# taz.de -- Darf ein Kind mehr als zwei Eltern haben?: Bigotter Zweier
       
       > In den Niederlanden wird geprüft, ob mehr als zwei Personen für ein Kind
       > verantwortlich sein dürfen. Recht so, schließlich zählt vor allem
       > Verlässlichkeit.
       
 (IMG) Bild: Vater, Mutter, Kind - geht das vielleicht auch mal anders?
       
       Es klingt absurd und ergibt doch Sinn: In den Niederlanden lässt das
       Justizministerium die Möglichkeit prüfen, für ein Kind mehr als zwei
       Menschen als Eltern juristisch anerkennen zu lassen. Dabei soll es auch
       darum gehen, die Rechte von Familien mit homosexuellen Eltern zu stärken.
       Der Vorschlag, drei oder vier Personen als Väter oder Mütter zuzulassen,
       ist auch für Deutschland interessant. Denn jenseits der von der Politik
       traktierten Mama-Papa-zwei-Kinder-Welt verändert sich das Verständnis
       dessen, was „Familie“ ist.
       
       Und es entstehen Beziehungsmodelle, die nicht so schnell ihr Abbild in den
       Familienfilmen der Fernsehsender finden dürften. Dabei hat Tom Tykwer die
       Thematik eines neuen Familienbegriffs in seinem Film „Drei“ bereits
       aufgegriffen: Eine Frau ist schwanger, zwei Männer, die ebenfalls ein Paar
       sind – einer davon ist ihr langjähriger Partner – kommen als Vater infrage
       und sie alle werden Eltern für das Kind sein.
       
       Wie angemessen wäre es, wenn nicht nur der Ehemann oder der Erzeuger als
       „Vater“ gelten würde, wenn alle drei das Recht hätten, den Aufenthaltsort
       des Kindes zu bestimmen, Auskunft beim Arzt zu erhalten und die Pflicht
       hätten, sich um das Kind zu kümmern.
       
       Konservative verbreiten gern die Ansicht, ein Kind brauche Mutter und
       Vater, alles andere mache den Nachwuchs instabil. Dabei ignorieren sie den
       Fakt, dass es genügend Mutter-Vater-Paare gibt, die ihre Kinder
       unwiderruflich schädigen. Dass mehrere Bezugspersonen ein Kind überfordern,
       dürfte Blödsinn sein. Das Entscheidende ist Verlässlichkeit. Die
       Verlässlichkeit in den Beziehungen wird der stabilisierende oder
       destabilisierende Faktor sein, nicht die Frage, ob es Vater und Mutter
       sind.
       
       ## Geflechte polyamourös lebender Menschen
       
       Recht unbemerkt von der öffentlichen Wahrnehmung etablieren sich
       hierzulande Paar- und Liebesmodelle, die fern der Zweierbeziehung stehen.
       Geflechte polyamourös lebender Menschen, die einen verlässlichen Kern
       bilden. Menschen, die miteinander leben wollen, für einander da sein
       wollen. Und eben jene „rosa Familien“, in denen das homosexuelle Paar wie
       auch die biologischen Eltern sich als Einheit begreifen.
       
       Warum sollte es ihnen vorenthalten sein, gemeinsam Verantwortung für die
       Kinder dieser Beziehungen zu tragen, wenn sie sich doch als das begreifen,
       was in diesem Land so heilig ist: als „Familie“? Eltern sein, das lässt
       sich am Ende auf etwas ganz Simples reduzieren: Liebe für den Menschen zu
       empfinden, der da heranwächst, und sich um ihn kümmern zu wollen. Dafür
       muss man das Wesen weder geboren, noch gezeugt haben.
       
       ## Mehr Liebe, Zuneigung und Halt
       
       Immerhin eine Erweiterung hat der Begriff „Familie“ in den letzten Jahren
       erfahren, den der „Patchwork-Familie“. Das Geflecht aus Ex- und neuen
       Partnern, eigenen Kindern und eingebrachten ist deutsche Realität, und in
       vielen Fällen mehr als nur eine Notlösung. Für die Kinder bedeutet dieses
       Mehr an Bezugspersonen – vorausgesetzt, die Bindungen sind stabil – mehr
       Liebe, Zuneigung und Halt.
       
       Zunächst klingt es absurd, dass ein Kind vier Väter haben soll, die
       womöglich weitere Kinder haben, an denen weitere Väter hängen. Dann scheint
       es unübersichtlich zu werden und man fragt sich, wo das Kind in dem
       Wirrwarr bleibt.
       
       Klar aber wird, wenn man sich umschaut und mitbekommt, wie viele Menschen
       neben ihrem Partner heimlich eine weitere Person lieben, wie überholt das
       monogame Zweiermodell ist. Wenn man dann bemerkt, dass die „Betrügenden“
       ihre Familie gar nicht verlassen wollen, sondern dass sie nach zehn Jahren
       Beziehung – aus welchen Gründen auch immer – noch mit anderen zusammen sein
       möchten, dann erkennt man, dass dieses „Fremdgehen“ eine das System
       „Familie“ erhaltende Funktion hat.
       
       Vielleicht ist es für unsere Gesellschaft an der Zeit, die Heimlichkeit als
       Scheitern des auf Monogamie basierenden Zweierkonstrukts zu erkennen und
       sich Gedanken für neue Familienmodelle zu öffnen. Die Niederlande scheinen
       uns da einige Schritte voraus zu sein.
       
       25 Oct 2012
       
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 (DIR) Silke Burmester
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