# taz.de -- Kritik am Weltgesundheitsgipfel: Geißeln der Menschheit
       
       > Auf dem Weltgesundheitsgipfel sollten große medizinische
       > Herausforderungen diskutiert werden. Für Pharmakritiker war die Tagung
       > viel zu industrielastig.
       
 (IMG) Bild: Ungleiche Chancen: Nach WHO-Angaben gibt es weltweit rund 200 Millionen Malaria-Erkrankungen jährlich.
       
       Der Darmkeim Serratia machte alles zunichte. Den Gipfel der Weltgesundheit
       wollte die Charité in dieser Woche erklimmen: Mit dem „World Health
       Summit“, den das Berliner Universitätsklinikum mit kräftiger
       Industrieunterstützung zum vierten Mal ausrichtete. Doch statt Schlagzeilen
       über die globale Gesundheit dominierte ein lokales Medizinthema das
       öffentliche Interesse: die mangelhafte Hygiene in einer
       Charité-Geburtsklinik mit Todesfolge.
       
       Das Ziel, im Flachland Berlin ein „Davos der Medizin“ zu etablieren,
       verfolgt Ex-Charité-Chef Detlev Ganten seit vier Jahren mit viel Energie
       und Netzwerk-Geschick. So wie die Lenker der Weltwirtschaft in den
       Schweizer Alpen zusammenkommen, um sich über die drängenden Fragen der
       Globalökonomie auszutauschen, so sollte es auch einen Ort für die
       Diskussion der großen medizinischen Herausforderungen für Ärzte, Politiker
       und Unternehmer geben.
       
       „Die Fortschritte in der medizinischen Forschung sind so schnell, aber sie
       kommen nicht schnell genug zu den Menschen in der ganzen Welt“, sagt
       Ganten.
       
       Das Projekt „Weltgesundheitsgipfel“, gestartet zum 300. Geburtstag der
       Berliner Klinikums, wird inzwischen auch von einem Bündnis der 30 weltweit
       führenden medizinischen Forschungseinrichtungen mit ausgerichtet. Die
       Finanzierung des „Low-budget meetings“ (Ganten) von mehr als 1.000 Experten
       kommt zu je einem Drittel von den Regierungen Deutschlands und Frankreichs,
       diversen Wissenschaftsorganisationen sowie der Pharma- und
       Medizintechnik-Industrie, die „Partner-Symposien“ sponsert.
       
       ## Rund 1,7 Milliarden Menschen fehlen wichtige Medikamente
       
       Ein Leitthema der Tagung waren weiterhin die großen Gesundheits-Geißeln der
       Menschheit, wie Tuberkulose und Malaria, und die ungleichen Chancen, sie zu
       behandeln. In den ärmeren Ländern der Erde haben noch immer rund 1,7
       Milliarden Menschen keinen Zugang zu wichtigen Medikamenten und
       Gesundheitsdienstleistungen – oder aber nur zu sehr hohen Preisen.
       
       „Neun Millionen Kinder jährlich sterben weltweit an Infektionskrankheiten,
       von denen drei Millionen mit Hilfe von Impfstoffen überleben könnten“, sagt
       der Wissenschaftler Peter Seeberger vom Potsdamer Max Planck-Institut für
       Kolloid- und Grenzflächenforschung, der selbst an einem Vakzin gegen
       Malaria forscht.
       
       Immer stärker sind aber auch in den wirtschaftlichen Schwellenländern die
       Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht und Diabetes auf dem Vormarsch.
       Bisher waren diese Krankheiten vor allem in den Industrieländern
       anzutreffen.
       
       So berichtete Judith Mackay von der Welt-Lungen-Stiftung (World Lung
       Foundation), dass die „Tabak-Epidemie keineswegs besser werde, sondern
       aufgrund des weltweiten Bevölkerungswachstums sogar noch ansteigt“.
       Besonders gefährdet seien Frauen in Ländern mit niedrigem und mittlerem
       Einkommen, die gerade massiv von der Tabakindustrie umworben würden.
       
       ## Rendite-Interessen der Pharmakonzerne
       
       Kritischer Flaschenhals bei der Eindämmung globaler Krankheiten ist
       weiterhin das Rendite-Interesse der großen Pharmakonzerne. Peter Seeberger
       hat in langjähriger Arbeit an der kostengünstigen Herstellung eines
       Impfstoffes auf Basis von Zuckermolekülen gearbeitet, der im Tierversuch
       seine Wirksamkeit gegen Malaria nachweisen konnte. Für die weitere
       Entwicklung seines Impfstoffes fand er weder in Europa noch in den USA ein
       Unternehmen.
       
       „Für die Industrie war das nicht attraktiv genug“, berichtete Seeberger auf
       dem Gesundheitsgipfel. Dabei gibt nach Angaben der
       UN-Weltgesundheitsorganisation WHO weltweit rund 200 Millionen
       Malaria-Erkrankungen jährlich, von denen bis zu 700.000 tödlich enden.
       
       Jetzt will Seeberger seinen Impfstoff mit dem Wirkstoff Artemisinin mit
       Partnern in Indien weiter entwickeln. „Impfstoffe sind die Zukunft“, ist
       sich der Potsdamer Forscher sicher.
       
       Kritisch wurde der Berliner Gesundheitsgipfel von der Hilfs- und
       Menschenrechtsorganisation „medico international“ mit einer Veranstaltung
       unter dem Titel „Menschen vor Profite“ begleitet. Zu sehr sei der
       Charité-Summit auf die „Sparte der kurativen Medizin mit ihren lukrativen
       Profitmöglichkeiten“ ausgerichtet, kritisierte medico-Geschäftsführer
       Thomas Gebauer.
       
       ## Gesundheitspolitik an einem Scheideweg
       
       Die Prävention und die soziale Bedingtheit von Krankheiten würden viel zu
       wenig berücksichtigt. Gebauer sieht sowohl die nationale wie die
       internationale Gesundheitspolitik an einem Scheideweg. Entweder werde
       Gesundheit als „wirtschaftliche Wachstumsbranche mit Gewinnmaximierung im
       Mittelpunkt“ angesehen, mit wachsender globaler Ausdehnung. Oder aber, so
       Gebauer, „wir begreifen Gesundheit als ein Menschenrecht und eine Sphäre
       gemeinsamer Verantwortung“.
       
       Weil der Berliner World Health Summit nach wie vor einseitig
       industrielastig sei, hat medico das Angebot der Veranstalter zur Öffnung
       eines „Fensters der Kritik“ abgelehnt, berichtet Gebauer. Derzeit steht
       medico mit der WHO in Genf in Verhandlungen, einen stärker
       gesellschafts-orientierten Gesundheitsdiskurs ins Leben zu rufen.
       
       Enttäuscht ist auch der Berliner Gesundheitswissenschaftler Rolf Rosenbrock
       darüber, dass dem Thema „Public Health“, der öffentlichen
       Gesundheitsvorsorge, in Deutschland von den zuständigen Stellen immer
       weniger Beachtung geschenkt wird. In der Wissenschaft werde diese
       Forschungsrichtung fortlaufend beschnitten.
       
       „Die Berliner School of Public Health wurde von früher vier auf eine
       Professor heruntergefahren“, bedauert Rosenbrock. Und in Bielefeld stehe
       die einst ruhmreiche, weil einzige nichtmedizinische Fakultät für
       Gesundheitswissenschaften im Überlebenskampf.
       
       26 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manfred Ronzheimer
       
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