# taz.de -- Vorwurf des „Pinkwashing“ in Israel: Regenbogen über Tel Aviv
       
       > Israel gilt als liberaler Hotspot für Schwule und Lesben in der Region.
       > Doch nun regt sich Kritik am angeblichen „Pinkwashing“.
       
 (IMG) Bild: Ist es noch eine Party oder schon „Pinkwashing“? – Gay Pride in Tel Aviv.
       
       JERUSALEM taz | Jahrzehntelang wollte man sie lieber nicht in der
       Öffentlichkeit haben, jetzt ist die blühende Community von Israels Lesben,
       Schwulen, Bi- und Transsexuellen ein gefundenes Fressen für die
       PR-Abteilung des Tel Aviver Rathauses – und für das israelische Außenamt.
       
       „In einer Region, in der Frauen gesteinigt, Schwule aufgehängt und Christen
       verfolgt werden, sticht Israel heraus“, rief Regierungschef Benjamin
       Netanjahu unlängst von internationaler Bühne; und geriet damit ins Visier
       der Kritiker.
       
       Netanjahu versuche die Menschenrechtsverletzungen der Israelis in den
       Palästinensergebieten hinter den Erfolgen der schwul-lesbischen Community
       zu verstecken, hieß es. „Pinkwashing“ ist der Begriff, mit dem Linke im
       eigenen Land und Kritiker Israels im Ausland den Missbrauch der
       Homosexuellen zu Propagandazwecken bezeichnen. Eine Vermarktung des
       Judenstaats mit der Regenbogenfahne dürfe nicht sein.
       
       Israels Schwule und Lesben haben einen bemerkenswerten Weg hinter sich.
       Erst seit 1988 verstoßen sie mit ihrer Liebe nicht mehr gegen das Gesetz.
       Heute erfüllen sich Lesben ihren Kinderwunsch mit Spendersamen, die
       Adoption der Kinder von Partner oder Partnerin ist wie die Anerkennung der
       im Ausland geschlossenen Ehen fast schon Routine.
       
       „Das ist unser Erfolg, nicht der der Politiker“, schimpft Professor Ayal
       Gross, Jura-Dozent an der Universität Tel Aviv. Man sei „nicht wegen,
       sondern trotz der Regierungspolitik“ so weit gekommen. Dass „Schwulenrechte
       immer öfter Instrument für PR-Zwecke werden“, findet er umso irritierender,
       da „konservative und vor allem religiöse Politiker bis heute zutiefst
       homophob eingestellt sind“.
       
       ## Palestinian Queer Party
       
       Für die orthodoxe Bevölkerung im Judenstaat ist der gleichgeschlechtliche
       Beischlaf Sünde. Schwule und Lesben gehörten in medizinische Behandlung
       oder für ihre abnormale Lebensweise bestraft. Schass-Chef Eli Ischai
       spricht von einer „psychologischen Fehlsteuerung“, und die konservative
       Abgeordnete Anastasia Michaeli, ehemals Fotomodell, weiß, dass „die meisten
       homosexuellen Menschen in ihrer Kindheit sexuell missbraucht wurden“.
       Deshalb würden sie, „wenn sie das Alter von 40 erreichen, Selbstmord
       begehen“. Die Politikerin entschuldigte sich zwar anschließend für ihre
       Worte. An ihrer Haltung dürfte sich aber nichts verändert haben.
       
       „Es gibt keine Rechte für Homosexuelle in Israel“, findet Haneen Maikey,
       Gründerin von „Al-Qaws“ (arab.: Regenbogen), der Anlaufstelle für
       palästinensische Schwule und Lesben in Jerusalem. In einem
       Zeitungsinterview, wenige Tage nachdem zwei Jugendliche in einer Tel Aviver
       Gay-Bar von einem bis heute unbekannten Täter erschossen wurden, macht sich
       die Palästinenserin Luft. Israel präsentiere sich vor der Welt als
       Homosexuellen-Asyl, schimpft sie gegenüber Haaretz. 
       
       Maikey streitet keineswegs ab, dass die Mehrheit der Schwulen und Lesben im
       Nahen Osten verfolgt würden. Doch sie weigert sich, „Teil der israelischen
       Kampagne“ zu sein. Dass ihre Gesellschaft noch einen langen Weg vor sich
       habe, „ist meine Verantwortung, nicht eure“. Der Ignoranz vor allem
       westlicher Journalisten begegnet die palästinensische Community mit einem
       strikten Nein auf alle Interviewanfragen. Maikey ist die sich
       wiederholenden Fragen nach Verfolgung und Mord homosexueller Palästinenser
       leid. Die europäische Erfahrung ließe sich nicht so einfach auf den Kampf
       der Schwulen und Lesben in ihrer Gesellschaft übertragen.
       
       ## Einzigartig in der Region
       
       Aus Mangel an Alternativen treffen sich hunderte palästinensische Schwule
       und Lesben zur „Palestinian Queer Party“ regelmäßig beim Besatzer. Die
       Diskothek liegt in einer unbeleuchteten, toten Straße Tel Avivs. 85 Prozent
       der Gäste sind männlich, die Stimmung ist ausgelassen. Manche tanzen mit
       bloßem Oberkörper zu arabischem und internationalem Pop.
       
