# taz.de -- Zugriffe auf die Wirklichkeit: Kino versus Galerie
       
       > Künstler und Dokumentarfilmer debattierten in Köln über dokumentarische
       > Verfahren in der Kunst. Einen gemeinsamen Zugang zu ihrer Arbeit fanden
       > sie nicht.
       
 (IMG) Bild: Philipp Hamann: „Hoffentlich. Ja. Mehr als. Sonst.“ 2009.
       
       Oft reiten viel beschäftigte Referenten bei Tagungen nur für eine Nacht
       ein. Bei der diesjährigen Tagung der Dokumentarfilminitiative (dfi) in Köln
       zu dokumentarischen Verfahren in der Kunst aber blieben viele der geladenen
       Wissenschaftler und Künstler die vollen drei Tage, obwohl – oder weil – die
       Veranstaltung kein in viele Sektionen ausufernder Weltkongress, sondern ein
       überschaubarer Spezialistentreff war.
       
       Von Beginn an dabei auch der Turner-Preis-nominierte Glasgower Filmkünstler
       Luke Fowler, der sich am Sonntag erst mal entschuldigte, mangels
       Deutschkenntnissen vieles nicht verstanden zu haben. Er hoffe darum, nicht
       mit Wiederholungen zu langweilen.
       
       Unbegründete Sorgen: Denn der gar nicht mehr so junge (Jahrgang 1978), aber
       jungenhaft aussehende Mann glänzte nicht nur im einstündigen Gespräch mit
       allürenfreier Kompetenz in europäischer Geistesgeschichte. Auch sein in
       Köln vorgestelltes R.-D-Laing-Porträt passte zu den dort gestellten Fragen
       nach der dokumentarischen Befruchtung künstlerischer Ausdrucksweisen. Aber
       was heißt schon „Porträt“?
       
       „All Divided Selves“ ist eine aus Archivmaterialien und selbst gedrehten
       lyrisch-persönlichen Ein-/Überlagerungen raffiniert kompilierte
       Bild-Ton-Collage, die die Rehabilitierung der im öffentlichen Diskurs zur
       Karikatur verkommenen Figur des Psychiatriekritikers mit medienkritischen
       Reflexionen kontrapunktiert und das Publikum in einen Sog synästhetischer
       Erfahrung reißt: perfekte Symbiose von politischem Impetus und ästhetischer
       Vollendung.
       
       ## Kunst der Wirklichkeit
       
       So ist die von Galerien produzierte und in Köln als 90-minütiger Film
       vorgestellte Arbeit aus dem filmkünstlerischen Zwischenreich auch
       anregendes Beispiel „Dokumentarischer Verfahren in der Kunst“, wie die
       Dokumentarfilminitiative das Symposium betitelte. Ein angesichts des sich
       öfter der Wirklichkeit zuwendenden Kunstgeschehens naheliegendes Thema,
       dessen Formulierung sich aber als vertrackt erweist. Denn was überhaupt
       sind – jenseits der Recherche – „dokumentarische Verfahren“? Und was ist –
       jenseits des institutionellen Betriebs – die Kunst?
       
       Das Fehlen von begrifflicher Klärung und eine unglücklich zu Anfang
       platzierte installative Auftragsarbeit der bisher klassisch dokumentarisch
       arbeitenden Filmemacher Ulrike Franke und Michael Loeken („Opel. Eine Suche
       nach Zukunft“, 2011) löste Abwehr aus und führte zur Fixierung der Debatte
       auf den Kontrast zwischen naivem Dokumentarfilm und avanciert
       selbstreflexivem Kunstschaffen, zwischen Kinodoku und installativen
       Praktiken, wie sie seit den 1970ern auf den Kunstmarkt drängen. Zeit vs.
       Raumkonzept, narrative Linearität vs. flächige Collage heißen die
       Stichworte, die die unterschiedliche ästhetische Erfahrung in Kino und
       Galerie/Museum fokussieren.
       
       Die Künstler interessieren sich vor allem für die Wirkung im Raum,
       Dokumentaristen für die visuelle Materialität, berichtete Barbara
       Engelbach, Kuratorin für Fotografie, Film und Video am Museum Ludwig, in
       einem Tätigkeitsbericht, der am Beispiel dreier an unterschiedlichen
       ’Logiken‘ (Diagramm, Archiv, Choreografie) ausgerichteten Ausstellungen zu
       Filmemachern in ihrem Haus (Harun Farocki, Jonas Mekas, Yvonne Rainer)
       zeigte, wie auch das Kuratieren ein dokumentarisches Verfahren ist.
       
       ## „Fiktionalisierungsverfahren“
       
       Oder wäre vielleicht der Begriff „Fiktionalisierungsverfahren“ nützlicher?
       Den hatte der Videokünstler Marcel Odenbach in die Debatte gebracht. Denn
       sowohl künstlerische wie dokumentarische Praxis sind ja nur
       unterschiedliche Formen, den Zugriff auf die Wirklichkeit zu inszenieren.
       
       Leider blieben nach der anfänglichen Aufregung Debatten weitgehend aus.
       Viele Gespräche blieben, auch mangels moderierenden Eingreifens, im Rahmen
       der auch bei Filmfestivals üblichen werkbiografischen Fragen und Antworten.
       Auf merkwürdige Weise unangesprochen blieben auch die ökonomischen
       Bedingungen, unter denen die Produktion von Dokumentarfilm und Kunst
       stattfindet.
       
       Denn Letztere scheint ja mit ihren Auftragsarbeiten, Stipendien und Preisen
       nicht nur formal, sondern auch finanziell ein Fluchtort mancher
       Dokumentaristen zu sein, deren Fernsehformatgrenzen sprengende Projekte
       über die üblichen Förderwege nicht mehr zu finanzieren sind. Sicher, reich
       werden dürften Filmer auch im Kunstmarkt nur selten. Doch Dietrich Leder,
       Professor an der Kunsthochschule für Medien in Köln, brachte es auf den
       Punkt: Der symbolische Wert der Kunst übersteigt das reale Geld des
       TV-Kinos erheblich.
       
       23 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Silvia Hallensleben
       
       ## TAGS
       
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