# taz.de -- Flügelkampf der Grünen: Showdown in Schwaben
       
       > In Baden-Württemberg muss Grünen-Parteichef Cem Özdemir um einen
       > Listenplatz kämpfen. Eine Niederlage würde ihn schwer beschädigen.
       
 (IMG) Bild: Betont selbstbewusst: Cem Özdemir
       
       BERLIN taz | Der Parteivorsitzende lehnt sich in seinem Büro im Sessel
       zurück. Macht ein Witzchen über die Mokkatässchen mit goldenen Henkeln, in
       denen sein Mitarbeiter Espresso serviert. Diese Sache da unten im Südwesten
       der Republik ist nichts, was Cem Özdemir stressen könnte. Der
       Landesparteitag werde die Wahl zwischen guten Kandidatinnen und Kandidaten
       haben, sagt Özdemir. „Das ist doch großartig.“
       
       Demonstrative Gelassenheit ist im Moment wohl die einzig richtige Reaktion
       auf eine verfahrene Situation, die für den Grünen-Chef im schlimmsten Fall
       sehr unangenehm enden könnte. Eigentlich schien Özdemirs nähere politische
       Zukunft geklärt. Der 46-Jährige, der die Partei seit vier Jahren führt,
       will bei der Bundestagswahl das Direktmandat in Stuttgart erringen. Er hat
       angekündigt, sich für den zweiten Listenplatz in Baden-Württemberg zu
       bewerben. Die Grünen halten traditionell den ersten Platz für Frauen frei,
       Özdemir will also den besten Männerplatz. Den Chefplatz.
       
       Doch diese scheinbar sichere Rechnung stimmt seit einiger Zeit nicht mehr.
       Bei den Grünen werde viel über den nötigen Generationenwechsel diskutiert,
       sagt der Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick. „Ich verstehe meine
       Kandidatur auch vor diesem Hintergrund als Angebot an die Partei.“ Schick
       tritt gegen Özdemir auf Platz zwei an. Die Ankündigung versetzt die Grünen
       in Aufruhr.
       
       Der Parteilinke Schick, 40, verfügt über eine geschliffene Rhetorik und hat
       sich als Finanz- und Europaexperte einen Namen gemacht, er sprach in der
       Krise früh Verteilungs- und Sozialproblematiken an. Realo Özdemir, 46,
       pflegt gute Kontakte zur Wirtschaft und kämpfte gegen eine zu hohe
       Besteuerung von Gutverdienern.
       
       Ein ungleiches Duell. Und auch das Risiko ist ungleich verteilt. Verliert
       Schick, wird er stärker. Gegen den Chef unterliegen ist keine Schande.
       Verliert Özdemir, beschädigt ihn dies gleich mehrfach.
       
       ## Keine Augenhöhe
       
       Eine Niederlage würde zunächst das Direktmandat gefährden, im bis vor
       Kurzem von der CDU dominierten Stuttgart sowieso schon ein ehrgeiziges
       Ziel. Özdemir kann minutenlang davon schwärmen. Er neben Christian Ströbele
       in der Fraktion, die beiden einzigen direkt gewählten Abgeordneten. Der
       eine jung, der andere alt. Der eine steht fürs linke Kernmilieu, der andere
       für die bürgerliche Mitte. Diesen Traum könnte Schick platzen lassen. Die
       Schwarzen würden sich kaputtlachen über den Grünen, den die eigenen Leute
       abgewatscht haben.
       
       Auch die Tatsache, dass das Duell nicht auf Augenhöhe stattfindet, ist für
       Özdemir gefährlich. Verliert der Chef gegen einen Fachpolitiker, wäre das
       Medienecho fatal. Özdemirs Standing in der Partei litte ebenso empfindlich
       wie das in einer Bundestagsfraktion ab 2013.
       
       Viele Grüne erinnern sich in diesen Tagen an den Oktober 2008. Damals
       ließen die Delegierten des Landesparteitags den designierten Parteichef
       Özdemir gleich zwei Mal durchfallen. Er verlor bei der Listenaufstellung
       erst gegen den Linken Winfried Hermann, dann gegen den Realo Alexander
       Bonde. Özdemir schulterte seinen Rucksack und schlich gedemütigt aus der
       Halle.
       
       Droht sich nun Geschichte zu wiederholen?
       
       Das ist offen. Viele Parteistrategen geben Özdemir gute Chancen. Er hat
       eine stärkere Position als vor vier Jahren, er ist prominent, der größte
       Kreisverband Stuttgart wird wohl geschlossen für ihn stimmen. Doch die
       Parteilinken im Ländle sind nicht zu unterschätzen. Schicks Truppen gelten
       als gut organisiert. Sie pochten in Vorabsprachen immer auf einen der
       ersten beiden Listenplätze. Um den ersten Platz kämpfen die Reala Kerstin
       Andreae und die Parteilinke Sylvia Kotting-Uhl. Während die Frauen ihren
       Wettkampf professionell managen, wird bei den Männern munter intrigiert.
       
