# taz.de -- Flugzeugabsturz von Lech Kaczynski: Explosive Luftnummer
       
       > Ein polnischer Chefredakteur lässt sich „beurlauben“. Er hat eine Ente
       > über Sprengstofffunde in der 2010 abgestürzten Präsidentenmaschine zu
       > verantworten.
       
 (IMG) Bild: Experten bei der Untersuchung der Flugzeugwrackteile nach dem Absturz Lech Kaczynskis, 2010.
       
       WARSCHAU taz | Der Wunschtraum nach einem „Anschlag auf den Präsidenten
       Polens“ war einfach zu groß. Was ist schon ein banaler Unfall? So landete
       die Sensationsgeschichte über den „Sprengstoff auf dem Wrack der Tupolew“
       von 2010 auf der Titelseite der polnischen Tageszeitung „Rzeczpospolita“.
       
       Vor zwei Jahren waren Polens Präsident und 95 weitere Passagiere bei einem
       Flug nach Smolensk abgestürzt und ums Leben gekommen.
       
       Nur Stunden nach der „Enthüllung“ war klar, dass es sich um eine der
       größten Zeitungsenten handelte, die sich Polens Journalisten je geleistet
       hatten. Tomasz Wroblewski, der verantwortliche Chefredakteur, zog am
       Freitag die Konsequenzen und verabschiedete sich erst einmal „in den
       Urlaub“. Auf seiner nächsten Sitzung solle der Aufsichtsrat des
       Presspublica-Verlags entscheiden, ob er ihn entlassen wolle, um den „guten
       Ruf der Rzeczpospolita zu retten.
       
       Dabei hatte der Autor des Textes, Cezary Gmyz, die Informationen angeblich
       aus erster Hand. So hatte der Generalstaatsanwalt im Gespräch mit ihm
       angeblich „bestätigt“, dass den Staatsanwälten das Ergebnis von
       pyrotechnischen Untersuchungen am Unfallort seit über zehn Tagen „bekannt“
       sei. Den russischen Experten habe man nicht vertraut und daher eigene
       Sprengstoffexperten mit „modernen Messgeräten“ nach Smolensk geschickt.
       
       Die Geräte hätten dort sofort ausgeschlagen und an rund 30 Sitzen im
       Flugzeugwrack TNT- und Nitroglyzerin-Spuren angezeigt. An der Bruchstelle
       zwischen Cockpit, Rumpf und Flügeln hätte die Skala des Messgeräts nicht
       ausgereicht, so konzentriert seien an dieser Stelle die Sprengstoffreste
       gewesen. Die brisanten Informationen seien zwar sofort Premier Donald Tusk
       überbracht worden, doch habe weder dieser noch die polnische
       Militärstaatsanwaltschaft die Polen von den Funden in Smolensk informiert.
       
       ## Provokation des FSB
       
       Im Kommentar zur Sprengstoff-Story forderte Chefredakteur Wroblewski, dass
       man die Ermittlungen zum Flugzeugabsturz von vorne aufrollen müsse. Bei den
       Ermittlungen müssten alle, auch die allerschlimmsten, Szenarien analysiert
       werden. Von dichtem Nebel, der Fehlentscheidung der Piloten, ohne
       Blindflugsystem eine Landung auf Sicht zu versuchen, war keine Rede mehr.
       Stattdessen insinuierte Wroblewski, dass es sich bei dem Sprengstoff um
       eine mögliche „Provokation der russischen Geheimdienste“ handeln könne.
       
       Stunden später dementierte Polens Militärstaatanwaltschaft die explosive
       Story und erklärte, dass die Messinstrumente lediglich dazu geeignet seien,
       grob festzustellen, welche Teile man noch einmal genauer untersuchen
       müsste. Das Analyse-Ergebnis liege frühestens in einem halben Jahr vor. Von
       Sprengstofffunden könne keine Rede sein.
       
       „Es wurden 96 Menschen ermordet“, wiederholte allerdings Jaroslaw
       Kaczynski, der Chef der größten Oppositionspartei in Polen, seine
       altbekannte Verschwörungstheorie. Schon kurz nach dem Unfall hatte er
       behauptet, Premier Tusk habe „Blut an den Händen“. Jetzt unterstellte er
       Tusk zusätzlich, dass dieser ihn womöglich töten oder in die Verbannung
       schicken wolle.
       
       Umfragen zufolge glauben über 30 Prozent der Polen, dass die Passagiere des
       Fluges nach Smolensk Opfer eines „Anschlags“ geworden seien. Redakteure der
       rechtsnationalen Gazeta Polska Codziennie spielen gar mit dem Gedanken,
       dass es zu einem „Krieg zwischen Polen und Russland“ kommen könne.
       
       2 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriele Lesser
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Polen
 (DIR) Flugzeugabsturz
 (DIR) Polen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Gedenken in Polen: Im Smolensker Verschwörungsnebel
       
       2010 kamen Präsident Lech Kaczynski und weitere 95 Polen bei einem
       Flugzeugabsturz in Russland ums Leben. Viele rätseln immer noch über die
       Ursache.
       
 (DIR) Flugzeugkatastrophe von Smolensk: Polens Verteidigungsminister gibt auf
       
       Bogdan Klich tritt nach der Veröffentlichung eines Untersuchungsberichts
       zum Absturz der Präsidentenmaschine 2010 zurück. Die Armeereform sei
       gescheitert.
       
 (DIR) Absturz der polnischen Präsidentenmaschine: Gräben ein Jahr nach Smolensk
       
       Das Gedenken an die Opfer des Absturzes der polnischen Präsidentenmaschine
       zeigt die tiefe Spaltung der Gesellschaft. Rechtsradikale bestimmen die
       Debatte.
       
 (DIR) Fluglotsen in Smolensk: Unklare Signale aus dem Tower
       
       Jetzt kommt die Gegenvariante. Laut Warschauer Ermittlungen sollen die
       Fluglotsen in Smolensk für den Absturz der polnischen Präsidentenmaschine
       mitverantwortlich sein.
       
 (DIR) Kommentar Polnisches Präsidentenflugzeug: Auf Kollisionskurs
       
       Der russische Untersuchungsbericht und die polnischen Reaktionen zeigen die
       alte Grundhaltung, bloß keine eigenen Fehler zuzugeben. Das kann zur
       nächsten Katastrophe führen.
       
 (DIR) Absturz der Kaczynski-Maschine: Unfallhergang auf Polnisch
       
       Polens Innenminister Jerzy Miller präsentiert einen anderen Unfallhergang
       des Kaczynski-Absturzes als die russischen Behörden. Im Zentrum stehen
       Fluglotsen.