# taz.de -- Zur Wiederwahl Barack Obamas: War das historisch?
       
       > 2008 ist Barack Obama zum ersten schwarzen Präsidenten der Vereinigten
       > Staaten gewählt worden. Ist die Wiederwahl genauso historisch? Das Pro &
       > Contra.
       
 (IMG) Bild: Ein Politiker wie jeder andere?
       
       Ja! Jetzt schreibt Obama Geschichte 
       
       Die erste Wiederwahl des ersten schwarzen Präsidenten der USA – nein, das
       klingt nicht historisch, sondern wie eine ungelenke Journalistensuche nach
       dem Superlativ. Dennoch ist „historisch“ das richtige Adjektiv für diesen
       6. November 2012.
       
       Zum einen, weil eine Niederlage Obamas seinen ersten Wahlsieg 2008 zur
       Fußnote der Geschichte, zum Ausrutscher degradiert hätte, der nur als
       Antithese zur Bush-Zeit möglich geworden war. Das hätte der Sichtweise der
       weißen Tea-Party-Männer entsprochen, die seit vier Jahren mit kaum
       verhohlen rassistischem Unterton „ihr Land zurück“ fordern.
       
       George W. Bush acht, Barack Obama vier Jahre? Für die Schwarzen in den USA
       wäre das ein Schlag ins Gesicht gewesen, die Hoffnung auf die – wenngleich
       zunächst symbolische – Verwirklichung von Martin Luther Kings Traum, die am
       Wahlabend 2008 so viele Tränen kullern ließ, wäre endgültig vorbei gewesen.
       Der zweite Wahlsieg bestätigt den ersten als wirklich historisch.
       
       Aber das ist nicht alles, ja wäre sogar als Argumentation bedenklich. Denn
       auch wenn Obamas Hautfarbe und der Ausblick darauf, als Wähler Geschichte
       zu schreiben, 2008 durchaus eine Rolle spielte, so wäre es doch vier Jahre
       später ausgesprochen ignorant, die Wiederwahl noch damit zu erklären.
       Barack Obama hat ja nicht vier Jahre nichts gemacht. Und auch wenn sein
       Wahlkampf zum großen Teil aus einer Warnung vor Mitt Romney und seinen
       Republikanern bestand, so ist er doch mehr als deutlich für eine letztlich
       sozialdemokratisch konnotierte Vision der USA eingetreten, die dem von
       Romney verkörperten neoliberalen Denkmodell diametral gegenübersteht.
       
       Im Dezember 2011 hatte Obama erstmals im texanischen Osawatomie jenen
       Grundtenor gelegt, den er im Januar in seiner Rede zur Lage der Nation
       wieder aufnahm und im Wahlkampf immer und immer wieder predigte: „Der freie
       Markt war niemals eine Blankolizenz dafür, mitzunehmen, was man nur
       bekommen kann und von wem es nur immer geht.“ Und für die Einhegung des
       Kapitalismus zugunsten mehr sozialer Gerechtigkeit müsse der Staat sorgen.
       Dagegen Romney: „Amerika bestraft Erfolg nicht, Amerika bewundert Erfolg!“
       Genau darum geht es. Viel zu lange ist es den Neoliberalen und
       Konservativen überlassen worden, „Amerika“ zu definieren, den
       „amerikanischen Traum“ als Ellenbogenkampf gegen andere zu beschreiben,
       amerikanische Stärke als Stärke des Militärs.
       
