänzelt Dear durch dieses Chaos, die Stimme voll von
       lasziven Desinteresse, das immer mehr an Julian Casablancas von den Strokes
       erinnert.
       
       Mal bollert dazu wie in „Earthforms“ ein Bass wie von Joy Divisions Peter
       Hook, andere Stücke erinnern an hyperaktiven ADHS-Pop aktueller New Yorker
       Bands wie Gang Gang Dance. Mit seinem flamboyanten Dandytum scheint Dear
       dabei aus der Zeit gefallen zu sein.
       
       ## Bärtiger Schmerzensmann
       
       Dem bärtigen Schmerzensmann an Gitarre oder Laptop, der seit einiger Zeit
       als queer-progressives Männerbild durch die Popkultur spukt und in seiner
       postpubertären Ichbezogenheit doch nur die romantische Vorstellung des
       leidenden Künstlersubjekts untermauert, setzt Matthew Dear eine entspannte
       Uneindeutigkeit entgegen.
       
       „It’s alright to be someone else sometimes“, heißt es in „Earthforms“. So
       wirkt „Beams“ ein wenig, als habe sich Dear heimlich David Bowies Schuhe
       ausgeliehen. In vollem Bewusstsein, dass sie eine Nummer zu groß für ihn
       sind. Beim stolpernden Herumschlendern macht er darin trotzdem eine
       verdammt gute Figur.
       
       Matthew Dear, „Beams“ (Ghostly International/Alive)
       
       19 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Jochmaring
       
       ## TAGS
       
 (DIR) elektronische Musik
 (DIR) House
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Dancefloor von Kalabrese und Coma: Retro kann auch prekär sein
       
       Ob geschichtsbewusst cool oder jugendlich ungestüm: Neue House-Entwürfe aus
       Zürich von Kalabrese und aus Köln von Coma zeigen den Willen zum
       Weiterfeiern.