       Adir Steiner, Koordinator der gleichgeschlechtlichen Love-Parade in Tel
       Aviv, wundert sich nicht darüber, dass die Palästinenser zur Party in seine
       Stadt kommen. Tel Aviv sei „einzigartig in einer Gegend, wo es nicht so
       leicht ist, homosexuell zu sein“. Steiner ist Mitarbeiter im Rathaus und
       die treibende Kraft hinter der Vermarktung Tel Avivs für den
       schwul-lesbischen Tourismus. Immerhin 90 Millionen US-Dollar flossen bisher
       in das Projekt. Israels Lesben und Schwule sind auf Tourismusbörsen
       vertreten, in Szenemagazinen und bei internationalen Filmfestivals.
       
       „Dank der demokratischen Tradition in Israel genießt die
       Homosexuellencommunity mehr politische Freiheit als in jedem anderen
       Nahoststaat“, schrieb das Magazin Out. Anfang des Jahres ließ Tel Aviv bei
       einer Umfrage von US-amerikanischen Fluggesellschaften und
       [1][gaycities.com] sogar New York auf der Popularitätsliste der Reiseziele
       für Lesben und Schwule hinter sich.
       
       Doch weil es in Israel nichts gibt, was nicht auch im Kontext des
       Nahostkonflikts betrachtet wird, wüten die Kritiker gegen Methoden, die in
       Barcelona, Amsterdam oder Paris völlig selbstverständlich sind. Steiner
       wehrt den Vorwurf des „Pinkwashing“ von sich. Als „puren Unsinn“ bezeichnet
       er die Vorstellung, es habe eine Regierungsdebatte über
       Vermarktungsstrategien dieser Art stattgefunden.
       
       In einem auf der Internetseite der israelischen Botschaft abrufbaren
       Artikel schreibt er, dass die Behauptung unsinnig sei, „Menschen, die für
       Freiheit und Frieden sind, könnten sich nicht an der israelischen
       Öffentlichkeitsarbeit beteiligten, solange nicht alles Schlechte am Staat
       beseitigt ist“. Jeder Staat habe Vor- und Nachteile, setzt er fort. „Wir
       dürfen die Vorteile feiern, während wir unablässig daran arbeiten, die
       Nachteile zu korrigieren.“
       
       ## Guter Anfang für den Wandel
       
       Um „das Standing“ der Schwulencommunity geht es ihm, aber auch um das
       „Standing“ Israels. „Zuerst entdecken Schwule einen neuen Ort, dann folgt
       der Rest“, sagt er. „Schwule sind ein guter Anfang für einen Wandel.“ Auch
       Shai Deutsch, Vorsitzender der „Aguda“, dem Tel Aviver Verband für die
       Rechte der Lesben, Schwulen, Trans- und Bisexuellen in Israel, sorgt sich
       um das Image seiner Nation. „Wir wollen der Welt zeigen, dass es hier nicht
       nur Kriege gibt, sondern dass Israel ein progressiver Staat ist mit einer
       lebhaften homosexuellen Community.“ Seit gut fünf Jahren wirbt Deutsch im
       Ausland für Israel als Reiseziel für Schwule und Lesben. „Wir helfen der
       Wirtschaft des Staates.“
       
       Solange er auf den Reisen sagen darf, was er will, interessiert ihn nicht,
       wer das Ticket zahlt, meint Deutsch. „Ich bringe zigtausende Touristen
       her.“ Das passiere andernorts schließlich genauso. „Wir haben das Rad nicht
       erfunden.“ Der schwule Tourismus stärke auch die „rosa Wirtschaft“. Zum
       ersten Mal halten Banken und Medienkonzerne als Sponsoren für die „Aguda“
       her. „Wir sind trendy, und wir sind einkommensstark. Endlich werden wir als
       Wirtschaftsfaktor wahrgenommen“, frohlockt Deutsch, der mit den neuen
       Einnahmen Projekte für Jugendliche und Prostituierte fördern will.
       
       Der Vorwurf des „Pinkwashing“ trifft ihn hart. In Madrid versperrten die
       Veranstalter des CSD vor zwei Jahren dem Lastwagen aus Tel Aviv den Weg.
       Deutsch findet das ungerecht. „Wir schreiben niemandem vor, was er denken
       soll.“ Unter Israels Schwulen und Lesben sei von radikal links bis radikal
       rechts das gesamte politische Spektrum vertreten. „Außerdem helfen wir
       palästinensischen Schwulen“, sagt er. Für einige hundert Palästinenser, die
       aufgrund ihrer sexuellen Orientierung von Familie und Gesellschaft verfolgt
       werden, bot die „Aguda“ über die Jahre eine Anlaufstelle. Tel Aviv ist für
       die jungen Geächteten indes nur ein Zufluchtsort auf Zeit, bevor Israel sie
       in Drittländer abschiebt.
       
       23 Oct 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://gaycities.com
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Knaul
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