       Obamas Wahlkampf war auch der Versuch, diese Definitionshegemonie endlich
       zu brechen. Er war dabei so erfolgreich, wie es die Lage zulässt. Der Kampf
       um die Köpfe ist längst nicht zu Ende. Aber der 6. November 2012 zeigt:
       Nach 25 Jahren neoliberalen Diskurses aus beiden Parteien (die nahezu
       vollkommene Deregulierung der Finanzmärkte begann in den USA in den 90er
       Jahren unter dem Demokraten Bill Clinton) kann man mit einer Botschaft
       staatlich organisierter Solidarität Wahlen gewinnen. Wenn das nicht
       historisch ist? BERND PICKERT 
       
       *** 
       
       Nein! Kontinuität ist nicht revolutionär 
       
       So viel Geschichte war nie. Ein historisches Ereignis jagt das nächste.
       Wenn es sogar einem Computerunternehmen gelingen kann, jeden
       Entwicklungsschritt eines Mobiltelefons als messianische Veranstaltung zu
       inszenieren, dann muss ein Ereignis wie die Wiederwahl von Barack Obama zum
       Präsidenten der USA selbstverständlich als „historisch“ bezeichnet werden.
       Weniger geht nicht. Differenziertere und präzisere Begriffe stehen in einem
       derart hysterischen Klima nicht zur Verfügung. Die Beschleunigung der neuen
       Medien verkürzt – auch – Analysen. Das verengt den Blick auf geschichtliche
       Prozesse.
       
       Obamas zweiter Sieg ist kein Wendepunkt. Der Ausgang der US-Wahlen ist
       erfreulich für Leute, die im Staat mehr als einen Nachtwächter sehen, die
       Umweltschutz ernst nehmen und die diplomatische Verhandlungen mit
       potenziellen Gegnern nicht für Vaterlandsverrat halten. Diesen Kurs
       vertritt Barack Obama eher als sein unterlegener Rivale Mitt Romney. Das
       bedeutet nicht, dass der alte und neue Präsident ein Linker ist. Für Linke
       und Linksliberale weltweit ist er das kleinere Übel. Mehr nicht. Na, und?
       Er ist nicht für die Projektionen anderer Leute zuständig.
       
       Die Hautfarbe von Obama spielt keine Rolle mehr. Vielleicht wird genau das
       im historischen Rückblick als das wichtigste Element seiner ersten Amtszeit
       bezeichnet werden. Dass nämlich danach neoliberale Schwarze – oh ja, es
       gibt sie! – ganz entspannt lieber republikanisch als demokratisch wählen
       konnten, weil es ihren ökonomischen Interessen entsprach. Der Frage nach
       Diskriminierung kam bei der Wahl zur zweiten Amtszeit eines schwarzen
       Präsidenten nicht mehr die entscheidende Bedeutung zu.
       
       Es ist wahr: Rassismus in den USA ist nicht überwunden, wie der Hass
       beweist, der Obama oft entgegenschlägt. Wahr ist auch: Wäre er nicht
       gewählt worden, dann hätten Rassisten frohlockt. Aber will irgendjemand
       behaupten, Wahlen könnten die Haltung der Verlierer verändern? Oder dass
       der Sieg von Barack Obama gleichbedeutend mit dem Ende des Rassismus sei?
       
       Historische Entwicklungen sind kein Hürdenlauf, und ihre Protagonisten
       hüpfen nicht von einem Ereignis zum nächsten. Es sei denn im Kino. Die
       Abschaffung der Sklaverei war Voraussetzung für die Bürgerrechtsbewegung,
       nicht deren Schlusspunkt. Die Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin
       ist nicht der endgültige Triumph des Feminismus. Wahrlich nicht.
       
       Geschichte vollzieht sich als Abfolge von Prozessen, nicht als Abfolge von
       Ereignissen. Ereignisse können Marksteine sein, und ganz gewiss war der
       erste Wahlsieg von Obama ein solcher. Ein schwarzer US-Präsident: das
       bedeutete einen Paradigmenwechsel der Geschichte. Aber Marksteine lassen
       sich nicht beliebig oft setzen. Kontinuität ist nicht revolutionär. Heute
       ist Barack Obama ein Politiker wie jeder andere. Das könnte tatsächlich den
       Anfang vom Ende rassistischer Diskriminierung bedeuten. Hätte aber nichts
       mit dem Wahlausgang im Jahr 2012 zu tun. BETTINA GAUS
       
       8 Nov 2012
       
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 (DIR) B. Pickert
 (DIR) B. Gaus
       
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