       ## Ungeschickte Hilfe
       
       Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, ein Vertrauter Özdemirs, postete
       auf seiner Facebook-Seite einen Appell an Schick und Kotting-Uhl: „Lasst
       diesen Kampf ausfallen.“ Schick und Kotting-Uhl könnten ihn nicht gewinnen,
       schrieb Palmer, denn wenn sie es täten, verlöre die Partei. Palmers
       Aufforderung war ein strategischer Fehler. Sie lässt nicht nur Özdemir
       schwach aussehen, sie provozierte auch die Linken.
       
       Kotting-Uhl ist empört über die Attacke: „Boris Palmer versucht die
       Parteiflügel in die Schützengräben zu treiben.“ Auch Özdemir fand die
       vermeintliche Unterstützung kontraproduktiv. Er pfiff Palmer in einer
       E-Mail zurück, die dieser ebenfalls auf Facebook publizierte. Özdemir
       empfahl, sich besser auf den Wahlkampf zu konzentrieren. Auch in seinem
       Berliner Büro verweist er auf den Wahlsieg Fritz Kuhns in Stuttgart. „Es
       wäre verrückt, wenn wir unsere Erfolgswelle im Südwesten nun gefährden,
       indem wir über angebliche Flügelfragen streiten.“
       
       Jedenfalls zeigen die Reaktionen von Özdemirs Unterstützern, wie ernst
       Schicks Kandidatur genommen wird. Selbst Ministerpräsident Winfried
       Kretschmann, ebenfalls ein Vertrauter des Parteichefs, sah sich bemüßigt
       einzugreifen. Er rief Schick persönlich an, um ihn von der Kandidatur
       abzubringen. „Ja, Kretschmann hat in einem Telefonat an die politische
       Räson des Abgeordneten Schick appelliert“, heißt es in der Stuttgarter
       Staatskanzlei.
       
       Auch wenn Kretschmann das Gegenteil im Sinn hatte: Der vergebliche
       Ordnungsruf dürfte eher Schick nutzen als Özdemir. Die Basis mag
       autokratische Anwandlungen nicht, ebenso mag sie es nicht, wenn
       Störenfriede auf Linie gebracht werden sollen.
       
       Doch nicht nur die Realos fühlen sich brüskiert. Der linke Parteiflügel
       kritisiert das Vorpreschen des Vorsitzenden. Özdemir machte seinen Anspruch
       auf Listenplatz zwei in einem Interview bekannt, das am 19. September
       erschien – am Tag vor seiner Nominierung als Direktkandidat im
       Kreisverband. Allein das Interview platzte mitten in laufende Verhandlungen
       zwischen Realos und Linken, die noch versuchten, eine gütliche Lösung zu
       finden. Am 21. September tagte eine von den Landeschefs geleitete
       Verhandlergruppe, das Treffen war lang geplant. Und Teilnehmer mussten
       überrascht zur Kenntnis nehmen, dass der Berliner Chef schon Fakten
       geschaffen hatte. „Das hätte Cem klüger managen können“, sagt ein wichtiger
       Stuttgarter Grüner.
       
       ## „Ein Showdown bringt nichts“
       
       Auch Schicks Vorgehen stößt manchem in der Partei sauer auf. Der Finanzler
       inszeniere seinen „Egotrip“, er bewege sich „gerade auf sehr dünnem Eis“,
       sagen seine Kritiker, die oft Özdemir-Unterstützer sind. Ihnen leuchtet
       nicht ein, warum Schick ausgerechnet den zweiten Listenplatz beansprucht.
       Kerstin Andreae beobachtet genervt den Wettbewerb der Männer: „Es bringt
       überhaupt nichts, wegen einer Listenaufstellung einen Showdown zu
       veranstalten.“
       
       In der Landespartei hat man sich, um der Konfrontation die Schärfe zu
       nehmen, auf ein Rettungsnetz geeinigt. Die Verlierer der Duelle um die
       Plätze 1 und 2 fallen weich und sollen auf 3 und 4 ohne Gegenkandidat zum
       Zuge kommen. Für Özdemir wäre das nur eine neue Demütigung.
       
       Schicks Unnachgiebigkeit folgt wohl auch egoistischen Motiven, man muss sie
       vor der Folie einer künftigen Bundestagsfraktion lesen. Wenn es die Grünen
       in die Regierung schaffen, werden die alten Chefinnen Jürgen Trittin und
       Renate Künast in Ministerämter verschwinden. Wenn die Grünen verlieren,
       werden vermutlich ebenfalls Plätze im Fraktionsvorstand frei. Im dann
       folgenden Gerangel will Schick mitspielen. Ein Sieg gegen den
       Parteivorsitzenden ist da keine schlechte Ausgangsposition.
       
       5 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
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