# taz.de -- Kommentar Grüne Sozialpolitik: Sozialer als ihr Ruf
       
       > Die Grünen gehen beim Parteitag kleine, aber richtige Schritte in
       > Richtung Sozialpolitik. Den großen Wurf aber trauen sie sich nicht.
       
       Beginnen wir mit einem kleinen Test: An welche Partei denken Sie, wenn Sie
       das Wort Mindestlohn hören? Und wem in der politischen Landschaft würden
       Sie Leidenschaft zutrauen, wenn es um höhere Hartz IV-Sätze geht?
       
       Vermutlich ist Ihnen bei der ersten Frage die SPD in den Sinn gekommen und
       bei der zweiten die Linkspartei. Und da wären wir schon mittendrin in dem
       Problem, dass die Grünen in der Sozialpolitik haben. Die Ökopartei kann
       noch so sorgsam durchgerechnete Sozialkonzepte präsentieren, die Kompetenz
       werden WählerInnen sehr wahrscheinlich der politischen Konkurrenz
       zuschreiben.
       
       Umgekehrt funktioniert das Phänomen der Kompetenzzuschreibung natürlich
       genauso. Angela Merkels Atomausstieg stimmten die Grünen auch deshalb ohne
       größere Bedenken zu, weil sie wussten, dass ihnen die WählerInnen das
       Atomthema sowieso aufs Konto bucht. Viele Menschen denken bei grüner
       Politik an Energiewende, Klimaschutz und Bio-Landwirtschaft, aber nicht an
       die Integration armer Menschen in die Gesellschaft. Die Hauptlast für
       Glaubwürdigkeit beim Sozialen liegt also in einer rot-grünen Arbeitsteilung
       2013 bei der SPD.
       
       Inhaltlich sind die Beschlüsse der Grünen vom Parteitag in Hannover kleine
       Schritte in die richtige Richtung. Ein Mindestlohn, ein Hartz IV-Regelsatz
       von 420 Euro, eine Garantierente, all dies sind sinnvolle Anliegen, die die
       Grünen seit vielen Jahren im Herzen wägen. Sie sind nun nochmals in Form
       gegossen, und sie sind auf Euro und Cent finanziert. Darauf sind die Grünen
       zu Recht stolz, so viel Ehrlichkeit bekommt keine andere Partei in
       Deutschland hin.
       
       Die allein reicht als Beweis, dass das Klischee von der Öko-FDP ein Irrtum
       ist. Was allerdings fehlt, ist, wie gesagt, ein genuines
       Alleinstellungsmerkmal. Die Grünen haben in der Sozialpolitik ein
       Markierungsproblem: Den Mindestlohn wollen alle, bei Hartz IV bietet die
       Linke mehr, eine Zuschussrente will inzwischen sogar Ursula von der Leyen.
       Aber ihre ambitionierten Projekte, die Kindergrundsicherung wäre eines,
       haben die Grünen lieber aufgeschoben, weil sie zu teuer sind.
       
       Und hier liegt das Grundproblem grüner Sozialpolitik, über das in der auf
       ihre Sparsamkeit stolze Partei niemand sprechen möchte. Wer den Armen etwas
       geben will, muss den Gutverdienern mehr wegnehmen. Das trauen sich die
       Grünen nicht, weil sie ihre jetzt wieder ganz neu entdeckte
       wertkonservative Klientel in der Mitte nicht verschrecken wollen. Einen
       Antrag für einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent, der unter Helmut Kohl
       noch üblich war, stimmten die Delegierten routiniert weg, schließlich
       könnte dies den ökologisch denkenden Hochschulprofessor aus Berlin-Dahlem
       verprellen.
       
       Eine solche Strategie ist wahrscheinlich richtig, wenn man in die Regierung
       will und enttäuschte CDU-Wähler locken will. Aber mutig, oder gar links,
       das ist sie nicht.
       
       18 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
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